Erkennbar für die UNITA tätige Personen sind derzeit und auf absehbare Zeit vor erneuter Verfolgung in Angola nicht hinreichend sicher.
Erkennbar für die UNITA tätige Personen sind derzeit und auf absehbare Zeit vor erneuter Verfolgung in Angola nicht hinreichend sicher.
(Leitsatz der Redaktion)
[...]
Die Berufung ist mit den zuletzt gestellten Anträgen auch begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Anfechtungsklagen insoweit zu Unrecht abgewiesen. [...]
Der Widerruf der Asyl- und Flüchtlingsanerkennungen sowie die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG sowie Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen, finden gleichwohl keine Rechtsgrundlage in § 73 Abs. 1 und 2b AsylVfG in der mangels einschlägiger Übergangsregelung anwendbaren, seit 28.08.2007 geltenden Fassung des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.08.2007 (BGBl. I S. 1970) (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylVfG).
1. Nach der – verfassungsgemäßen (vgl. BVerwG, Urt. v. 01.11.2005 – 1 C 21.04 -, BVerwGE 124, 276) – Vorschrift des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG sind die Anerkennung als Asylberechtigter und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bzw. die bisherige Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG bzw. § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, – vorbehaltlich des hier nicht einschlägigen Satzes 3 – unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. [...]
a) Zwar droht dem Kläger zu 1 aufgrund seiner früheren "herausgehobenen" Tätigkeit für die UNITA – von einer solchen ist aufgrund der Feststellungen im rechtskräftigen Verpflichtungsurteil auszugehen – und seiner späteren exilpolitischen Betätigung bei einer Rückkehr nach Angola ersichtlich nicht mehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung (vgl. insbes. British Home Office, Operational Guidance Note v. 11. bzw. 29.07.2008, 3.8.8 "clearly unfounded"), doch ist er vor einer solchen – derzeit und auf absehbare Zeit – nicht hinreichend sicher. Da der Kläger Angola vorverfolgt verlassen hat, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts der herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab und nicht, wie das Bundesamt anzunehmen scheint, der allgemeine Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit anzuwenden; eine entsprechende Anwendung der Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG dürfte insofern zum gleichen Ergebnis führen (vgl. BVerwG, Vorabentscheidungsersuchen v. 07.02.2008 - 10 C 33.07 -, a.a.O.; UNHCR, Stellungnahme v. August 2008 an den EuGH, Asylmagazin 2008, 30 33>).
Bei seiner Einschätzung geht der Senat aufgrund der zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Erkenntnisquellen von folgender Situation in Angola aus:
Nachdem der jahrzehntelange Bürgerkrieg zwischen der Rebellen-UNITA und der MPLA-Regierung im März 2002 sein Ende gefunden und die Verhandlungen zwischen den Bürgerkriegsparteien am 04.04.2002 zu einem Waffenstillstandsabkommen mit einer Wiederaufnahme der Umsetzung des Lusaka-Protokolls vom November 1994 geführt hatten, gibt es seitdem in fast allen Bereichen Fortschritte zu verzeichnen. Die UNITA wurde an der Regierung beteiligt und erhielt daneben auch führende Positionen in den Provinzen. Die Regierung hatte auch zugesagt, die Reorganisation der UNITA zur politischen Partei nicht zu behindern. Die beschlossene Demobilisierung der UNITA-Kämpfer konnte trotz Anlaufschwierigkeiten ohne nennenswerte Zwischenfälle durchgeführt und am 30.07.2002 abgeschlossen werden; die demobilisierten Kämpfer erhielten Hilfen zur Integration in das zivile Leben bzw. wurden zu einem kleinen Teil (ca. 5.000) bis Oktober 2004 in die angolanischen Streitkräfte FAA integriert. Auch das bereits am 02.04.2002 vom Parlament verabschiedete Amnestiegesetz, das Straffreiheit für alle UNITA-Kombattanten vorsieht, die sich innerhalb von 45 Tagen ergeben und ihre soziale Integration in die Gesellschaft akzeptiert haben, wurde umgesetzt. Diese Bestimmungen werden auch auf Personen angewandt, die erst jetzt aus dem Ausland zurückkehren. Ob davon auch lediglich politisch tätige Anhänger der UNITA profitieren konnten, ist