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Zitieren als:
BVerwG, Beschluss vom 25.11.2008 - 10 C 46.07 - asyl.net: M15130
https://www.asyl.net/rsdb/M15130
Leitsatz:

Es bleibt offen, ob auch allein eine Änderung der Rechtslage (hier: Einführung von Ausschlussgründen durch das Terrorismusbekämpfungsgesetz) den Widerruf einer ursprünglich rechtmäßigen Anerkennung als Asylberechtigter oder Flüchtling nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG rechtfertigt. Denn jedenfalls ist auf Grund von Gemeinschaftsrecht im Falle des Vorliegens von Ausschlussgründen nach Art. 12 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2004/83/EG eine Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft nach Art. 14 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie zulässig und geboten.

(Amtliche Leitsätze)

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Anmerkung der Redaktion: Siehe Urteil des EuGH vom 9.11.2010, C-57/09 und C-101/09 [asyl.net, M17841] sowie Urteil des BVerwG vom 7.7.2011, 10 C 26.10 [asyl.net, M19056].

Schlagwörter: EuGH, Vorlage, Vorlageverfahren, Flüchtlingsanerkennung, Terrorismus, schwere nichtpolitische Straftat, Anerkennungsrichtlinie, Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen, Gemeinsamer Standpunkt 2001/931/GASP, Liste terroristischer Organisationen, Wiederholungsgefahr, Verhältnismäßigkeit, Abschiebungshindernis, EMRK, Europäische Menschenrechtskonvention, Asylrecht, Türkei, PKK, Kämpfer (ehemalige), Genfer Flüchtlingskonvention, Sicherheitsrat, Terrorismusvorbehalt, Gefahr für die Allgemeinheit, Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, Widerruf, Flüchtlingsanerkennung, Änderung der Rechtslage, Terrorismusbekämpfungsgesetz
Normen: EG Art. 68 Abs. 1; RL 2004/83/EG Art. 12 Abs. 2 Bst. b; RL 2004/83/EG Art. 12 Abs. 2 Bst. c; EMRK Art. 3; RL 2004/83/EG Art. 3; AsylVfG § 3 Abs. 2; AufenthG § 60 Abs. 1; AsylVfG § 73 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Das Verfahren wird ausgesetzt.

Es wird gemäß Art. 234 Abs. 1 und 3, Art. 68 Abs. 1 EG eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zu folgenden Fragen eingeholt:

1. Liegt eine schwere nichtpolitische Straftat oder eine Zuwiderhandlung gegen die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen im Sinne des Art. 12 Abs. 2 Buchst. b und c der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 vor, wenn der Ausländer langjährig als Kämpfer und Funktionär - zeitweise auch als Mitglied des Führungsgremiums - in eine Organisation (hier: die PKK) eingebunden war, die bei ihrem bewaffneten Kampf gegen den Staat (hier: die Türkei) immer wieder auch terroristische Methoden angewendet hat und im Verzeichnis der Personen, Vereinigungen und Körperschaften im Anhang zum Gemeinsamen Standpunkt des Rates über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus aufgeführt ist, und der Ausländer damit deren bewaffneten Kampf in hervorgehobener Position aktiv unterstützt hat?

2. Für den Fall, dass Frage 1 zu bejahen ist:

Setzt der Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung nach Art. 12 Abs. 2 Buchst. b und c der Richtlinie 2004/83/EG voraus, dass von dem Ausländer weiterhin eine Gefahr ausgeht?

3. Für den Fall, dass Frage 2 zu verneinen ist:

Setzt der Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung nach Art. 12 Abs. 2 Buchst. b und c der Richtlinie 2004/83/EG eine auf den Einzelfall bezogene Verhältnismäßigkeitsprüfung voraus?

4. Für den Fall, dass Frage 3 zu bejahen ist:

a) Ist bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen, dass der Ausländer Abschiebungsschutz nach Art. 3 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 oder nach nationalen Bestimmungen genießt?

b) Ist der Ausschluss nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen unverhältnismäßig?

5. Ist es im Sinne des Art. 3 der Richtlinie 2004/83/EG mit der Richtlinie zu vereinbaren, dass der Ausländer trotz Vorliegens eines Ausschlussgrundes nach Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft nach Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie weiterhin nach nationalem Verfassungsrecht als Asylberechtigter anerkannt bleibt? [...]

