VG Meiningen

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Zitieren als:
VG Meiningen, Urteil vom 22.12.2008 - 2 K 463/07 Me - asyl.net: M15029
https://www.asyl.net/rsdb/M15029
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Niederlassungserlaubnis, Familienzusammenführung, Ehegattennachzug, Doppelehe, Scheinehe, Untätigkeitsklage, Eheschließung im Ausland, Scheidung, Beweislast
Normen: VwGO § 75; AufenthG § 28 Abs. 2; AufenthG § 27 Abs. 1; EGBGB Art. 11 Abs. 1; GG Art. 6
Auszüge:

[...]

Die Klage ist als Untätigkeitsklage gemäß § 75 VwGO zulässig und begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 28 Abs. 2 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet in der Fassung der Bekanntmachung vom 25.02.2008 (BGBl. I S. 162), zuletzt geändert durch Gesetz vom 13.03.2008 (BGBl. I S. 313I) – Aufenthaltsgesetz – AufenthG.

1. Der Zulässigkeit der Klage steht nicht entgegen, dass die Beklagte über den Antrag des Klägers noch nicht entschieden hat. Nach § 75 VwGO ist eine auf den Erlass eines Verwaltungsaktes gerichtete Klage auch ohne die Durchführung eines Vorverfahrens nach § 68 VwGO zulässig, wenn über den Antrag auf Vornahme dieses Verwaltungsaktes ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden wurde. So liegt der Fall hier. Über den bereits im November 2005 erstmals gestellten Antrag hat die Beklagte bislang nicht entschieden, weil ihre Ermittlungen noch nicht abgeschlossen sind. Ein zureichender Grund für diese Verzögerung liegt jedoch nicht vor. Der Kläger hatte nämlich die Erteilungsvoraussetzungen für die von ihm beantragte Niederlassungserlaubnis an sich nachgewiesen. Die Beklagte bekam jedoch am 13.06.2006 (AS 681) aufgrund einer anonymen telefonisch eingegangenen Anzeige den Verdacht, bei der vom Kläger geschlossenen Ehe mit einer Deutschen könne es sich um eine sog. Doppelehe und daher auch um eine sog. Scheinehe handeln, weil seine Ehescheidung in Indien zum Zeitpunkt seiner Eheschließung in Dänemark angeblich nicht wirksam gewesen sei. Wenn auch die Beklagte aufgrund der anonymen Anzeige natürlich berechtigt war, diesen Gesichtspunkten zunächst im Wege der Amtsermittlung bzw. unter Aufforderung des Klägers zur Mitwirkung nachzugehen, so besteht gleichwohl kein sachlicher Grund, dem Kläger fast drei Jahre nach Antragstellung eine Entscheidung über seinen Antrag zu versagen, weil dieser nicht die angeforderten Unterlagen vorlegen konnte und eine Aufklärung von Amts wegen noch andauert.

Wann ein zureichender Grund für die Verzögerung der Entscheidung der Behörde über einen Antrag nicht – mehr – gegeben ist, lässt sich weder allgemein noch für bestimmte Sachverhalte pauschal bestimmen. Entscheidend ist der konkrete Einzelfall. Maßgeblich ist, dass es sich vorliegend um einen Antrag auf Gewährung eines für den Kläger in vielen Lebensbereichen wichtigen Aufenthaltsstatus handelt, dass er auf die Erteilung bei Vorliegen der Voraussetzungen grundsätzlich einen Anspruch hat und dass er aus seiner Sicht das Vorliegen der Voraussetzungen dargetan und nachgewiesen hatte. Hieraus ergibt sich eine gewisse Dringlichkeit der Bearbeitung, wobei diese sich nicht in einer bestimmten Anzahl von Monaten festlegen lässt, andererseits jedoch ersichtlich ist, dass ein Abwarten über mehrere Jahre allenfalls dann sachlich gerechtfertigt sein kann, wenn die Verzögerung allein im Verhalten des Antragstellers begründet liegt. In Anbetracht dieser für eine rasche Entscheidung sprechenden Umstände war es nicht sachlich gerechtfertigt, auf eine lediglich telefonisch und anonym eingegangene Anzeige hin – der weder konkretere Verdachtsumstände noch Belege zu entnehmen waren – die Erteilung der an sich zu beanspruchenden Niederlassungserlaubnis von umfangreichen, vor allem zeitraubenden und allerWahrscheinlichkeit nach ohnehin kaum erfolgversprechenden weiteren Ermittlungen abhängig zu machen und zudem die Nichterweislichkeit des Vorliegens einer wirksamen Scheidung in Indien – zum Anlass zu nehmen, überhaupt nicht mehr zu entscheiden. Dies gilt um so mehr, als auch aus Behördensicht ohnehin hätte fraglich sein müssen, ob es auf diese Frage überhaupt ankommen kann, da möglicherweise die dänische Heirat selbst bei Vorliegen einer sog. Doppelehe von Seiten der deutschen Behörden gar nicht würde angefochten werden können, so dass diese Heirat auch bei Bestehen einer weiteren Ehe in Indien möglicherweise als wirksam hätte akzeptiert werden müssen. Bei der Kompliziertheit der hiermit angesprochenen Rechtsfragen und der Schwierigkeit, zeitnah eine Sachaufklärung zu erhalten, hätte es für die Beklagte naheliegen müssen, dass entweder eine Niederlassungserlaubnis zunächst hätte erteilt werden müssen, die bei späterer Aufklärung des Sachverhaltes dann gegebenenfalls hätte zurückgenommen werden können. Soweit die Beklagte aber davon ausgehen wollte, dass der Kläger die Beweislast für die Nichterweislichkeit der Ehescheidung in Indien zu tragen habe, so wäre auch in diesem Fall, hier spätestens ab dem Zeitpunkt des Nichtreagierens der Deutschen Botschaft in Delhi auf die erneute Anfrage im Februar 2007, nach Auffassung des Gerichts u.U. jedoch bereits erheblich früher, kein sachlicher Grund mehr gegeben, die negative Entscheidung über den klägerischen Antrag hinauszuzögern. Die Klage ist mithin jedenfalls im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts zulässig.