allerdings nicht bekannt (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Angola – Die Situation seit dem Friedensabkommen vom 04. April 2002 – Update, Oktober 2002). Am 05.09.2008 haben nunmehr auch die seit 1992 ersten Parlamentswahlen stattgefunden, die zuletzt mehrfach vertagt worden waren. An diesen konnte sich auch die UNITA beteiligen, die sich inzwischen zu einer ihre verschiedenen Fraktionen wieder vereinigenden politischen Partei entwickelt hatte. Auch wenn sich politische Parteien seit 2002 grundsätzlich betätigen können, kann von für alle Parteien gleichen Voraussetzungen nicht die Rede sein. Abgesehen davon, dass die staatlichen Medienanstalten zugunsten der MPLA eingesetzt wurden (vgl. FAS v. 07.09.2008 "Die bösen Jahre sind noch nicht vorbei") und für die Oppositionsparteien außerhalb Luandas kein freier Zugang zu den elektronischen Medien bestand, wurde von staatlich finanzierten Wahlgeschenken (vgl. hierzu auch Africa Yearbook 2006, Angola, S. 409, 2007) durch die MPLA und Einschüchterungen durch deren Sympathisanten gesprochen (vgl. British Home Office, Country of Origin Information Key Documents, 1/2006, S. 7; FR v. 05.09.2008 "Das reichste arme Land der Welt wählt"). Die Wahl wurde von der Regierungspartei MPLA mit knapp 82 % der abgegebenen Stimmen gewonnen, während die UNITA nur etwas mehr als 10 % der Stimmen auf sich vereinigen konnte. Die Grundsätze der Gewaltenteilung, der Unabhängigkeit der Gerichte, der Gewährleistung rechtlichen Gehörs und der Möglichkeit der Verteidigung sind zwar verfassungsrechtlich verankert, auch sind die bestehenden Gesetze an rechtsstaatlichen Prinzipien ausgerichtet, jedoch laufen entsprechende Rechte aufgrund des materiell schlecht ausgestatteten, langsam arbeitenden und korruptionsanfälligen Justizsystems weitgehend leer. Der Justizweg ist insofern allenfalls eingeschränkt gewährleistet (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Angola v. 26.06.2007, Schweizerische Flüchtlingshilfe, Angola Update Juli 2006; Africa Yearbook 2006, Angola, S. 410, 2007). Ermittlungsbehörden und Gerichte sind überlastet, unterbezahlt, ineffektiv und korruptionsanfällig. Straffreiheit für kriminelle Vergehen und Menschenrechtsverletzungen sind insofern keine Seltenheit (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Angola – Update Juli 2006, S. 2; amnesty international, Jahresbericht Angola 2007).
Staatliche Repressionsmaßnahmen, die systematisch gegen bestimmte Personen oder Personengruppen wegen ihrer politischen Überzeugung eingesetzt werden, gibt es – insoweit ist dem Bundesamt und dem Verwaltungsgericht zu folgen – nicht mehr. Allerdings sind solche im Einzelfall weiterhin nicht auszuschließen, zumal der Schutz der Menschenrechte noch immer unzureichend ist und sowohl staatliche als auch nicht staatliche Akteure weiterhin Menschenrechtsverletzungen begehen (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Angola Update Juli 2006; British Home Office, Country of Origin Information Key Documents, 1/2006; amnesty international, Report Angola 2008, Jahresbericht Angola 2007).
Zwar müssen selbst ehemalige UNITA-Kämpfer in Angola grundsätzlich nicht mehr mit staatlichen Repressionen rechnen. So spielen hochrangige ehemalige UNITA-Militärführer inzwischen durchaus eine wichtige Rolle als Politiker bzw. sind in den angolanischen Streitkräften FAA weiterhin als solche tätig. Allerdings kam es Mitte Juli 2004 in vier Orten im Landesinnern zu Übergriffen der lokalen Bevölkerung auf ehemalige UNITA-Angehörige, die sich dort niederlassen wollten. Besonders schwer waren die Übergriffe in Cazombo in der Provinz Moxico, bei denen 80 Häuser zerstört worden sein sollen (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Angola v. 05.11.2004 bzw. v. 18.04.2006), nachdem ein ehemaliger UNITA-General die Leitung des dortigen UNITA-Büros hatte übernehmen wollen. Zwar wurden entsprechende Übergriffe von Regierungsseite öffentlich kritisiert, doch gibt es verschiedene glaubhafte Berichte, wonach lokale MPLA-Vertreter in derartige Vorkommnisse involviert waren und die Polizei nicht zum Schutz der Opposition einschritt (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht v. 26.06.2007).