Der Rechtsstreit ist auszusetzen und es ist eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zur Auslegung der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EG Nr. L 304 vom 30. September 2004 S. 12; ber. ABl EG Nr. L 204 vom 5. August 2005 S. 24) einzuholen (Art. 234 Abs. 1 und 3, Art. 68 Abs. 1 EG). Da es um die Auslegung von Gemeinschaftsrecht geht, ist der Gerichtshof zuständig. Die vorgelegten Fragen zur Auslegung der Richtlinie sind entscheidungserheblich und bedürfen einer Klärung durch den Gerichtshof. [...]

1. a) In formeller Hinsicht ist der Widerrufsbescheid vom 6. Mai 2004 nicht zu beanstanden. Er entspricht insoweit den maßgeblichen Anforderungen des § 73 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) in der zum Zeitpunkt seines Erlasses geltenden Fassung (für vor dem 1. Januar 2005 ergangene Widerrufsbescheide vgl. im Einzelnen Urteil vom 1. November 2005 - BVerwG 1 C 21.04 - BVerwGE 124, 276 Rn. 42 m.w.N.). Der Widerruf ist insbesondere auch innerhalb eines Jahres nach Abschluss des im September 2003 eingeleiteten Anhörungsverfahrens ergangen. Damit wäre auch die Jahresfrist des § 48 Abs. 4, § 49 Abs. 2 Satz 2 VwVfG gewahrt, wenn sie überhaupt auf den hier streitigen Widerruf nach § 73 Abs. 1 AsylVfG anwendbar sein sollte (vgl. Urteile vom 1. November 2005 a.a.O. und vom 20. März 2007 - BVerwG 1 C 21.06 - BVerwGE 128, 199).

b) Maßgeblich für die materiell-rechtliche Beurteilung der Widerrufsentscheidung ist § 73 AsylVfG in der seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) - im Folgenden: Richtlinienumsetzungsgesetz - am 28. August 2007 geltenden Fassung (vgl. Bekanntmachung der Neufassung des Asylverfahrensgesetzes vom 2. September 2008, BGBl I S. 1798). Denn im Revisionsverfahren sind Rechtsänderungen, die nach Erlass des Berufungsurteils eingetreten sind, für die Entscheidung des Revisionsgerichts beachtlich, wenn das Berufungsgericht sie, würde es jetzt entscheiden, beachten müsste. Das wäre hier gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG der Fall (stRspr, vgl. etwa Urteil vom 1. November 2005 a.a.O.). [...]

Ein Wegfall der Anerkennungsvoraussetzungen aufgrund einer Änderung der Sachlage kommt vorliegend nicht in Betracht. Denn nach den das Revisionsgericht bindenden tatrichterlichen Feststellungen des Berufungsgerichts (§ 137 Abs. 2 VwGO) ist eine wesentliche Änderung der Verfolgungslage in der Türkei für den vorverfolgt ausgereisten Kläger nicht eingetreten. Diese Feststellungen sind entgegen der Ansicht der Beklagten revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Ebenso wenig hat der Kläger durch eigenes Verhalten nach der Anerkennung einen Grund für den Wegfall der Anerkennungsvoraussetzungen, etwa durch nachträgliche Verwirklichung eines Ausschlusstatbestandes, geschaffen.

Geändert hat sich vorliegend nach der Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter und Flüchtling im Mai 2001 allerdings die Rechtslage, indem der deutsche Gesetzgeber mit Wirkung vom 1. Januar 2002 durch das Terrorismusbekämpfungsgesetz die in Art. 1 Abschnitt F Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) enthaltenen Ausschlussgründe erstmals in § 51 Abs. 3 Satz 2 Ausländergesetz (AuslG) als Gründe für den Ausschluss vom flüchtlingsrechtlichen Abschiebungsverbot eingeführt hat. Ob nicht nur eine Änderung der Sachlage, sondern auch eine (bloße) Änderung der Rechtslage, d.h. eine Verschärfung der Anerkennungsvoraussetzungen, den Widerruf einer ursprünglich rechtmäßigen Anerkennung als Asylberechtigter oder Flüchtling nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG rechtfertigt, lässt der Senat offen. Denn jedenfalls ist im Falle des Vorliegens von Ausschlussgründen nach Art. 12 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2004/83/EG eine Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft nach Art. 14 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie zulässig und geboten. Nach dieser Vorschrift erkennen die Mitgliedstaaten die Flüchtlingseigenschaft ab, beenden diese oder lehnen ihre Verlängerung ab, falls der betreffende Mitgliedstaat nach Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft feststellt, dass die Person gemäß Art. 12 der Richtlinie von der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft hätte ausgeschlossen werden müssen oder ausgeschlossen ist. Selbst wenn das nationale Recht eine Aberkennungsmöglichkeit nicht vorsehen würde, würde sich daher wegen des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts eine Rechtsgrundlage hierfür aus Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie ergeben.

