OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 19.12.2008 - 8 A 3053/08.A - asyl.net: M15031
https://www.asyl.net/rsdb/M15031
Leitsatz:

Ein Beweisantrag auf ein Sachverständigengutachten darf nicht mit der Begründung abgelehnt werden, das vorgelegte Gutachten zur psychischen Erkrankung genüge nicht den Mindestanforderungen, da es nicht von einem Psychiater, sondern einem Psychologischen Psychotherapeuten stammt.

 

Schlagwörter: Verfahrensrecht, Berufungszulassungsantrag, Verfahrensmangel, rechtliches Gehör, Beweisantrag, Sachverständigengutachten, psychische Erkrankung, posttraumatische Belastungsstörung, fachärztliche Stellungnahme, Psychologen, psychologische Psychotherapeuten
Normen: AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 3; VwGO § 138 Nr. 3
Auszüge:

Ein Beweisantrag auf ein Sachverständigengutachten darf nicht mit der Begründung abgelehnt werden, das vorgelegte Gutachten zur psychischen Erkrankung genüge nicht den Mindestanforderungen, da es nicht von einem Psychiater, sondern einem Psychologischen Psychotherapeuten stammt.

(Leitsatz der Redaktion)

 

[...]

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung ist begründet.

Die Berufung ist jedenfalls gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG zuzulassen. Mit ihrem Vortrag, das Verwaltungsgericht habe den in der mündlichen Verhandlung gestellten Hilfsbeweisantrag nicht wegen mangelnder Substantiierung ablehnen dürfen, beruft sich die Klägerin der Sache nach auf einen in § 138 VwGO bezeichneten Verfahrensmangel. Die gerügte Versagung rechtlichen Gehörs (vgl. § 138 Nr. 3 VwGO) liegt auch vor.

Der Anspruch auf rechtliches Gehör wird verletzt, wenn die Ablehnung eines Beweisantrags im Prozessrecht objektiv keine Stütze findet (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 8. November 1978 - 1 BvR 158/78 -, BVerfGE 50, 32 (35 f.), und vom 29. November 1983 - 1 BvR 1313/82 -, BVerfGE 65, 305 (307); BVerwG, Beschluss vom 24. März 2000 - 9 B 530.99 -, Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 308).

Die Ablehnung eines Beweisantrags als unsubstantiiert kommt nur in Betracht, wenn für die zugrunde liegenden Tatsachenbehauptungen – hier: eine traumabedingte psychische Erkrankung der Klägerin, die sowohl für die Würdigung ihres Vorbringens als auch für die Feststellung eines krankheitsbedingten Abschiebungsverbots erheblich sein kann – nicht wenigstens eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht, wenn sie mit anderen Worten ohne greifbare Anhaltspunkte willkürlich aufgestellt und aus der Luft gegriffen sind (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 27. März 2000 - 9 B 518.99 -, Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 60, vom 19. April 2000 - 9 B 170.00 -, NVwZ 2000, 1042, und vom 30. Januar 2002 - 1 B 326.01 -, Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 69, jeweils m.w.N.).

Nach der vom Verwaltungsgericht zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 11. September 2007 - 10 C 8.07 -, BVerwGE 129, 251) gehört zur Substantiierung eines Sachverständigenbeweisantrags, der das Vorliegen einer behandlungsbedürftigen posttraumatischen Belastungsstörung zum Gegenstand hat, angesichts der Unschärfen des Krankheitsbildes sowie seiner vielfältigen Symptome "regelmäßig" die Vorlage eines gewissen Mindestanforderungen genügenden fachärztlichen Attests, aus dem sich nachvollziehbar ergeben muss, auf welcher Grundlage der Arzt zu seiner Diagnose gelangt ist und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt.

Das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung, dem Vorbringen der Klägerin, sie sei infolge der in der Türkei erlittenen – auch sexuellen – Gewalt psychisch erkrankt, weder von Amts wegen noch auf den in der mündlichen Verhandlung gestellten (Hilfs-) Beweisantrag nachzugehen, damit begründet, dass das Bestehen einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht substantiiert dargetan sei. Das vorgelegte Gutachten eines Diplom-Psychologen und Psychologischen Psychotherapeuten genüge den vom Bundesverwaltungsgericht aufgezeigten "gewissen Mindestanforderungen" nicht, da Psychologische Psychotherapeuten über eine wesentlich andere Ausbildung und Qualifikation als Mediziner verfügten; zur Diagnose von Erkrankungen seien mit Rücksicht auf ihre Ausbildung zuvorderst (Fach-) Ärzte berufen.

Dieser Grundsatz ist dem vom Verwaltungsgericht angeführten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. September 2007 indessen nicht zu entnehmen. Insbesondere folgt daraus nicht, dass die gutachterliche Stellungnahme eines Psychologischen Psychotherapeuten zur Substantiierung eines Sachverständigenbeweisantrags schlechthin ungeeignet wäre. Das Bundesverwaltungsgericht hat vielmehr lediglich den Grundsatz aufgestellt, dass zur Substantiierung eines Sachverständigenbeweisantrags, der das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung zum Gegenstand habe, "regelmäßig" die Vorlage eines fachärztlichen Attests gehöre. Darauf, bei welchen Fallgestaltungen Ausnahmen von dieser Regel angezeigt sind, kam es für das Bundesverwaltungsgericht nicht.

Die Auffassung des Verwaltungsgerichts trifft auch nicht zu. Wie der Senat bislang stets vorausgesetzt hat (vgl. nur OVG NRW, Urteil vom 9. Dezember 2003 - 8 A 5501/00.A -, juris), sind neben Fachärzten auch Psychologische Psychotherapeuten aufgrund ihrer fachlichen Qualifikation befähigt, psychische Erkrankungen, mithin auch posttraumatische Belastungsstörungen, zu diagnostizieren.

Gemäß § 5 des Psychotherapeutengesetzes – PsychThG – dauert die Ausbildung zum Psychologischen Psychotherapeuten in Vollzeitform mindestens drei Jahre, in Teilzeitform mindestens fünf Jahre. Sie schließt mit einer staatlichen Prüfung ab. Voraussetzung für den Zugang zu dieser Ausbildung ist u. a. ein abgeschlossenes Studium der Psychologie, das das Fach Klinische Psychologie einschließt. Ziel und Gegenstand der Ausbildung zum Psychologischen Psychotherapeuten ist gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 1 der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Psychologische Psychotherapeuten – PsychTh-APrV – unter anderem die Vermittlung von Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten, die erforderlich sind, um in Diagnostik, Therapie und Rehabilitation von Störungen mit Krankheitswert, bei denen Psychotherapie indiziert ist, auf den wissenschaftlichen, geistigen und ethischen Grundlagen der Psychotherapie eigenverantwortlich und selbständig handeln zu können. Die über die theoretische Ausbildung hinaus erforderliche praktische Tätigkeit umfasst insbesondere eine mindestens 1.200 Stunden dauernde Tätigkeit an einer psychiatrischen klinischen Einrichtung, während der der Ausbildungsteilnehmer an der Diagnostik und Behandlung zu beteiligen ist (vgl. § 2 Psych-ThAPrV). Dementsprechend zählt das Heilberufsgesetz den Beruf eines Psychologischen Psychotherapeuten zu den Heilberufen (§ 1 Satz 1 Nr. 3 HeilBerG). [...]