VG Frankfurt a.M.

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Zitieren als:
VG Frankfurt a.M., Beschluss vom 06.02.2009 - 7 L 4072/08.F.A.(V) - asyl.net: M14959
https://www.asyl.net/rsdb/M14959
Leitsatz:

1. § 34a Abs. 2 AsylVfG, nach dem der Vollzug einer Abschiebungsanordnung nicht nach § 80 oder § 123 VwGO ausgesetzt werden darf, ist im Rahmen des Art. 19 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 nicht anwendbar.

2. Es ist gemeinschaftsrechtlich nicht zulässig, von einer Verordnung der Europäischen Gemeinschaften vorgesehene Rechtsbehelfe durch Rückgriff auf nationales Recht ihrer verfahrensrechtlichen Wirkung zu berauben.

3. Statthafter Rechtsbehelf gegen eine Überstellungsentscheidung nach Art. 19 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 ist ein Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Verfahrensrecht, Verordnung Dublin II, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), einstweilige Anordnung, Abschiebungsanordnung, vorbeugender Rechtsschutz, Suspensiveffekt, Rechtsweggarantie, Dublin II-VO, Dublinverfahren,
Normen: VwGO § 123 Abs. 1; VwGO § 80 Abs. 5; AsylVfG § 34a Abs. 1; AsylVfG § 34a Abs. 2; EG VO Nr. 343/2003 Art. 19 Abs. 1; EG VO Nr. 343/2003 Art. 19 Abs. 2; GG Art. 19 Abs. 4
Auszüge:

[...] Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist abzulehnen, da er nicht statthaft ist. Die Antragsgegnerin hat auf telefonische Nachfrage des Berichterstatters erklärt, dass sie zunächst abwarten werde, bis eine Entscheidung über den vorliegenden Eilantrag getroffen worden ist. Danach werde gegebenenfalls eine Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylVfG erlassen werden. Der Antragsteller ist daher gehalten, gegebenenfalls nach Erlass einer solchen Abschiebungsanordnung um einstweiligen Rechtsschutz nachzusuchen, da nicht von vornherein ausgeschlossen ist, dass im Hinblick auf die gegenwärtige Behandlung von Asylsuchenden in Griechenland ausnahmsweise eine dem Antragsteller günstige Entscheidung in Betracht kommen könnte.

Unabhängig vom Erlass einer angekündigten Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylVfG wäre die Antragsgegnerin gehalten, eine von dieser Maßnahme unabhängige Überstellungsentscheidung nach Art. 19 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 ­ Dublin II ­ zu treffen. Diese bedürfte gemäß Art. 19 Abs. 2 S. 1 der Verordnung einer Begründung und kann gemäß Satz 2 der Vorschrift mit einem Rechtsbehelf angegriffen werden. Zwar hat nach Satz 3 ein gegen eine nach Art. 19 Abs. 1 der Verordnung getroffene Entscheidung eingelegter Rechtsbehelf keine aufschiebende Wirkung für die Durchführung der Überstellung, es sei denn, die Gerichte oder zuständigen Stellen entscheiden im Einzelfall nach Maßgabe ihres innerstaatlichen Rechts anders, wenn es nach ihrem innerstaatlichen Recht zulässig ist. § 80 Abs. 5 VwGO ermöglicht es jedoch, in einem solchen Fall die aufschiebende Wirkung einer gegen eine Überstellungsentscheidung nach Art. 19 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 gerichteten Klage anzuordnen. Aus Gründen der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG ist die Antragsgegnerin insoweit auch gehalten, dem Antragsteller durch Wahren einer entsprechenden Frist die Möglichkeit zu eröffnen, um Rechtsschutz nachzusuchen.

§ 34a Abs. 2 AsylVfG, nach dem der Vollzug einer Abschiebungsanordnung nicht nach § 80 oder § 123 VwGO ausgesetzt werden darf, ist im Rahmen des Art. 19 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 nicht anwendbar. Es ist bereits denkgesetzlich ausgeschlossen, § 34a Abs. 2 AsylVfG, der zum 1.7.1993 in Kraft getreten ist, auf die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 vom 18.2.2003 anzuwenden. Zwar gehört diese Vorschrift zum vom Gemeinschaftsgesetzgeber vorgefundenen Bestand des nationalen Asyl(verfahrens)rechts. Er hat diese Vorschrift jedoch nicht in Bezug genommen und im Geltungsbereich der Verordnung für anwendbar erklärt. Einer solchen Anwendungsanordnung durch den Gemeinschaftsgesetzgeber hätte es jedoch zwingend bedurft, um § 34a Abs. 2 AsylVfG im Rahmen der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 Geltung zu verschaffen. Es ist auch gemeinschaftsrechtlich nicht zulässig, von einer Verordnung der Europäischen Gemeinschaften vorgesehene Rechtsbehelfe durch Rückgriff auf nationales Recht ihrer verfahrensrechtlichen Wirkung zu berauben.

Ist dem Antragsteller daher nach Erlass einer Überstellungsentscheidung nach Art. 19 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 uneingeschränkt die Möglichkeit zu eröffnen, hiergegen gemäß § 80 Abs. VwGO einen Rechtsbehelf einzulegen, bedarf er im vorliegenden Verfahren nicht des von ihm begehrten einstweiligen Rechtsschutzes. [...]