Diese Bestimmung ist auf den streitigen Widerruf auch unmittelbar anwendbar. Sie enthält - anders als Art. 14 Abs.1 der Richtlinie - keine Übergangsregelung. Die Pflicht zur Aberkennung, Beendigung oder Ablehnung der Verlängerung der Flüchtlingseigenschaft nach Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie ist daher nicht auf Anerkennungen beschränkt, die nach Inkrafttreten der Richtlinie beantragt worden sind, sondern erfasst auch zuvor beantragte und ausgesprochene Anerkennungen wie die des Klägers. Der Umstand, dass der Widerrufsbescheid bereits im Mai 2004 und damit vor Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG ergangen ist, steht einer Anwendung dieser Bestimmung bei der jetzt vorzunehmenden Überprüfung seiner Rechtmäßigkeit ebenfalls nicht entgegen. Abgesehen davon, dass nach nationalem Recht, wie oben dargelegt, ohnehin die materielle Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung maßgeblich ist, würde sich auch aus der Richtlinie nichts anderes ergeben. Nach Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie ist der betreffende Mitgliedstaat nämlich spätestens nach Ablauf der Umsetzungsfrist im Oktober 2006 bei Vorliegen der dort genannten Voraussetzungen zur Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft verpflichtet. Damit wäre es nicht vereinbar, den bereits ergangenen Widerrufsbescheid aufzuheben, da er sogleich wieder erlassen werden müsste. Die Voraussetzungen für eine Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft nach Art. 14 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie sind, sofern ein Ausschlussgrund nach Art. 12 Abs. 2 und 3 der Richtlinie in der Person des Klägers zu bejahen ist, vorliegend auch erfüllt. Denn diese Bestimmung greift, wie die umfassende Formulierung "hätte ausgeschlossen werden müssen oder ausgeschlossen ist" zeigt, in allen Fällen ein, in denen nachträglich ein Ausschlussgrund festgestellt wird. Es ist daher unerheblich, dass die vorliegende Anerkennung im Zeitpunkt ihres Ausspruchs rechtmäßig war und dass sich die Sachlage nach der Anerkennung nicht geändert hat. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob im Anerkennungsverfahren falsche Angaben gemacht oder Tatsachen verschwiegen wurden (vgl. Art. 14 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie).

Der Widerruf der Flüchtlingsanerkennung ist daher gerechtfertigt, wenn der Kläger einen der Ausschlussgründe des § 3 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG (früher § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG/§ 51 Abs. 3 Satz 2 AuslG) erfüllt. Mit diesen seit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes nunmehr im Asylverfahrensgesetz geregelten Ausschlussgründen hat der deutsche Gesetzgeber Art. 12 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2004/83/EG, der seinerseits auf die schon in Art. 1 Abschnitt F GFK aufgeführten Ausschlussgründe zurückgeht, umgesetzt. [...]

