VG Lüneburg

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Zitieren als:
VG Lüneburg, Urteil vom 15.12.2008 - 3 A 84/08 - asyl.net: M14945
https://www.asyl.net/rsdb/M14945
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung für iranischen Staatsangehörigen wegen Konversion zum Christentum.

 

Schlagwörter: Iran, Folgeantrag, Änderung der Rechtslage, Drei-Monats-Frist, Kenntnis, Richtlinienumsetzungsgesetz, religiös motivierte Verfolgung, Religion, religiöses Existenzminimum, Konversion, Apostasie, Christen, subjektive Nachfluchtgründe
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AsylVfG § 71 Abs. 1; VwVfG § 51 Abs. 1 Nr. 1; AsylVfG § 28 Abs. 2
Auszüge:

Flüchtlingsanerkennung für iranischen Staatsangehörigen wegen Konversion zum Christentum.

(Leitsatz der Redaktion)

 

[...]

Der Kläger hat Anspruch auf die Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG in seiner Person und Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Wege des Asylfolgeverfahrens, weil sich die Sach- und Rechtslage nach Abschluss des ersten Asylverfahrens zu Gunsten des Klägers dergestalt geändert hat (§ 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG), dass er bei einer Rückkehr in den Iran nunmehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit asylerheblicher Verfolgung rechnen müsste. Soweit der angefochtene Bescheid vom 6. Juli 2007 dem entgegensteht, ist er rechtswidrig und aufzuheben. Der Kläger hat die erforderliche - positive - Kenntnis vom Wiederaufgreifensgrund - Umsetzung der Qualifikationsrichtlinie mit ihrem gegenüber dem Urteil vom 26. Januar 2004 erweiterten Schutzbereich der Religionsausübung in innerstaatliches Recht und Verschärfung der Verfolgung von Konvertiten nach der Entscheidung des Asylerstverfahrens - erst am 26. Februar 2007 erhalten und ihn innerhalb der Dreimonatsfrist des § 51 Abs. 3 VwVfG vorgetragen. [...]

a) Es ist beachtlich wahrscheinlich, dass dem Kläger bei einer Rückkehr in den Iran wegen seiner Konversion vom Islam zu Christentum politische Verfolgung droht.

Die Einzelrichterin hat keinen Zweifel an der Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit des Übertritts des Klägers zum christlichen Glauben. [...]

Wegen seiner Konversion zum Christentum würde der Kläger im Iran staatlichen Zwangsmaßnahmen ausgesetzt sein, wenn er dort seinen christlichen Glauben öffentlich publik machen würde, über seinen Glauben reden wollte und an öffentlichen Gottesdiensten für zum Christentum übergetretene Muslime teilnehmen würde.

Das Verwaltungsgericht Ansbach hat in seinem Urteil vom 23. Januar 2007 - AN 3 K

06.30870 -, juris, ausgeführt: [...]

Vorstehenden Ausführungen schließt sich die Einzelrichterin auch für dieses Verfahren an, nachdem die Richtlinie 2004/83/EG nunmehr unmittelbar geltendes Recht ist (vgl. VG Düsseldorf, Urt. v. 20.02.2007 - 22 K 3453/05.A; Urt. v. 29.08.2006 - 2 K 3001/06.A; VG Hamburg, Urt. v. 17.07.2007 - 10 A 918/05 -, sämtlich zitiert nach juris; zur Ausdehnung des Schutzes vor religiöser Verfolgung auf die öffentliche Glaubensbetätigung vgl. Nds. OVG, Urt. v. 17.07. 2007 - 11 LB 332/03 -, juris; BayVGH, Urt. v. 23.10.2007 - 14 B 06.30315 - Asylmagazin 2007, 15).

Von einer zwischenzeitlich eingetretenen Verbesserung der Verfolgungssituation konvertierter Muslime im Iran ist nicht auszugehen. Vielmehr hat die Organisation "Open Doors" am 11. Februar 2008 eine Pressemitteilung herausgegeben, wonach im Iran per Gesetz die Abkehr vom Islam auch rechtlich ein Verbrechen werden soll, das mit dem Tode bestraft werden darf. Ein entsprechender Gesetzesentwurf zum islamischen Strafrecht ist der Mitteilung zufolge vom Kabinett genehmigt, wobei es als wahrscheinlich gilt, dass er auch die notwendige parlamentarische Unterstützung erhält. Auf dem "aktuellen Weltverfolgungsindex" der Organisation steht der Iran zum dritten Mal in Folge auf Platz 3 und damit an der Spitze der Länder, in denen Christen am härtesten verfolgt werden.

b) Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist nicht ausgeschlossen, obwohl es sich bei dem Übertritt des Klägers zum christlichen Glauben um einen subjektiven Nachfluchtgrund handelt. Nach § 28 Abs. 2 AsylVfG kann in einem Folgeverfahren in der Regel die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt werden, wenn ein Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines Asylantrages erneut einen Asylantrag stellt und diesen auf Umstände stützt, die er nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung seines früheren Antrages selbst geschaffen hat. Der Glaubensübertritt des Klägers ist schon nicht nach unanfechtbarer Ablehnung seines Erstantrages erfolgt, sondern bereits im Erstverfahren vorgetragen worden, zum anderen ist der Umstand der eingetretenen Rechtsänderung, auf den der Kläger den Folgeantrag gestützt hat, nicht von ihm selbst geschaffen worden. [...]