VG Gelsenkirchen

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Zitieren als:
VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 12.02.2009 - 9 L 49/09 - asyl.net: M15155
https://www.asyl.net/rsdb/M15155
Leitsatz:

Ein Geschäftsführer einer GmbH sowie ein Geschäftsführer und Mitgesellschafter einer GbR ist kein Arbeitnehmer i.S.d. Art. 6 ARB 1/80

 

Schlagwörter: D (A), Ausweisung, Ermessensausweisung, Assoziationsratsbeschluss EWG/Türkei, Arbeitnehmer, Geschäftsführer, GmbH, Gesellschafter, GbR, Verstoß gegen Rechtsvorschriften, sexueller Missbrauch von Kindern, Straftat, besonderer Ausweisungsschutz
Normen: VwGO § 80 Abs. 5; ARB Nr. 1/80 Art. 6 Abs. 1; AufenthG § 55 Abs. 2 Nr. 2; AufenthG § 56 Abs. 1
Auszüge:

Ein Geschäftsführer einer GmbH sowie ein Geschäftsführer und Mitgesellschafter einer GbR ist kein Arbeitnehmer i.S.d. Art. 6 ARB 1/80

(Amtlicher Leitsatz)

 

[...]

Der gestellte Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Ausweisungsverfügung vom 30. Juli 2008 wiederherzustellen, ist zulässig, aber nicht begründet. [...]

Der Antragsteller kann sich nicht auf ein Aufenthaltsrecht aufgrund des Beschlusses 1/80 des Assoziationsrats EWG-Türkei über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80) und damit auch nicht auf die Anwendung des Art. 28 Abs. 3 Buchst. a) der Richtlinie 2004/38/EG berufen. [...]

Dem Antragsteller steht auch kein Aufenthaltsrecht nach Art. 6 Abs. 1, 1. bis 3. Spiegelstrich ARB 1/80 zu. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist der Begriff des Arbeitnehmers im Sinne von Art. 6 ARB 1/80 in gleicher Weise zu verstehen, wie der Arbeitnehmerbegriff in Art. 39 EG (vgl. EuGH, Urteil vom 19. November 2002 - C 188/00 -, EZAR 816 Nr. 12 m.w.N.).

Hiernach hat der Begriff des Arbeitnehmers eine gemeinschaftsrechtliche Bedeutung und darf nicht eng ausgelegt werden. Um als Arbeitnehmer zu gelten, muss eine Person eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausüben, wobei Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die wegen ihres Umfangs völlig untergeordnet und unwesentlich sind. In Abgrenzung zu einer selbstständigen Tätigkeit besteht das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses nach gemeinschaftsrechtlicher Bedeutung darin, dass eine Person während einer bestimmten Zeit für eine andere Person nach deren Weisung Leistungen erbringt, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhält (so EuGH, Urteil vom 8. Juni 1999 - C 337/97 -, EzAR 811 Nr. 41).

Nach dieser Entscheidung steht der Anerkennung als Arbeitnehmer im Sinne der genannten Bestimmungen nicht entgegen, das jemand mit dem Geschäftsführer und einzigen Anteilseigner einer Gesellschaft verheiratet ist, sofern er seine Tätigkeit im Rahmen eines Unterordnungsverhältnisses ausübt.

Der Antragsteller stand nach den vorliegenden Erkenntnisquellen nicht in einem Unterordnungsverhältnis zum Gesellschafter der L. GmbH, Herrn N. B. L. . Dies ergibt sich aus seiner Stellung als alleiniger Geschäftsführer der L1. GmbH. Als solcher ist er, wie sich aus den §§ 35 ff. GmbHG ergibt, nicht nach Weisung des Gesellschafters zur Leistungserbringung verpflichtet gewesen. Nach § 37 Abs. 1 GmbHG ist der Geschäftsführer der GmbH gegenüber verpflichtet, die Beschränkungen einzuhalten, welche für den Umfang seiner Befugnis, die Gesellschaft zu vertreten, durch den Gesellschaftsvertrag oder, soweit dieser nicht ein anderes bestimmt, durch die Beschlüsse der Gesellschafter festgesetzt sind. In einem Unterordnungsverhältnis zum Gesellschafter befindet sich der Geschäftsführer einer GmbH danach unzweifelhaft nicht.

Nach seinem Ausscheiden aus der L. GmbH als Geschäftsführer machte sich der Antragsteller am 5. Mai 2006 selbstständig, in dem er in C. das Bauunternehmen L. und C1. , GbR gründete. Auch hier war er Geschäftsführer. Zudem war er Gesellschafter. Von einem Unterordnungsverhältnis kann daher auch hier nicht die Rede sein. Im übrigen erfüllt der Antragsteller mit dieser Tätigkeit nicht die zeitlichen Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 2. und 3. Spiegelstrich ARB 1/80.

Der Antragsgegner hat demnach die Ausweisung zu Recht auf § 55 Abs. 1, 2 Nr. 2 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) gestützt. Nach dieser Vorschrift kann ein Ausländer ausgewiesen werden, wenn sein Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt. Ein Ausländer kann nach § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG insbesondere dann ausgewiesen werden, wenn er einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Straftat begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche Straftat anzusehen ist.

Der Antragsteller ist in der Vergangenheit wie folgt strafrechtlich in Erscheinung getreten: Durch Urteil des Landgerichts C2. , rechtskräftig seit dem 3. April 2008, wurde er wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a. in 206 Fällen zum Nachteil der eigenen Tochter zu 2 Jahren und 10 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Weitere, im Strafurteil genannte Verurteilungen des Antragstellers sind hier nicht weiter erheblich.

Der sexuelle Missbrauch der eigenen Tochter ist qualitativ wie quantitativ nicht geringfügig, wie sich aus der objektiv sich steigernden Begehungsweise der einzelnen Taten sowie der Angst der Tochter vor einer Intensivierung der Übergriffe und der Anzahl der Taten unschwer ergibt.

Für den erst 1997 im Alter von 27 Jahren in die Bundesrepublik Deutschland eingereisten Antragsteller, bis zu seiner Asylanerkennung im November 2001 - auf die er am 26. Juli 2007 wieder verzichtete, eine Aufenthaltsgestattung besaß, nachfolgend im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis und seit dem 26. Juli 2007 bis zum Erlass der Ausweisungsverfügung im Besitz einer Niederlassungserlaubnis war, greift zwar der besondere Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG. Dies bedeutet, dass er gemäß § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden kann. Diese liegen hier aber vor. [...]

Der Antragsgegner hat bei der Entscheidung über die Ausweisung auch das ihm nach § 55 Abs. 3 AufenthG eingeräumte Ermessen zutreffend ausgeübt. [...]

Ergänzend sei angemerkt, dass allein die Selbstständigkeit des Antragstellers für einen Verbleib sprechen könnte. Dies setzt allerdings den Fortbestand des Unternehmens voraus. Es handelt sich zudem um eine GbR, die folglich auch von einem anderen Gesellschafter fortgeführt werden kann, ohne dass der Antragsteller seine gesellschaftsrechtliche Stellung verlieren würde. Sonstige persönliche Gründe, die gegen eine Ausweisung des Antragstellers sprechen, sind nicht ersichtlich. Von seiner Frau lebt er getrennt. Sein Sohn ist volljährig. Die minderjährigen Töchter müssen gerade vor ihrem Vater geschützt werden. [...]