Asylanerkennung wegen illegaler Ausreise aus Myanmar und Asylantragstellung in Deutschland.
Asylanerkennung wegen illegaler Ausreise aus Myanmar und Asylantragstellung in Deutschland.
(Leitsatz der Redaktion)
[...]
Die Klage ist zulässig und begründet. Ziff. 1 des Bescheids des Bundesamtes vom 10.06.2008 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter zu (Art. 16 a Abs. 1 GG, § 2 Abs. 1 AsylVfG). [...]
Dem Kläger steht das Asylrecht im Sinne des Art. 16 a Abs. 1 GG zu, weil er bei einer Rückkehr in sein Heimatland zum jetzigen Zeitpunkt und auf absehbare Zeit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit – aufgrund subjektiver Nachfluchtgründe (§ 28 Abs. 1 AsylVfG) – der Gefahr politischer Verfolgung ausgesetzt wäre. Denn nach der Erkenntnislage ist – und davon ist wohl auch das Bundesamt bei seiner Entscheidung zu § 60 Abs. 1 AufenthG ausgegangen – damit zu rechnen, dass der Kläger aufgrund seiner illegalen Ausreise, von der das Gericht aufgrund seiner glaubhaften Angabe überzeugt ist, und Asylantragstellung bei einer Rückkehr in sein Heimatland mit erheblichen staatlichen Repressionen zu rechnen hätte. In Myanmar werden Personen, die – wie der Kläger, der im Besitz eines vermutlich gefälschten, jedenfalls illegal erworbenen Passes war, – das Land ohne gültige Reisepapiere verlassen haben, wegen Gefährdung der Sicherheit und des Friedens des Landes nach dem "Immigration Act" von 1947 bzw. dem 1950 erlassenen Notstandsgesetz ("Emergency Provisions Act") bestraft. Rückkehrer werden in der Regel direkt am Flughafen von myanmarischen Sicherheitskräften empfangen und verhört. Es besteht dabei die akute Gefahr von Folter, Verurteilung in einem nicht rechtsstaatlichen Verfahren und anschließender langjähriger Inhaftierung (s. VG Aachen, Urt. v. 30.05.2008 - 5 K 435/06.A m.w.N.; vgl. AA, Auskunft vom 25.09.2002 an VG Kassel; amnesty international, Auskunft vom 02.09.2005 an VG Wiesbaden; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Gutachten vom 02.02.2006; Burma Büro e.V., Auskunft vom 25.05.2004 an VG Wiesbaden; Asienstiftung, Auskünfte vom 12.11.2007 an VG Karlsruhe und vom 14.10.2004 an VG Wiesbaden; UNHCR Auskünfte vom 02.11.2007 an VG Karlsruhe und vom 12.10.2007 an Bundesamt ).
Das Stellen eines Asylantrages im Ausland wird, wenn es den myanmarischen Behörden, die in Deutschland vermutlich über ein Spitzelsystem verfügen, bekannt wird, als regierungsfeindliche Aktivität betrachtet und entsprechend geahndet. Die hierüber Auskunft gebenden Stellen berufen sich bei ihrer Einschätzung der Gefährdungssituation auf den Fall des aus der Schweiz abgeschobenen Asylsuchenden Stanley Van Tha, der bei seiner Rückkehr nach Myanmar verhaftet und dort zu 19 Jahren Gefängnis verurteilt worden ist (vgl. AA, Auskunft vom 27.04.2005 an VG Gießen; amnesty international, Gutachten vom 02.09.2005 an VG Wiesbaden). Diesem Einzelfall kommt ein erhebliches Gewicht im Hinblick auf die allgemeine Situation von nach Myanmar zurückkehrenden bzw. dorthin abgeschobenen Asylsuchenden zu. Denn Myanmar zählt nach Ansicht aller neutraler Beobachter zu den repressivsten Staaten weltweit, die Menschenrechtslage ist seit Jahren unverändert prekär. Massive Restriktionen, Drangsalierungen und Einschüchterungen oppositioneller Kräfte sind an der Tagesordnung. "Regierungsfeindliche" Aktivitäten, auch friedliche Proteste, werden, wie die blutige Niederschlagung der Proteste im Herbst 2007 erneut gezeigt hat, systematisch verfolgt und bestraft. Auf den Bericht von Human Rights Watch: Crackdown - Repression of the 2007 Popular Protests in Burma vom Dezember 2007 (im Folgenden mit Seitenzahlen der Übersetzung zitiert) wird verwiesen. Daraus geht hervor, dass die Militärregierung gegen die wegen der Lebensmittelpreise protestierende Bevölkerung mit massiver Gewalt, Inhaftierungen, Folterungen und Misshandlungen, Verhören und Meldeauflagen vorgegangen ist. Friedliche Demonstrationen, in die betende Mönche eingebunden waren oder durch ihre Präsenz veranlasst wurden, lösten die Militärs durch nicht oder kurzfristig angekündigte Schießereien