2. Der Kläger kann die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 28 Abs. 2 AufenthG beanspruchen. Nach dieser Vorschrift ist dem ausländischen Ehegatten einer deutschen Staatsangehörigen in der Regel eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen, wenn er drei Jahre im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis ist, die familiäre Lebensgemeinschaft mit der Deutschen im Bundesgebiet fortbesteht, kein Ausweisungsgrund vorliegt und er sich auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen kann. Vom Vorliegen dieser Voraussetzungen im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung als dem maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt ist auszugehen.

2.1 Insbesondere kann allein die anonyme Anzeige, die lediglich die Behauptung, aber keinerlei handgreifliche Indizien geschweige denn Nachweise hierzu lieferte, dass der Kläger in Indien nicht wirksam geschieden gewesen sei, nicht dazu führen, das Vorliegen einer gültigen Eheschließung mit seiner deutschen Ehefrau in Frage zu stellen. Der Kläger hat eine formal wirksame Eheschließung durch die Vorlage des dänischen Trauscheins nachgewiesen. Gemäß Art. 11 Abs. 1 EGBGB genügt hierfür die Einhaltung der dänischen Ortsform, die durch die Vorlage der Heiratsurkunde nachgewiesen ist. Auch die materielle Gültigkeit dieser Eheschließung kann derzeit nicht angezweifelt werden. Sollte die Ehe des Klägers in Indien tatsächlich nicht wirksam geschieden gewesen sein, als der Kläger in Dänemark eine deutsche Staatsangehörige heiratete, so würde dies nach dem – hierfür allerdings nach den Regeln des Internationalen Privatrechts nicht maßgeblichen – deutschen Recht zwar dazu führen, dass die Ehe als sog. Doppelehe – auch von Seiten der Behörde – anfechtbar wäre. Maßgeblich ist jedoch für die materielle Wirksamkeit der Ehe das Vorliegen der Ehevoraussetzungen nach dem jeweiligen Heimatrecht des jeweiligen Eheschließenden (vgl. Art. 13 Abs. 1 EGBGB). Ob nach indischem Personenstandsrecht eine bestehende Ehe ein Ehehindernis für eine weitere Eheschließung und ob eine zweite Eheschließung dann wirksam, unwirksam oder aber anfechtbar wäre, kann vorliegend jedoch dahinstehen. Denn ersichtlich ist die in Dänemark geschlossene Ehe derzeit nicht angefochten. Ob dies geschehen könnte und nach welcher Rechtsordnung dies zu entscheiden wäre, möglicherweise der dänischen (Art. 11 Abs. 1 EGBGB), bedarf auch keiner Aufklärung durch das Gericht.