Für UNITA-Angehörige, die sich in Angola für Dritte erkennbar politisch für die UNITA betätigen, besteht schließlich auch mehr als sechs Jahre nach Ende des Bürgerkriegs noch ein gewisses Risiko, erheblichen Repressionen seitens der Anhänger der Regierungspartei MPLA bzw. ihr zuzurechnenden Gruppierungen ausgesetzt zu sein. So beklagen die verschiedenen Oppositionsparteien – namentlich die UNITA – regelmäßig Akte "politischer Intoleranz" hauptsächlich in den ländlichen Gebieten verschiedener Provinzen, wobei die Verantwortlichen regelmäßig nicht zur Rechenschaft gezogen würden (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht v. 26.06.2007, Schweizerische Flüchtlingshilfe, Angola – Update Juli 2006; Human Rights Watch, Angola: Doubts Over Free an Fair Elections, 12.08.2008). An dem tief verwurzelten Klima der Intoleranz wird sich aufgrund der weiteren Marginalisierung der Zivilgesellschaft und zivilen Oppositionsparteien voraussichtlich auch in absehbarer Zeit nichts ändern, da insofern das bestehende autoritäre politische System und die politische Bipolarität zwischen den Bürgerkriegsparteien MPLA und UNITA unangetastet bleiben dürfte (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Angola – Die Situation seit dem Friedensabkommen vom 04. April 2002 – Update, Oktober 2002). [...]
Vor diesem Hintergrund kann indes – derzeit und auf absehbare Zeit – nicht davon ausgegangen werden, dass der ausweislich seiner exilpolitischen Betätigung (zur nicht beachtlich wahrscheinlichen Gefahr menschenrechtswidriger Behandlung in diesem Zusammenhang VGH Bad.-Württ. Urt. v. 01.02.2002 - A 13 S 1729/97 -) weiterhin für Dritte erkennbar politisch für die UNITA tätige Kläger zu 1 bei einer Rückkehr nach Angola vor erneuter politischer Verfolgung hinreichend sicher wäre. So erscheint keineswegs fernliegend, dass dieser bei weiterer Ausübung seiner Tätigkeit als Informationssekretär der UNITA erneuter Verfolgung von asylerheblicher Intensität seitens gewaltbereiter MLPA-Anhänger ausgesetzt wäre, die der von der MPLA geführten Regierung zumindest als mittelbar staatliche Verfolgung zuzurechnen sein könnte, weil diese eine solche augenscheinlich nicht mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln der Polizei bzw. Justiz zu verhindern sucht. Ungeachtet dessen, dass die meisten Übergriffe in den ländlichen Gebieten stattfanden, kann derzeit und auf absehbare Zeit auch nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass der Kläger zu 1 jedenfalls bei einem Verbleib in seinem letzten Wohnort Luanda hinreichend sicher vor einer solchen Verfolgung wäre. An dieser Beurteilung bzw. den ernsthaften Bedenken hinsichtlich einer hinreichenden Sicherheit änderte auch nichts, sollten nicht sämtliche oben dargestellten Übergriffe genau so stattgefunden haben und tatsächlich als mittelbare staatliche Verfolgung qualifiziert werden können (vgl. auch Art. 14 Abs. 2 RL 2004/83/EG). Hinsichtlich der widerrufenen Flüchtlingseigenschaft kommt hinzu, dass als politische Verfolgung nach § 60 Abs. 1 Satz 4c AufenthG nunmehr auch Verfolgungsmaßnahmen nichtstaatlicher Akteure anzusehen sind, gegen die effektiver Schutz tatsächlich nicht gewährt wird. Zwar wäre dies wohl nicht dieselbe (staatliche) Verfolgung; doch dürfte dem Kläger zu 1 auch insoweit noch der herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab bzw. die entsprechend anzuwendende Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG zugute kommen. Verfolgungsmaßnahmen seitens der MPLA-Anhänger, sollten diese nicht ohnehin der MPLA-Regierung zuzurechnen sein, wären aufgrund des inneren Zusammenhangs mit der Vorverfolgung noch keine gänzlich neue und andersartige Verfolgung (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.07.2006 - 1 C 15.05 -, BVerwGE 126, 243). [...]