auf die Teilnehmer auf (Übersetzung S. 21 ff., 34 ff.). Sowohl Demonstrationsteilnehmer als auch daran unbeteiligte Menschen kamen durch Schüsse zu Tode (s. Übersetzung S. 37f). Andere wurden geschlagen, verhaftet und mehrere Tage festgehalten (Übersetzung S. 54). Darüber hinaus griffen die Militärs Mönche beim Gebet körperlich an, verhafteten einen Teil der Mönche und lösten sogar Klöster gewaltsam auf (Übersetzung S. 55ff.). Die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi, die Symbolfigur der Opposition, steht seit mehr als einem Jahrzehnt trotz intensiver Proteste der Weltöffentlichkeit unter Hausarrest. Grundlegende Bürgerrechte wie die Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie das Recht auf ein faires Verfahren werden versagt, zahlreiche schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen sind dokumentiert und belegt. Myanmar stellt sich angesichts der seit Jahrzehnten anhaltenden Diktatur der Militärjunta demnach als Unrechtsstaat dar, in dem oppositionspolitisch auffällig gewordene Menschen landesweit von Verfolgung bedroht sind (vgl. u. a. amnesty international, Auskunft v. 02.09.2005 an VG Wiesbaden; s. VG Aachen, Urt. v. 30.05.2008 - 5 K 435/06.A m.w.N. [juris]; VG Karlsruhe, Urt. v. 14.08. 2007 - A 11 K 586/07 m.w.N.). Angesichts dieses systematischen brutalen Vorgehens auch gegen vermeintlich Oppositionelle in Myanmar ist davon auszugehen, dass der Fall Stanley Van Tha keinen Einzelfall darstellt, sondern als erster bekannt gewordener Fall die generelle Praxis des Militärregimes Myanmars im Umgang mit zurückkehrenden Asylsuchenden widerspiegelt (VG Aachen, Urt. v. 30.05.2008 - 5 K 435/06.A m.w.N. [juris]).
Daher ist auch im Fall des Klägers, damit zu rechnen, dass ihm bei einer Rückkehr nach Myanmar mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit asylrechtlich erhebliche und den Asylanspruch letztlich tragende Repressionen wegen der illegalen Ausreise und der Asylantragstellung drohen.
Allerdings gehören die eine politische Verfolgung nach sich ziehende Beantragung von Asyl und eine die Gefahr einer politisch motivierten Bestrafung auslösende Republikflucht nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu den sogenannten subjektiven Nachfluchtgründen im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG. Danach wird ein Ausländer in der Regel nicht als Asylberechtigter anerkannt, wenn die Gefahr politischer Verfolgung auf Umständen beruht, die er nach Verlassen seines Herkunftslandes aus eigenem Entschluss geschaffen hat, es sei denn, dieser Entschluss entspricht einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung. Satz 1 findet insbesondere keine Anwendung, wenn der Ausländer sich auf Grund seines Alters und Entwicklungsstandes im Herkunftsland noch keine feste Überzeugung bilden konnte (Satz 2) (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.08.1988 - 9 C 80.87 -, BVerwGE 80, 131 und Urt. v. 06.12.1988 - 9 C 22.88 -, BVerwGE 81, 41 m.w.N.). Der Gesetzgeber hat in § 28 Abs. 1 S. 1 AsylVfG die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts zur Anerkennung subjektiver Nachfluchtgründe übernommen und deutlich gemacht, dass der kausale Zusammenhang zwischen (drohender) Verfolgung und Flucht das maßgebliche Entscheidungskriterium ist für die Frage der Erheblichkeit eines subjektiven Nachfluchtgrundes (vgl. Marx, Kommentar zum Asylverfahrensgesetz, 7. Aufl., § 28 AsylVfG Rdz. 26 m.w.N.; vgl. auch Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, § 28 AsylVfG Rdz. 11, 20). Die Formulierung in Satz 2 dieser Vorschrift "in der Regel" ist wie in anderen gleichlautenden gesetzlichen Regelungen ein vom Gericht voll überprüfbarer unbestimmter Rechtsbegriff. In der Regel bedeutet, dass es Ausnahmen gibt. Satz 2 dieser Vorschrift verdeutlicht dies durch dieWortwahl "insbesondere", womit zugleich klargestellt wird, dass die Aufzählung der Beispiele in Satz 2 nicht abschließend ist. Für die Bildung weiterer Ausnahmefälle ist auf die bisherige höchstrichterliche Rechtsprechung zur Beachtlichkeit subjektiver Nachfluchtgründe zurückzugreifen.