Hierzu wird in der – auch obergerichtlichen – Rechtsprechung allerdings vertreten, dass eine sog. Doppelehe – unabhängig von der Frage ihrer zivilrechtlichen Wirksamkeit – ebenso wie die sog. Scheinehe aus ausländerrechtlicher bzw. aufenthaltsrechtlicher Sicht nicht schützenswert sei, so dass kein Anspruch nach § 28 Abs. 1 oder 2 AufenthG aus der zweiten Ehe bestehe (vgl. VGH Mannheim B. v. 21.08.2007 11 S 995/07; VG München U. v. 8.11.2007 M 24 K 06.3979; juris). Nachdem § 27 Abs. 1 AufenthG ebenso wie der frühere § 17 Abs. 1 AuslG ausdrücklich auf Art. 6 GG Bezug nimmt, soll ausländer- bzw. aufenthaltsrechtlich nur die Ehe geschützt werden, die den hiesigen kulturellen Wertvorstellungen entspricht, also die sog. Einehe (BVerfGE 62, 323). Nach Auffassung des Gerichts ist vorliegend jedoch mangels entgegenstehender greifbarer Anhaltspunkte vom Vorliegen einer aufenthaltsrechtlich schützenswerten Ehe auszugehen. Denn der Kläger, der sich derzeit auf eine formal und materiell gültige ausländische Eheschließung berufen kann, hat bei seinem Antrag auf Visumserteilung im Jahr 2002 hinreichend glaubhaft gemacht, dass seine frühere Ehe in Indien im Jahr 1994 geschieden wurde. Er hat dies durch die eidesstattliche Versicherung seiner damaligen Ehefrau belegt, was die entscheidende Ausländerbehörde damals für ausreichend erachtete. Dem steht nur die durch keinerlei Belege untermauerte anonyme Behauptung gegenüber, er sei nicht wirksam geschieden. Dem Aktenvermerk über diese anonyme telefonische Anzeige lässt sich in keiner Weise entnehmen, ob es sich um jemanden aus dem Umfeld des Klägers handelte und woher dieser sein angebliches Wissen um die fehlende Scheidung in Indien bezog. Demgegenüber hat der Kläger glaubhaft versichert, nie ein schriftliches Scheidungsurteil besessen zu haben. Eine zeitnahe Aufklärung des vagen Verdachts, der Kläger sei noch wirksam in Indien verheiratet, ist ersichtlich nicht möglich. Angesichts dieser ausgesprochen dünnen Verdachtsmomente kann dem Kläger – ebenso wie seiner deutschen Ehefrau – der aufenthaltsrechtliche Schutz aus § 28 AufenthG, Art. 6 GG nicht versagt werden. [...]

2.3 Es ist auch davon auszugehen, dass die familiäre/eheliche Lebensgemeinschaft des Klägers mit seiner deutschen Ehefrau in der Bundesrepublik nach wie vor fortbesteht. [...]

Hierfür spricht auch nicht allein das Vorliegen zweierWohnsitze während der Arbeitswoche. Entscheidend für die aufenthaltsrechtlichen Schutzwirkungen des Art. 6 GG ist nicht zwangsläufig ein dauerndes Zusammenleben der Ehegatten, sondern die tatsächliche persönliche Verbundenheit zwischen ihnen (vgl. BVerfG B. v. 22.12.2003, FamRZ 2004, 356; Hess VGH B. v. 16.01.2007, NVwZ-RR 2007, 491; VG Sigmaringen B. v. 12.01.2008, 6 K 2712/07). Für das Bestehen der ehelichen Lebensgemeinschaft trägt bei Vorliegen von Umständen, die berechtigten Anlass zu Zweifeln bieten, zwar grundsätzlich der Ausländer die Darlegungs- und Beweislast (Hess VGH a.a.O.; VG Darmstadt B. v. 28.03.2008, 7 G 1447/07; juris). Der Kläger kann für seinen Aufenthalt unter der Woche in Göttingen seine eigene Berufstätigkeit, die Ehefrau des Klägers für ihren Aufenthalt während der Woche in Erfurt ihre Berufstätigkeit sowie die Pflege ihrer Eltern in dieser Gegend anführen. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung auch dargelegt, dass er an den Wochenenden, soweit seine berufliche Betätigung – das Betreiben mittlerweile mehrerer indischer Restaurants in G. – dies erlaubt, zu seiner in E. lebenden und arbeitenden Ehefrau fährt, um mit ihr gemeinsam das Wochenende zu verbringen. Der Kläger war auch immer am Wohnsitz seiner deutschen Ehefrau mit Hauptwohnsitz gemeldet. Dem hat die Beklagte nichts als die allgemeine Vermutung, eine eheliche Gemeinschaft werde in diesem Fall nicht mehr gelebt, entgegenzusetzen. Auch spricht das Fehlen des Namens des Klägers Anfang des Jahres 2006 an der Wohnungsklingel allein noch nicht aussagekräftig für das Vorliegen einer Scheinehe. Dass der Kläger anfänglich nicht Mitmieter der Wohnung in der S.-straße in E. war, ist ebenfalls nicht geeignet, das Vorliegen einer Scheinehe anzunehmen. Mit Datum vom 16.05.2006 haben die Vermieter eine Mietbescheinigung ausgestellt, aus der sich ergibt, dass der Kläger gemeinsam mit seiner Ehefrau als Mieter der Wohnung erfasst ist. Aktuelle gegenläufige Ermittlungen hat die Ausländerbehörde offenbar auch nicht veranlasst gesehen. Vom Vorliegen einer Scheinehe kann daher zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht ausgegangen werden. [...]