OVG Berlin-Brandenburg

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Zitieren als:
OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 11.03.2008 - 2 M 55.07 - asyl.net: M14966
https://www.asyl.net/rsdb/M14966
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Prozesskostenhilfe, Erfolgsaussichten, Ausreisehindernis, Aufenthaltserlaubnis, abgelehnte Asylbewerber, offensichtlich unbegründet, Sperrwirkung, Anspruch, Sollvorschrift, Übergangsregelung, Zuwanderungsgesetz
Normen: VwGO § 166; ZPO § 114; AufenthG § 25 Abs. 5; AufenthG § 10 Abs. 3 S. 2
Auszüge:

[...]

Die Beschwerde der Kläger gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe ist begründet. Die Kläger haben nach § 166 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - in Verbindung mit § 114 der Zivilprozessordnung - ZPO - einen Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet im Verfahren der ersten Instanz hinreichende Aussicht auf Erfolg und erscheint nicht mutwillig.

Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts und des Beklagten steht dem geltend gemachten Anspruch nach § 25 Abs. 3, 4 und 5 AufenthG nicht die Sperrwirkung nach § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG entgegen. Nach dieser Vorschrift darf vor der Ausreise kein Aufenthaltstitel erteilt werden, sofern der Asylantrag nach § 30 Abs. 3 AsylVfG - d.h. als offensichtlich unbegründet - abgelehnt wurde. Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. [...] Soweit die Kläger geltend machen, die Sperrwirkung des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG greife mangels Asylantrags nicht ein, da in der mündlichen Verhandlung vom 20. September 2005 im Asylklageverfahren VG 20 X 137/03 ausweislich des Sitzungsprotokolls nicht nur die Klage, sondern auch der Asylantrag zurückgenommen worden sei, steht dies in offenkundigem Widerspruch zum Akteninhalt. Einen Beleg für ihre Behauptung – etwa durch Vorlage des erwähnten Sitzungsprotokolls – haben die Kläger nicht erbracht. Im Übrigen dürfte auch bei Rücknahme eines nach § 30 Abs. 3 AsylVfG abgelehnten Asylantrags im gerichtlichen Verfahren die Sperrwirkung des Satzes 2 erfüllt sein. Es ist kein Grund ersichtlich, die Fälle der Rücknahme im Rahmen des Satzes 2 anders zu behandeln als im Rahmen des Satzes 1. Der Sperrwirkung nach 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG lässt sich auch nicht entgegenhalten, "dass aufgrund des Fehlens einer Übergangsregelung die Berücksichtigung von vor dem 1.1.2005 ergangenen qualifizierten Asylablehnungen ausgeschlossen“ sei; denn neben dem Gesichtspunkt, dass im Rahmen von Verpflichtungsklagen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels hinsichtlich des Vorliegens der Erteilungsvoraussetzungen und des Fehlens von Versagungsgründen auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Tatsachenentscheidung abzustellen ist, spricht gerade das Fehlen einer Übergangsregelung dafür, dass sich § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG auch auf vor dem In-Kraft-Treten des Aufenthaltsgesetzes am 1. Januar 2005 als offensichtlich unbegründet abgelehnte Asylanträge bezieht (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 12. Dezember 2006 – OVG 3 M 58.06 -).

Hinreichende Erfolgssausichten der Rechtsverfolgung im Sinne von § 166 VwGO, § 114 Satz 1 ZPO sind jedoch deshalb zu bejahen, weil es zumindest als möglich erscheint, dass hier ein Fall eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Sinne des § 10 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 1 AufenthG vorliegt. Zwar kann in diesem Zusammenhang nicht der Auffassung der Kläger gefolgt werden, dass die Sperrwirkung des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG dann nicht anzuwenden sei, "wenn die Abschiebung wie im vorliegenden Fall bereits seit mehr als 18 Monaten ausgesetzt [ist] und somit ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 S. 2 AufenthG" bestehe; denn bei § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG handelt es sich nicht um eine selbstständige Anspruchsgrundlage, die einem Ausländer einen "Soll-Anspruch" auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis vermittelt, wenn die Abschiebung seit 18 Monaten ausgesetzt ist. Vielmehr ergibt sich aus der Systematik des § 25 Abs. 5 AufenthG, dass die Regelung in Satz 2 an die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG anknüpft (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2006, BVerwGE 126, 192, 200). Auf der Grundlage des Vorbringens der Kläger sowie des sonstigen Akteninhalts ist es jedoch nicht ausgeschlossen oder überwiegend unwahrscheinlich, dass im Fall der Kläger über die Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG hinaus auch diejenigen des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG erfüllt sind und die Ausländerbehörde mithin die Aufenthaltserlaubnis erteilen "soll".

Ob eine derartige Sollvorschrift, die nur in der Regel, nicht jedoch bei Vorliegen eines Ausnahmefalles die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis vorsieht, geeignet ist, einen Anspruch im Sinne von § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG (bei Fehlen eines Ausnahmefalles) zu vermitteln, ist bislang höchstrichterlich nicht geklärt. In der veröffentlichten obergerichtlichen Rechtsprechung wird eine Erstreckung der in § 10 Abs. 3 Satz 3 (1. Halbsatz) AufenthG getroffenen Regelung auf die "Soll"-Vorschrift des § 25 Abs. 5 Sätze 1 und 2 AufenthG zwar vereinzelt abgelehnt (vgl. OVG Greifswald, Urteil vom 26. September 2007 – 2 L 173/06 – zitiert nach Juris). In der Literatur wird indes überwiegend vertreten, dass § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG einen im Rahmen des § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG beachtlichen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels vermittelt, sofern nicht ein Ausnahmefall vorliegt (vgl. Discher, in: GK-AufenthG, Stand: Februar 2008, Rn. 171, 61 zu § 10 AufenthG; Renner, Ausländerrecht, 8. Auflage 2005, Rn. 37 zu § 25 AufenthG; Welte in: Jakober u.a., Aktuelles Ausländerrecht, Stand: Dezember 2007, Rn. 31 zu § 25 AufenthG; dazu neigend auch VGH München, Beschluss vom 29. September 2005 - 10 CE 05.2067 – zitiert nach Juris; ebenso - zu § 25 Abs. 3 AufenthG - Dienelt, ZAR 2005, 120, 122; soweit von Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: Dezember 2007, Rn. 16 zu § 10 AufenthG, und Marx, Ausländer- und Asylrecht, 2. Auflage 2005, § 2 Rn. 111 f., darüber hinausgehend sogar ein Anspruch infolge einer Ermessensreduzierung im Einzelfall für ausreichend gehalten wird, dürfte dies allerdings abzulehnen sein, vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22. August 2007 – OVG 2 S 61.07 -, m.w.N.). Bereits dieser Streitstand rechtfertigt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe, da sich die Rechtsfrage jedenfalls nicht eindeutig und ohne weiteres in einem den Klägern ungünstigen Sinne beantworten lässt (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 12. Dezember 2006 – OVG 3 M 58.06 -). [...]