Der Verfolgungsgrund des illegalen Grenzübertritts, der zeitgleich mit der Ausreise aus dem Heimatstaat hervorgerufen wird und damit zwischen den vor dem Verlassen des Heimatstaates entstandenen und den danach entstehenden Verfolgungsgründen liegt, wird bei der gebotenen wertenden Betrachtungsweise vom Tatbestand des Art. 16 a Abs. 1 GG (ehemals Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG) nur dann erfasst, wenn sich der Asylsuchende vor seiner illegalen Ausreise aus politischen Gründen in einer Gefährdungslage befunden hat, die zumindest latent im Sinne einer zwar noch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohenden, nach den gesamten Umständen jedoch auf absehbare Zeit auch nicht auszuschließenden politischen Verfolgung bestanden haben muss (BVerwG, Urt. v. 06.12.1988, a.a.O., m.w.N.).
Unter einer latenten Gefährdungslage ist eine Lage zu verstehen, in der dem Ausländer – aufgrund objektiver Umstände – vor seiner Ausreise im Heimatstaat politische Verfolgungsmaßnahmen zwar nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohten, nach den gesamten Umständen jedoch auf absehbare Zeit auch nicht hinreichend sicher auszuschließen waren, weil Anhaltspunkte vorlagen, die ihren Eintritt als nicht ganz entfernt erscheinen ließen. Sie entspricht damit im wesentlichen einer Situation, in die zurückzukehren einem Vorverfolgten nicht angesonnen werden kann (vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 17.01.1989 - 9 C 56/88 -, BVerwGE 81, 170 ff. m.w.N. unter Hinweis auf BVerfG, Beschl. v. 26.11.1986 - 2 BvR 1085/85 -, BVerfGE 74, 51 ff. u. BVerwG, Urt. v. 25.09.1984 - BVerwG 9 C 17.84 - BVerwGE 70, 169). Eine in dieser Weise gekennzeichnete latente Gefährdungslage kann z.B. vorliegen, wenn sich der Ausländer in seinem Heimatstaat durch regimekritische Äußerungen verdächtig gemacht hat, eine von der herrschenden Staatsdoktrin abweichende politische Überzeugung zu besitzen. Sie ist indessen nicht auf diesen Fall beschränkt. Eine nicht ganz entfernt liegende politische Verfolgungsgefahr kann auch dann gegeben sein, wenn ein Ausländer, der sich in seinem Heimatstaat nicht politisch betätigt hat, dort aus sonstigen Gründen, z.B. wegen seiner Herkunft, seiner Abstammung oder seiner Volkszugehörigkeit, das Misstrauen seines Heimatstaats hervorgerufen hat. Je nach den konkreten Umständen des einzelnen Falles lässt sich in einer solchen Situation ein plötzliches Umschlagen in konkrete politische Verfolgung auch aus geringfügigem Anlass nicht hinreichend sicher ausschließen. Wer aus Furcht hiervor seinen Heimatstaat verlässt und einen – sodann politische Verfolgung nach sich ziehenden – Asylantrag stellt, erbringt aus der Sicht des Verfolgerstaats sozusagen den endgültigen Beweis für eine bereits zuvor vermutete, auf abweichender politischer Gesinnung beruhende politische Gegnerschaft (BVerwG, Urt. v. 06.12.1988, a.a.O., m.w.N.).
Eine solche latente Gefährdungslage ist im Falle des Klägers zu bejahen. Denn das Gericht glaubt dem Kläger, dass den Behörden Myanmars bekannt geworden ist, dass er Studenten befördert hatte und dass er deshalb jedenfalls verdächtigt werden konnte, eine regimefeindliche Gesinnung zu besitzen. Des Weiteren folgt das Gericht dem Kläger darin, das er bei einer Fahrt Offiziere und andere Militärangehörige beförderte und, weil sein Wagen dabei stehengeblieben war, zu Unrecht verdächtigt wurde, mit Absicht das Fahrzeug kaputtgemacht zu haben, und dass die Militärangehörigen zu Fuß bei starkem Regen weitergehen mussten. [...] Entscheidend ist, dass aufgrund der aufgezeigten Umstände in seinem Fall eine Situation bestand, die vor dem Hintergrund der besonderen politischen Situation Ende September 2007 in Myanmar mit Leichtigkeit bereits im Heimatland vor seiner endgültigen Ausreise in eine Verfolgung hätte umschlagen können (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.01.1989 - 9 C 56/88 -, a. a.O.). Denn die politische Lage in Myanmar war Ende 2007 darauf ausgerichtet, jedes regimefeindliche Verhalten zu unterdrücken und gegebenenfalls mit Gewalt niederzuschlagen. Diese Gefahr bestand auch noch bei seiner Ausreise im April 2008.
In dieser Annahme sieht sich das Gericht aufgrund der im Bericht von Human Watch Rights vom Dezember 2007 enthaltenen Beschreibung der Situation in Myanmar am 29.09.2007 bestätigt. [...]