VG Münster

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Zitieren als:
VG Münster, Urteil vom 13.01.2009 - 5 K 661/06 - asyl.net: M14957
https://www.asyl.net/rsdb/M14957
Leitsatz:

Eine Ausweisung ist unverhältnismäßig, wenn keine Wiederholungsgefahr besteht und die Ausweisung wegen des langen Zeitraums zwischen Begehung der Straftat und dem Erlass des Widerspruchsbescheids im Ausweisungsverfahren keine abschreckende Wirkung auf andere Ausländer entfalten kann.

 

Schlagwörter: D (A), Ausweisung, Regelausweisung, Verhältnismäßigkeit, Spezialprävention, Generalprävention, Wiederholungsgefahr, Straftat
Normen: AufenthG § 54 Nr. 1
Auszüge:

Eine Ausweisung ist unverhältnismäßig, wenn keine Wiederholungsgefahr besteht und die Ausweisung wegen des langen Zeitraums zwischen Begehung der Straftat und dem Erlass des Widerspruchsbescheids im Ausweisungsverfahren keine abschreckende Wirkung auf andere Ausländer entfalten kann.

(Leitsatz der Redaktion)

 

[...]

Die Klage ist begründet. [...]

Die Voraussetzungen für eine Ausweisung des Klägers liegen in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht vor (vgl. zum maßgeblichen Zeitpunkt: BVerwG, Urteil vom 15. November 2007 - 1 C 45.06 -, BverwGE 130, 20 = NVwZ 2008, 434).

§ 54 Nr. 1 des Aufenthaltsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008, BGBl I S. 162, S. 189 (AufenthG) sieht vor, dass ein Ausländer in der Regel ausgewiesen wird, wenn er wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden und die Vollstreckung der Strafe nicht zu Bewährung ausgesetzt worden ist. Auf diese Vorschrift kann die Ausweisung des Klägers nicht gestützt werden. [...]

Die Ausweisung eines Ausländers verstößt gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wenn sie nicht geeignet und erforderlich ist, die mit der Ausweisung beabsichtigten Ziele zu erreichen und/oder für den Ausländer Nachteile zur Folge hat, die gewichtiger sind, als das öffentliche Interesse daran, dass der Ausländer die Bundesrepublik Deutschland wegen der von ihm begangenen Straftaten verlässt.

Nach gefestigter verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung bezweckt die Ausweisung straffällig gewordener Ausländer, sie davon abzuhalten, weitere Straftaten in der Bundesrepublik Deutschland zu begehen (sog. Spezialprävention; vgl. statt aller: BVerwG Urteil vom 13. November 1979 - 1 C 100.76 -, BVerwGE 59, 112 = NJW 1980, 2037 und Urteil vom 31. August 2004 - 1 C 25.03 -, BVerwGE 121, 356 = NVwZ 2005, 229) und/oder andere Ausländer davon abzuhalten, vergleichbare Straftaten zu begehen (sog. Generalprävention; vgl. statt aller: BVerwG, Urteil vom 13. November 1979 - 1 C 100.76 -, a.a.O. und Urteil vom 24. September 1996 - 1 C 9.94 -, BVerwGE 102, 63 = NVwZ 1997, 1123).

Die Ausweisung des Klägers ist nicht aus generalpräventiven Gründen geeignet, weil wegen des Zeitablaufs zwischen der Begehung der Straftaten in den Jahren 1997 und 1998 und dem Erlass des Widerspruchsbescheides im März 2008 von der Ausweisung keine abschreckende Wirkung mehr für andere Ausländer ausgeht.

Eine Wiederholungsgefahr besteht bei dem Kläger ebenfalls nicht. Sie liegt bei Straftaten von Ausländern vor, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Ausländer in absehbarer Zukunft wieder Straftaten begehen wird. Daran fehlt es hier.

Zwar reicht es nicht aus, die Wiederholungsgefahr mit der Begründung zu verneinen, dass der Rest der Strafe - wie bei dem Kläger geschehen - gemäß § 57 StGB - zur Bewährung ausgesetzt worden ist, weil diese Entscheidung nichts darüber aussagt, ob der Kläger nach ausländerpolizeilichen Maßstäben erneut straffällig werden wird oder nicht (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. Juli 2003 - 18 B 1285/09 - und Beschluss vom 17. Juli 2008 - 18 A 1145/07 - mit Nachweisen zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts).

Gegen das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr bei dem Kläger spricht allerdings, dass er die ihm zu Last gelegten Straftaten in einem Zeitpunkt begonnen hat, als er arbeitslos geworden und aus seiner Sicht die Versorgung seiner Ehefrau und seiner sieben Kinder nicht mehr sicher gestellt war. Es lag mithin bei dem Kläger eine besondere Lebenssituation vor, die ihn damals veranlasst hat, straffällig zu werden. Diese besondere Situation wird sich nicht erneut ergeben, wie das Verhalten des Klägers nach seiner Entlassung aus der Strafhaft belegt.

Hinzu kommt, dass der Kläger im Strafverfahren, wenn auch erst in der Hauptverhandlung, ein Geständnis abgelegt und damit zu erkennen gegeben hat, dass er das Unrecht seines Verhaltens eingesehen hat. [...]

Letztlich ist entscheidend, dass der Kläger trotz seiner Arbeitslosigkeit nach der Entlassung aus der Strafhaft keine weiteren Straftaten begangen hat, anders als noch im Jahre 1997, als er arbeitslos geworden war, und dies zum Anlass genommen hat, sich durch Straftaten Geld zu besorgen. [...]