VG Dresden

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Zitieren als:
VG Dresden, Urteil vom 15.01.2009 - 3 K 2026/07 - asyl.net: M15017
https://www.asyl.net/rsdb/M15017
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Ausweisung, zwingende Ausweisung, Drogendelikte, Generalprävention, besonderer Ausweisungsschutz, atypischer Ausnahmefall, Schutz von Ehe und Familie, deutsche Kinder, Kinder, Verhältnismäßigkeit, Privatleben
Normen: AufenthG § 53 Nr. 1; AufenthG § 53 Nr. 2; AufenthG § 56 Abs. 1; EMRK Art. 8; GG Art. 6 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Die zulässige Klage ist unbegründet. [...]

Die Beteiligten gehen zu Recht davon aus, dass der Kläger aufgrund seiner Verurteilung wegen eines Betäubungsmitteldelikts zu drei Jahren Haft die an sich zu einer zwingenden Ausweisung führenden Voraussetzungen des § 53 Nr. 1 und Nr. 2 AufenthG verwirklicht hat. Aufgrund der ihm erteilten, inzwischen als Niederlassungserlaubnis weiter geltenden unbefristeten Aufenthaltserlaubnis (§ 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthG) und seines mehr als fünfjährigen rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet, greift zu seinen Gunsten der besondere Ausweisungsschutz des § 56 Abs. 1 AufenthG. Eine Ausweisung kann nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgesprochen werden (§ 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG), wobei dies in den Fällen des § 53 AufenthG in der Regel der Fall ist. § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG bestimmt, dass der Ausländer bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 53 in der Regel ausgewiesen wird. [...]

Vor diesem Hintergrund geht das Gericht ebenso wie Ausgangs- und Widerspruchsbehörde davon aus, dass auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt kein Ausnahmefall zur Regelausweisung vorliegt. [...]

Dieser ergibt sich nach Überzeugung der Kammer insbesondere nicht daraus, dass der Kläger Vater von insgesamt 15 – davon 13 noch minderjährigen – deutschen Kindern ist und seit über 20 Jahren, mithin mehr als der Hälfte seines Lebens, in Deutschland lebt. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, schutzwürdige, von den Tatbeständen des § 56 Abs. 1 AufenthG "nicht (voll) erfasste Belange des Betroffenen im Verwaltungsvollzug" keinesfalls "schematisierend ausgeblendet werden" dürfen. "Insbesondere bei der im Laufe der Zeit angewachsenen Gruppe der im Bundesgebiet geborenen und aufgewachsenen Ausländer bedarf es bei der Entscheidung über eine Ausweisung einer individuellen Würdigung, inwieweit der Ausländer im Bundesgebiet verwurzelt ist und dies angesichts der konkreten Ausweisungsgründe bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalles einer Ausweisung entgegen steht" (BVerwG, Urteil vom 23. Oktober 2007, a.a.O.).

Eine dem vergleichbare Verwurzelung des Klägers im Bundesgebiet ist allerdings nicht festzustellen. Der Kläger lebt mit keinem seiner zahlreichen minderjährigen Kinder in familiärer Lebensgemeinschaft (vgl. § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG). Seine bislang letzte Lebensgefährtin, die Zeugin H., ist mit den gemeinsamen Kindern im April 2008 aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen. Die noch minderjährigen Kinder aus der Ehe des Klägers mit Frau A. M. leben sämtlich in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe. [...]

Auch um die – minderjährigen – Kinder aus seiner geschieden Ehe kümmert sich der Kläger nach dem Eindruck der Kammer nicht in einer Art und Weise, die geeignet wäre, das Fehlen einer gemeinsamen familiären Wohnung durch intensive andere Kontakte zu kompensieren. [...]

In der Gesamtwürdigung dieser Umstände kommt die Kammer zu dem Schluss, dass trotz des langjährigen Aufenthalts des Klägers und seiner vielen Kinder nicht von einer solchen Verwurzelung im Bundesgebiet ausgegangen werden kann, dass die Behörde zwingend eine Einzelfallwürdigung vornehmen müsste. Dem Kläger ist es vielmehr ersichtlich nicht gelungen, sich dauerhaft in das gesellschaftliche und soziale System der Bundesrepublik zu integrieren. Eine familiäre Lebensgemeinschaft mit minderjährigen Familienangehörigen besteht nicht.

Ein Ausnahmefall oder eine Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ist schließlich auch nicht aufgrund höherrangigen Rechts anzunehmen. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass die Ausweisung des Klägers gegen Art. 2 und 6 GG oder Art. 8 EMRK verstößt. [...]

Die mit der Ausweisungsverfügung verbundene Aufenthaltsbeendigung stellt zwar (auch) einen Eingriff in das Familienleben sowie die allgemeine Handlungsfreiheit des Klägers dar, denn er kann damit u. a. zunächst keinen persönlichen Umgang mit seinen in Deutschland lebenden Kindern mehr führen. Dieser Eingriff beruht allerdings auf einer gesetzlichen Grundlage und dient der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, somit einem in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziel. Er stellt sich im Rahmen einer Einzelfallbetrachtung auch zum Zeitpunkt der Kammerentscheidung nicht als unverhältnismäßig dar. Hierbei sind u. a. folgende Aspekte zueinander ins Verhältnis zu setzen: Schwere der Straftat, Art der Straftat und familiäre Situation des Betroffenen (vgl. SächsOVG, Urteil vom 31. August 2006, a.a.O.; Beschluss der Kammer vom 27. April 2007, a.a.O.).

In Anwendung dieser Grundlagen ist die Ausweisungsentscheidung nicht zu beanstanden Sie ist zum einen durch die dargestellten, zumindest generalpräventiven, Erwägungen im Hinblick auf die vom Kläger begangenen schweren Betäubungsmitteldelikte gedeckt. Darüber hinaus haben sich Ausgangs- und Widerspruchsbehörde ausführlich mit den familiären Umständen des Klägers auseinander gesetzt. Insoweit ist zwischenzeitlich keine Änderung eingetreten, die nunmehr eine andere Betrachtungsweise rechtfertigen würde. Insoweit kann vollumfänglich auf die obigen Ausführungen zur Familiensituation des Klägers verwiesen werden. [...]