1. Vorlagefrage:

a) Nach den bindenden tatrichterlichen Feststellungen des Berufungsgerichts, die zum Teil auch den eigenen Angaben des Klägers im Asylverfahren entsprechen, war der Kläger langjährig (von 1990 bis 2000) in die Kurdische Arbeiterpartei (PKK) als Kämpfer und Funktionär eingebunden, hat deren Ziele - zeitweise sogar in hervorgehobener Position (als Angehöriger des 41-köpfigen Führungsgremiums) - unterstützt und zumindest gelegentlich selbst an deren Kampfhandlungen teilgenommen (UA S. 43 f.). Die PKK setzt nach den Feststellungen des Berufungsgerichts bei ihrem bewaffneten Kampf gegen die türkische Staatsmacht im Südosten der Türkei immer wieder auch terroristische, d.h. gemeingefährliche Mittel ein, wie Bombenattentate in Städten und Touristenzentren (UA S. 43 f.). Sie steht seit Mai 2002 auf der vom Rat der Europäischen Union angenommenen Liste der Terrororganisationen (vgl. Ziff. 2.9 des Anhangs zum Gemeinsamen Standpunkt des Rates vom 2. Mai 2002 betreffend die Aktualisierung des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus - 2002/340/GSAP - ABl EG Nr. L 116 vom 3. Mai 2002 S. 75). Dass die PKK terroristische Methoden angewendet hat, hat der Senat für den hier maßgeblichen Zeitraum zwischen 1990 und 2000 im Übrigen auch bereits selbst festgestellt und im Einzelnen begründet (vgl. Urteile vom 30. März 1999 - BVerwG 9 C 23.98 - BVerwGE 109, 12 20 ff.> und vom 15. März 2005 - BVerwG 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 130>). Der Kläger hat durch seine Tätigkeit als Guerillakämpfer und - zeitweise - als hoher Funktionär der PKK deren auch mit terroristischen Mitteln geführten Kampf aktiv unterstützt.

b) Nach Auffassung des Senats erfüllt ein derartiges Verhalten den Tatbestand einer schweren nichtpolitischen Straftat im Sinne des Art. 12 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG. Es kommt deshalb auch nicht auf die vom Berufungsgericht noch nicht beantwortete Frage an, wie das Fahndungsersuchen der türkischen Strafverfolgungsbehörden und die dem Kläger darin zur Last gelegte Beteiligung an Anschlägen mit 126 Toten sowie an zwei Morden zu bewerten sind (UA S. 43 f.). Wegen der näheren Begründung wird insoweit auf den bereits genannten Vorlagebeschluss des Senats vom 14. Oktober 2008 im Verfahren BVerwG 10 C 48.07 zur 1. Vorlagefrage unter b) (Rn. 18 ff.) verwiesen.

c) Zugleich erscheint zweifelhaft, ob das aufgezeigte Verhalten des Klägers nicht auch dem Ausschlussgrund des Art. 12 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG unterfällt, weil es den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und in den Art. 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen verankert sind, zuwiderläuft. Auch insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen in dem genannten Vorlagebeschluss zur 1. Vorlagefrage unter c) (Rn. 23 ff.) verwiesen.

2. Vorlagefrage:

a) Ist Frage 1 zu bejahen, stellt sich entscheidungserheblich Frage 2, ob nämlich für den Ausschluss nach Art. 12 Abs. 2 Buchst. b und c der Richtlinie erforderlich ist, dass von dem Ausländer weiterhin eine Gefahr ausgeht. Nach den bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts ist dies bei dem Kläger nicht der Fall. Unter Berücksichtigung des Werdegangs und der heutigen Überzeugungen des Klägers bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass er sich nochmals an vergleichbaren Taten beteiligen wird. Er hat sich schon einige Zeit vor seiner Ausreise nach reiflicher Überlegung und aus Überzeugung endgültig von der PKK gelöst. Nach seinem glaubhaften Vortrag hat er seither keine Kontakte mehr zu dieser Organisation, steht nicht nur den Strukturen, sondern auch den Zielen der PKK heute sehr kritisch gegenüber und sieht Gewalt nicht mehr als taugliches Mittel an, um die Situation der kurdischen Bevölkerung in der Türkei zu verbessern. Das bedeutet zugleich, dass er sich von den Methoden der PKK, die er seinerzeit unterstützt hat, distanziert (UA S. 44 ff.).

b) Nach Auffassung des Senats ist Frage 2 zu verneinen. Für die Anwendung der Ausschlussklauseln genügt die bloße "Schutzunwürdigkeit" aufgrund früheren Handelns; nicht erforderlich ist, dass von dem Ausländer weiterhin Gefahren ausgehen, wie sie sich in seinem früheren Verhalten manifestiert haben. Wegen der Begründung im Einzelnen wird insoweit wiederum auf den bereits genannten Vorlagebeschluss des Senats vom 14. Oktober 2008 im Verfahren BVerwG 10 C 48.07 zur 2. Vorlagefrage unter b) (Rn. 28 ff.) Bezug genommen.

