VG Stuttgart

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Zitieren als:
VG Stuttgart, Urteil vom 20.01.2009 - 6 K 2172/08 - asyl.net: M15127
https://www.asyl.net/rsdb/M15127
Leitsatz:

1. § 104 a Abs. 3 AufenthG begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

2. Die Straftat, die zur Versagung der Aufenthaltserlaubnis nach § 104 a Abs. 3 S. 1 AufenthG führt, kann auch schon begangen worden sein, bevor die häusliche Gemeinschaft aufgenommen wurde.

 

Schlagwörter: D (A), Aufenthaltserlaubnis, Altfallregelung, Straftaten, Familienangehörige, Verfassungsmäßigkeit, Schutz von Ehe und Familie, Willkürverbot, besondere Härte, häusliche Gemeinschaft
Normen: AufenthG § 104a Abs. 1 S. 1 Nr. 6; AufenthG § 104a Abs. 3; GG Art. 6 Abs. 1; GG Art. 3 Abs. 1
Auszüge:

1. § 104 a Abs. 3 AufenthG begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

2. Die Straftat, die zur Versagung der Aufenthaltserlaubnis nach § 104 a Abs. 3 S. 1 AufenthG führt, kann auch schon begangen worden sein, bevor die häusliche Gemeinschaft aufgenommen wurde.

(Amtliche Leitsätze)

 

[...]

Die Klage ist mit dem Hauptantrag zulässig, aber nicht begründet. [...]

Ebenso scheidet die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach der Altfallregelung aufgrund von § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AufenthG aus. Dies bedarf keiner weiteren Begründung.

Aber auch den Klägern zu 2 bis 4, die ebenfalls vollziehbar ausreisepflichtig sind, steht kein Aufenthaltsrecht nach den Härtefallregelungen zu. Da sie in häuslicher Gemeinschaft mit dem Kläger zu 1 leben und dieser eine Straftat i.S.v. § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AufenthG begangen hat, darf ihnen aufgrund von § 104 a Abs. 3 Satz 1 AufenthG keine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Das erkennende Gericht hält diese Vorschrift nicht für verfassungswidrig, so dass eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht eingeholt werden muss (vgl. Art. 100 Abs. 1 GG). Eine unzulässige "Sippenhaft", welche Art. 6 Abs. 1 GG verletzen würde, kann das Gericht nicht erkennen (vgl. zu der Problematik Funke-Kaiser in GK- AufenthG, § 104 a RdNr. 56). § 104 a AufenthG enthält eine Härtefallregelung für geduldete, also ausreisepflichtige Ausländer (vgl. § 60 a Abs. 3 AufenthG). Wenn der Gesetzgeber solchen Ausländern in bestimmten Fällen eine Vergünstigung einräumen will, obwohl er dazu nicht verpflichtet ist, ist ihm ein weiter Gestaltungsspielraum zuzubilligen, der seine Grenzen lediglich im Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG) hat. § 104 a Abs. 3 Satz 1 AufenthG ist aber nicht willkürlich, weil sich in der Gesetzesbegründung dazu plausible, sachliche Erwägungen finden: Für minderjährige Kinder, deren Eltern straffällig geworden seien, entspreche dies dem Grundsatz, dass das minderjährige Kind das aufenthaltsrechtliche Schicksal der Eltern teile. Hinzu komme, dass aufgrund der häuslichen Gemeinschaft ein negativer Einfluss auf die übrigen Familienmitglieder nicht auszuschließen sei. Dies gelte auch für das Verhältnis von Geschwistern untereinander (vgl. Bundestags-Drucksache 16/5065, Seite 202 zu § 104 a Abs. 3 AufenthG). Zu bedenken ist ferner, dass andernfalls im Hinblick auf Art. 6 GG in vielen Fällen ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht des an sich nach § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AufenthG von der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ausgeschlossenen Ausländers entstehen würde, so dass diese Vorschrift praktisch leer laufen würde.

Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift nehmen auch andere Verwaltungsgerichte an (vgl. VG Düsseldorf, Beschl. v. 10.05.2007 - 27 L 297/07 -; VG Oldenburg, Urt. v. 21.05.2008 - 11 A 485/06 -, VG Wiesbaden, Urt. v. 03.09.2008 - 4 K 503/08.WI -; VG Göttingen, Urt. v. 27.08.2008 - 1 A 78/08 -, diese Entscheidungen sind bei Juris veröffentlicht).

Unerheblich ist für die Anwendung von § 104 a Abs. 3 S. 1 AufenthG, dass die Kläger zu 1 und 2 im Zeitpunkt der durch das Landgericht Göttingen abgeurteilten Straftat noch nicht in häuslicher Gemeinschaft lebten (sie waren damals aber schon verlobt) und dass die Kläger zu 3 und 4 damals noch gar nicht auf der Welt waren. Weder aus dem Wortlaut noch aus dem Gesetzeszweck lässt sich nämlich schließen, dass die häusliche Gemeinschaft schon bestehen musste, als die Straftat begangen wurde (in diesem Sinne aber Jakober/Welte, Aktuelles Ausländerrecht, § 104 a AufenthG RdNr. 63). Wie bereits dargelegt wurde, geht es dem Gesetzgeber darum, dass ein negativer Einfluss auf die übrigen Familienmitglieder verhindert werden soll und dass minderjährige Kinder das aufenthaltsrechtliche Schicksal ihrer Eltern teilen sollen. Beide Gesichtspunkte sind aber nicht davon abhängig, zu welchem Zeitpunkt eine Straftat i.S.v. § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AufenthG begangen worden ist.

Bei der Klägerin zu 2 liegt auch keine besondere Härte i.S.v. § 104 a Abs. 3 S. 2 AufenthG vor. Diese Bestimmung betrifft ausschließlich Ehegatten, mithin also nicht die Kläger zu 3 und 4. Allein die lange Aufenthaltsdauer der Klägerin zu 2 im Bundesgebiet (seit Sommer 1995) kann eine besondere Härte nicht rechtfertigen. Aber auch sonst übersteigen die Folgen, die sich aus einer Rückkehrpflicht für die Klägerin zu 2 ergeben, die "gewöhnlichen" Nachteile, die die Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis mit sich bringt, nach Art und Intensität nicht erheblich: [...]