VG Weimar

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Zitieren als:
VG Weimar, Beschluss vom 11.02.2009 - 5 E 20002/09 We - asyl.net: M15129
https://www.asyl.net/rsdb/M15129
Leitsatz:
Schlagwörter: Verordnung Dublin II, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), einstweilige Anordnung, vorbeugender Rechtsschutz, Vorwegnahme der Hauptsache, Griechenland (A), Abschiebungsanordnung, Verfassungsmäßigkeit, Drittstaatenregelung, Genfer Flüchtlingskonvention, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK, Verfahrensrichtlinie, Aufnahmebedingungen, Verfahrensrecht, Flüchtlingslager, Unterbringung, Inhaftierung, Minderjährige, Selbsteintrittsrecht, Ermessen
Normen: VwGO § 123 Abs. 1; VO Nr. 343/2003 Art. 18; AsylVfG § 27a; AsylVfG § 34a; GG Art. 16a Abs. 2; AsylVfG § 26a; VO Nr. 343/2003 Art. 3 Abs. 2
Auszüge:

[...]

Der Antrag ist zulässig.

Er ist als Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nach § 123 VwGO statthaft, da ein nach § 123 Abs. 5 VwGO vorrangiger Antrag vorliegend gemäß § 80 Abs. 5 VwGO bereits mangels Erstbescheids nicht in Betracht kommt.

Dein Antragsteller fehlt insoweit auch nicht das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis: Zwar ist ihm der Bescheid über ie Überstellung nach Griechenland bislang noch nicht förmlich zugestellt worden. Jedoch hat das Bundesamt durch ihre Antragserwiderung zweifelsfrei zum Ausdruck gebracht den Antragsteller nunmehr nach Ablauf der sechs Monate Aussetzungsfrist aber dorthin abschieben zu wollen. Außerdem hat Griechenland auf das entsprechende Aufnahmeersuchen der Antragsgegnerin gemäß Art. 17 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrag zuständig ist, vom 18. Februar 2003 (Dublin II-VO) zugestimmt. Angesichts dieser Umstände kann der Antragsteller nicht darauf verwiesen werden, zunächst die Mitteilung des Termins der Zurückschiebung oder gar die Zustellung eines Bescheides nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG abzuwarten. Im Lichte der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) besteht vielmehr schon jetzt ein Rechtsschutzbedürfnis.

Die Antragsgegnerin ist insoweit auch die richtige Antragsgegnerin, vorliegend ist der Antrag nämlich nicht rechtstechnisch allein auf den Vollzug der Abschiebung gerichtet sondern auf den diesen begründenden Akt, der Verbalisierung der Anordnung der Abschiebung hier nach Griechenland, für den die Antragsgegnerin zuständig ist.

Der Zulässigkeit des Antrags steht auch § 34a Abs. 2 AsylVfG nicht entgegen. Hiernach darf die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat, der - wie hier - auf dem Wege des § 27 a AsylVfG ermittelt worden ist, zwar nicht nach § 80 oder § 123 VwGO ausgesetzt werden; in verfassungskonformer Auslegung dieses Ausschlusses vorläufigen Rechtsschutzes kommt die vorläufige Untersagung der Abschiebung nach § 123 VwGO jedoch dann in Betracht, wenn eine die konkrete Schutzgewährung nach § 60 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) in Zweifel ziehende Sachlage im für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat gegeben ist (so das Gericht bereits im vorgängigen Beschluss vom 24. Juli 2008).

An der Wertung des Gerichts im vorgängigen Beschluss vom 24. Juli 2008 hat sich zu dessen Überzeugung nichts Wesentliches in Griechenland verändert, so dass das Gericht auf seine dortigen Ausführungen bezug nimmt und sich diesen anschließt, § 77 Abs. 2 AsylVfG, 117 Abs. 5 VwGO). Ergänzend sei noch ausgeführt, dass nach dem gegenwärtigen Sachstand das Gericht davon ausgeht, dass auf Grund der derzeitigen Zustände in Griechenland zu befürchten ist, dass dem Antragsteller ein fairer und effektiver Zugang zum dortigen Asylsystem, welcher im Einklang mit europäischem Recht steht, nicht gewährleistet ist.

Im Gegenteil zeigten die aus allen allgemeinen Nachrichtenquellen ersichtlichen wochenlangen Ausschreitungen insbesondere in Athen, aber auch in zahlreichen anderen Großstädten Griechenlands, dass für Wochen selbst ein bloßer Aufenthalt im öffentlichen Raum Athens oder einer der griechischen Großstädte nicht ohne Gefahr für Leib und Leben möglich war, wobei zwar nicht zu jeder Zeit alle Stadtviertel überhaupt oder gleichermaßen gefährlich erschienen, es jedoch für einen nach Griechenland gelangenden ausländischen Asylbewerber, der im Regelfall der griechischen Sprache nicht oder nur in äußerst geringem Umfang mächtig sein dürfte, zumindest in diesem Zeitraum eine weitere Gefährdung bedeutete.

Aber auch unabhängig hiervon ist eine Veränderung der Sachlage hinsichtlich der Gewährleistungen im Asylsystem Griechenlands nicht deutlich geworden. UNHCR stellt in seiner Stellungnahme vom 29. Januar 2009 zwar da, dass sich die griechische Regierung gerade auch in Zusammenarbeit mit UNHCR bemüht hat in einer Fact-Finding-Mission eine Reihe von Vorschlägen zu erarbeiten, die eine Änderung der gegenwärtigen Verhältnisse erreichbar machen. Jedoch ist ein solcher verbindlicher Aktionsplan noch nicht verabschiedet. Daher hält UNHCR an seinen Darlegungen die bereits auch Gegenstand der vorgängigen Entscheidung waren fest. In diesem Sinne äußert sich auch der griechische Ombudsmann in seiner Stellungnahme vom Oktober 2008. Dort wird beschrieben, dass der Zugang zum Asylsystem im Wesentlichen nur einmal die Woche möglich ist und der Andrang an diesen Tagen die Aufnahmekapazitäten an diesen Tagen um ein Vielfaches überschreitet, so dass erst eine weitere Woche später wieder die Zugangsmöglichkeit überhaupt unter selbigen Vorzeichen besteht. Auch wird dargestellt, dass es hierbei häufig zu Gewalthandlungen kommt. Vor diesem Hintergrund und der damit einhergehenden Überlastung der griechischen Behörden ist die Aufnahme weiterer Asylanträge für zwei Monate überhaupt gänzlich ausgesetzt worden. Hieraus ergibt sich für die nicht angenommenen potentiellen Asylbewerber das Problem der drohenden Inhaftierung und oder Rückführung in ihr Herkunftsland. Der Ombudsmann bezeichnet die dortigen Verhältnisse beschreibend mit schwerer humanitärer Krise.

Insbesondere hat auch die Antragsgegnerin keinen neuen relevanten Tatsachenvortrag geliefert. Dass die Antragsgegnerin die Situation in Griechenland anders einschätzt, ändert hieran nichts und wurde vom Gericht wie im bereits früher entschiedenen Verfahren zur Kenntnis genommen. [...]