3. und 4. Vorlagefrage:

Ist Frage 2 zu verneinen, kommt es entscheidungserheblich darauf an, ob der Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung nach Art. 12 Abs. 2 Buchst. b und c der Richtlinie 2004/83/EG zumindest eine einzelfallbezogene Verhältnismäßigkeitsprüfung verlangt, welche Kriterien hierbei zu berücksichtigen sind und welcher Maßstab anzulegen ist. Bedarf es keiner einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung und ist Frage 3 deshalb zu verneinen, ist der Kläger bei gleichzeitiger Bejahung von Frage 1 und Verneinung von Frage 2 von der Flüchtlingsanerkennung zwingend ausgeschlossen. Der Widerruf seiner Flüchtlingsanerkennung wäre dann rechtmäßig. Bedarf es einer einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung, hängt die Rechtmäßigkeit des Widerrufs dagegen von der Beantwortung der Frage 4 ab.

Da der Fall des Klägers sich insoweit nicht von dem mit Beschluss vom 14. Oktober 2008 - BVerwG 10 C 48.07 - vorgelegten Fall unterscheidet, wird auf die dortigen Ausführungen zur 3. und 4. Vorlagefrage (Rn. 31 ff.) verwiesen.

2. Neben dem Widerruf der Flüchtlingsanerkennung im Sinne der Richtlinie 2004/83/EG geht es im vorliegenden Verfahren zugleich darum, ob auch die auf nationalem Verfassungsrecht beruhende Asylanerkennung des Klägers nach Art. 16a GG widerrufen werden durfte. In diesem Zusammenhang stellt sich die 5. Vorlagefrage zur Auslegung von Art. 3 der Richtlinie.

a) Wie in dem Vorlagebeschluss vom 14. Oktober 2008 - BVerwG 10 C 48.07 - zu 2. unter a) (Rn. 36 ff.) im Einzelnen ausgeführt, stünde es nach der bestehenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts der Asylanerkennung nach Art. 16a GG nicht entgegen, dass der Kläger in seinem Heimatland eine terroristische Organisation aktiv unterstützt hat. Denn die verfassungsrechtlich gerechtfertigten Ausschlussgründe für die Asylgewährung, der sog. Terrorismusvorbehalt und der Ausschluss nach § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG (entsprechend Art. 14 Abs. 4 Buchst. a und b der Richtlinie bzw. Art. 33 Abs. 2 GFK), setzen beide eine Wiederholungsgefahr voraus. Da bei dem Kläger nach den bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass er sich nochmals an vergleichbaren Taten beteiligen wird, lägen die Voraussetzungen für eine Gewährung von Asyl nach Art. 16a GG bei ihm weiterhin vor. Folglich könnte auch bei Verwirklichung eines Ausschlussgrundes nach Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie die Asylanerkennung des Klägers schon aus diesem Grund nicht nach § 73 Abs. 1 AsylVfG widerrufen werden.

b) Ist die Flüchtlingsanerkennung des Klägers wegen Feststellung eines Ausschlussgrundes nach Art. 12 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2004/83/EG aber gemäß Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie zwingend zu widerrufen, stellt sich damit entscheidungserheblich die Frage, ob sich dies über den Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts nicht auch auf die Asylanerkennung des Klägers nach Art. 16a GG auswirkt. Das hängt davon ab, ob die Richtlinie 2004/83/EG den Fortbestand eines mit dem Flüchtlingsstatus vergleichbaren nationalen Schutzstatus trotz Vorliegens eines Ausschlussgrundes zulässt. Dies richtet sich nach Art. 3 der Richtlinie 2004/83/EG. Danach können die Mitgliedstaaten günstigere Normen zur Entscheidung der Frage, wer als Flüchtling oder Person gilt, die Anspruch auf subsidiären Schutz hat, und zur Bestimmung des Inhalts des internationalen Schutzes erlassen oder beibehalten, sofern sie mit der Richtlinie vereinbar sind. Wegen der Erwägungen des Senats zu dieser Auslegungsfrage wird zur Vermeidung von Wiederholungen wiederum auf die Ausführungen im Vorlagebeschluss vom 14. Oktober 2008 - BVerwG 10 C 48.07 - zur 5. Vorlagefrage unter 2. b) (Rn. 41 ff.) Bezug genommen. [...]