OLG Braunschweig

Merkliste
Zitieren als:
OLG Braunschweig, Beschluss vom 12.02.2009 - 6 W 51 u. 52/08 - asyl.net: M15157
https://www.asyl.net/rsdb/M15157
Leitsatz:

Die Ausländerbehörde muss möglichst frühzeitig für die Einschaltung eines Dolmetschers sorgen, der für die unverzüglich vorzunehmende richterliche Anordnung zur Verfügung steht; unvermeidbare Verzögerungen sind zu dokumentieren; kann die richterliche Anhörung wegen des Fehlens eines Dolmetschers nicht unverzüglich erfolgen und ist die Unvermeidbarkeit der Verzögerung nicht dokumentiert, ist die dennoch verhängte Haft (hier: einstweilige Anordnung bis zum neuen Anhörungstermin) rechtswidrig.

 

Schlagwörter: D (A), Abschiebungshaft, Anhörung, Dolmetscher, einstweilige Anordnung, richterliche Haftanordnung, Ausländerbehörde, Beschleunigungsgebot, Sachaufklärungspflicht
Normen: AufenthG § 62; FEVG § 5 Abs. 1; GG Art. 104 Abs. 2; FGG § 12
Auszüge:

Die Ausländerbehörde muss möglichst frühzeitig für die Einschaltung eines Dolmetschers sorgen, der für die unverzüglich vorzunehmende richterliche Anordnung zur Verfügung steht; unvermeidbare Verzögerungen sind zu dokumentieren; kann die richterliche Anhörung wegen des Fehlens eines Dolmetschers nicht unverzüglich erfolgen und ist die Unvermeidbarkeit der Verzögerung nicht dokumentiert, ist die dennoch verhängte Haft (hier: einstweilige Anordnung bis zum neuen Anhörungstermin) rechtswidrig.

(Leitsatz der Redaktion)

 

[...]

Die sofortige weitere Beschwerde ist zulässig und hat auch in der Sache selbst insgesamt Erfolg.

1. Die Inhaftierung der Betroffenen aufgrund des Beschlusses des Amtsgerichts Wolfsburg vom 11. März 2008 war rechtswidrig. Durch diesen Beschluss hat das Amtsgericht im Wege der einstweiligen Anordnung die Haft zur Sicherung der Abschiebung der Betroffenen bis zum Ende des darauf folgenden Tages angeordnet, weil ein Dolmetscher für .... nicht geladen bzw. sistiert worden und die gem. § 5 Abs. 1 FEVG erforderliche Anhörung der Betroffenen zu diesem Zeitpunkt deshalb nicht möglich war. Das Amtsgericht hat hierzu für den nächsten Tag einen neuen Termin zur richterlichen Anhörung anberaumt, zu welchem der erforderliche Dolmetscher geladen wurde.

Diese Vorgehensweise entspricht nicht den grundgesetzlichen Vorgaben für eine Freiheitsentziehung gem. Art. 104 Abs. 2 GG, Wonach über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung grundsätzlich nur der Richter zu entscheiden hat und bei jeder nicht auf richterlicher Anordnung beruhenden Freiheitsentziehung unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen ist. Da diese Grundrechtssicherung nur dann praktisch wirksam wird, wenn der Richter die betreffende Person (vorliegend gem. § 5 Abs. 1 FEVG) anhören kann, muss die Ausländerbehörde durch eigene Bemühungen möglichst frühzeitig für die Einschaltung eines Dolmetschers sorgen, der sodann für die unverzüglich vorzunehmende richterliche Anhörung zur Verfügung steht (BVerfG Nds. Rpfl. 2007, 215, m.w.N.). Unvermeidbare Verzögerungen sind hierbei von den an der freiheitsentziehenden Maßnahme beteiligten staatlichen Organen zu dokumentieren; nur so kann gewährleistet werden, dass der von der Maßnahme in seinen subjektiven Rechten Betroffene den Rechtsweg in effektiver Weise beschreiten und bei einer späteren gerichtlichen Überprüfung noch festgestellt werden kann, ob aus sachlich zwingenden Gründen vom Gebot der Herbeiführung einer unverzüglichen richterlichen Entscheidung abgesehen werden durfte (BVerfG a.a.O., m.w.N.).

Im vorliegenden Fall ist nichts dafür ersichtlich, dass die Ausländerbehörde oder die Polizei sich ihrer Pflicht zur möglichst frühzeitigen. Einschaltung eines Dolmetschers zur Sicherung der richterlichen Anhörung bewusst gewesen wären. Die diesbezügliche Nachfrage des Landgerichts bei der Ausländerabteilung der Landeshauptstadt Kiel hat lediglich ergeben, dass von dort "nicht abschließend geklärt werden" konnte, weshalb bei der richterlichen Anhörung vom 11.03.2008 ein Dolmetscher nicht anwesend war. Hieraus ergibt sich, dass entsprechende Bemühungen nicht entfaltet und insbesondere evtl. dabei entstandene unvermeidbare Verzögerungen nicht dokumentiert worden sind, wie es die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts fordert.

2. Die Frage, ob das Beschleunigungsgebot während des Vollzugs der Sicherungshaft auf der Grundlage des Beschlusses des Amtsgerichts Wolfsburg vom 12. März 2008 hinreichend beachtet worden ist, ist vom Landgericht auf einer unzureichenden Feststellungsgrundlage beantwortet worden. Hierzu ist - ohne weitere Feststellungen - lediglich ausgeführt worden, dass die für die Abschiebung benötigte Zeit von 3 1/2 Wochen zwischen der Festnahme der Betroffenen und deren Abschiebung zur "erforderlichen Vorbereitung der Rückführung einschließlich der Buchung eines geeigneten Fluges nicht unangemessen" "erscheine". Angesichts der Tatsache, dass die Betroffene über einen Reisepass verfügte, ist nicht ohne weitere Feststellungen plausibel, weshalb die Rückführung der Betroffenen einen derartigen Zeitraum in Anspruch nahm. Diesbezüglich hätte es zur Aufklärung der konkreten Umstände gem. § 12 FGG weiterer Ermittlungen bedurft. Deshalb ist die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht Braunschweig zurückzuverweisen. [...]