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Zitieren als:
BVerwG, Beschluss vom 16.12.2008 - 10 B 12.08 - asyl.net: M15143
https://www.asyl.net/rsdb/M15143
Leitsatz:

Die Zuerkennung von Familienasyl gem. § 26 Abs. 2 AsylVfG scheidet aus, wenn der als asylberechtigt anerkannte Familienangehörige in den deutschen Staatsverband eingebürgert worden ist.

 

Schlagwörter: Revisionsverfahren, Verfahrensmangel, rechtliches Gehör, Aserbaidschan, Armenier, Staatsangehörigkeit, Staatsangehörigkeitsrecht, Familienasyl, Einbürgerung, Familienangehörige
Normen: VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 3; GG Art. 103 Abs. 1; AsylVfG § 26 Abs. 2; RL 2004/83/EG Art. 4 Abs. 3 Bst. e
Auszüge:

Die Zuerkennung von Familienasyl gem. § 26 Abs. 2 AsylVfG scheidet aus, wenn der als asylberechtigt anerkannte Familienangehörige in den deutschen Staatsverband eingebürgert worden ist.

(Leitsatz der Redaktion)

 

[...]

Die Beschwerde der Kläger hat mit einer der von ihr erhobenen Verfahrensrügen (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) Erfolg. [...]

Denn die Beschwerde rügt der Sache nach zu Recht, dass das Berufungsgericht das rechtliche Gehör der Kläger verletzt hat (Art. 103 Abs. 1 GG), indem es entscheidungserhebliches Vorbringen der Kläger nicht in der gebotenen Weise berücksichtigt hat. Eine derartige Rüge hat die Beschwerde sinngemäß mit ihrem Vorbringen erhoben, das Berufungsgericht sei dem Vortrag der Kläger nicht hinreichend nachgegangen, sie seien als armenische Volkszugehörige aus Aserbaidschan trotz ihrer Flucht nach Russland im Jahre 1988 aserbaidschanische Sowjetrepublikzugehörige geblieben und hätten damit eine wesentliche Voraussetzung für den späteren Erwerb der aserbaidschanischen Staatsangehörigkeit erfüllt (vgl. Beschwerdebegründung z.B. S. 13 ff., 21, 38, 49, 59, 61, 64 ff., 69 f. und 82).

Das Gebot, rechtliches Gehör zu gewähren, verpflichtet die Gerichte, die entscheidungserheblichen Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Ein Verstoß gegen diese Pflicht kann allerdings nur angenommen werden, wenn sich dies aus den besonderen Umständen des Falles deutlich ergibt. So liegt der Fall hier. Die Kläger haben im Berufungsverfahren im Einzelnen vorgetragen, dass die aserbaidschanische Sowjetrepublikzugehörigkeit nicht bereits durch die tatsächliche Verlegung des Wohnsitzes in eine andere Sowjetrepublik, sondern erst durch die förmliche vom Berufungsgericht hier nicht festgestellte Registrierung der Wohnsitzverlegung verlorengegangen sei. Sie haben in diesem Zusammenhang auf eine Reihe von Erkenntnismitteln und auf Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte hingewiesen (Schriftsatz vom 19. Juni 2007 S. 29 f.). Sie haben in diesem Schriftsatz ferner Beweisanträge zu diesem Fragenkomplex angekündigt (vgl. Schriftsatz vom 19. Juni 2007 S. 34) und diese Anträge in der mündlichen Verhandlung auch gestellt (vgl. die Verhandlungsniederschrift vom 28. Juni 2007 S. 4 f.). Das Berufungsgericht hat die Anträge abgelehnt, ist auf die Rechtsprechung der anderen Oberverwaltungsgerichte nicht eingegangen und hat von den insgesamt 12 benannten Erkenntnismitteln in soweit lediglich das Gutachten des Instituts für Ostrecht vom 22. November 2000 herangezogen, das den Ausführungen im Schriftsatz vom 19. Juni 2007 zur folge die Auffassung der Kläger nur "im Grundsatz" bestätigt (UA S. 8). Die Gutachten von L. vom 7. Mai 1999 S. 7 an das VG Schwerin und vom 17. Oktober 2000 an das VG Würzburg hat das Berufungsgericht lediglich zum Beleg benannt, dass die Republikzugehörigkeit "zunächst und in erster Linie durch den ständigen Wohnsitz vermittelt" worden sei.

Die fehlende Auseinandersetzung mit diesem Vorbringen der Kläger betrifft eine entscheidungserhebliche Frage. Denn die tragende Begründung des Berufungsgerichts, dass die Kläger keine aserbaidschanischen Staatsangehörigen, sondern staatenlos seien, geht maßgeblich darauf zurück, dass die Kläger nach Auffassung des Berufungsgerichts ihre aserbaidschanische Sowjetrepublikzugehörigkeit durch ihre Flucht nach Russland verloren und damit eine wesentliche Voraussetzung für den Erwerb der aserbaidschanischen Staatsangehörigkeit im Jahre 1991 nicht erfüllt haben (UA S. 7 und 8). Unter den besonderen Umständen des vorliegenden Einzelfalles kann demnach nicht davon ausgegangen werden, dass das Berufungsgericht diesen Teil des Vorbringens der Kläger in der gebotenen Weise berücksichtigt hat. Die fehlende Auseinandersetzung insbesondere mit der von den Klägern präzise zitierten Rechtsprechung der anderen Oberverwaltungsgerichte (hier: OVG Münster, OVG Lüneburg und VGH München) stellt unter den hier gegebenen Umständen ausnahmsweise zugleich einen formellen Begründungsmangel im Sinne des § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO dar (vgl. dazu Beschluss vom 14. Mai 2007 BVerwG 1 B 103.06 Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 51 m.w.N.).

Auf die weiteren Rügen der Beschwerde kommt es demzufolge nicht mehr an. Zu der von der Beschwerde erhobenen Grundsatzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bemerkt der Senat Folgendes: Es ist nicht zweifelhaft, dass die Gewährung von Familienasyl nach § 26 Abs. 2 AsylVfG ausscheidet, wenn der als Asylbewerber anerkannte "Stammberechtigte", von dem die Asylberechtigung abgeleitet werden soll, vor dem nach § 77 Abs. 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt in den deutschen Staatsverband eingebürgert worden ist. Dies ist vom Berufungsgericht im Ergebnis zutreffend beurteilt worden und bedarf keiner Klärung in einem Revisionsverfahren. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Erwerber der deutschen Staatsangehörigkeit einen Erlöschensgrund nach § 72 Abs. 1 Nr. 3 AsylVfG darstellt. Auch die Vertreter der Auffassung, dass die deutsche Staatsangehörigkeit keine "neue Staatsangehörigkeit" i.S.d. § 72 Abs. 1 Nr. 3 AsylVfG sei, gehen nicht von einem Fortbestand der Asylberechtigung aus, sondern davon, dass sich die Asylberechtigung "eo ipso" bzw. i.S.d. § 43 Abs. 2 VwVfG "in anderer Weise erledigt" (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 28. Mai 2008, 8 A 1101/03.A DÖV 2008, 965 m.w.N.).

Für das weitere Verfahren ist anzumerken, dass nach Art. 4 Abs. 3 Buchst. e der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 bei der Flüchtlingsanerkennung auch zu berücksichtigen ist, ob vom Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er den Schutz eines anderen Staates in Anspruch nimmt, dessen Staatsangehörigkeit er für sich geltend machen könnte (vgl. Urteil vom 29. Mai 2008 BVerwG 10 C 11.07 NVwZ 2008, 1246 Rn. 34). [...]