OLG Braunschweig

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Zitieren als:
OLG Braunschweig, Beschluss vom 13.02.2009 - 6 W 2/09 - asyl.net: M15158
https://www.asyl.net/rsdb/M15158
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Abschiebungshaft, Entziehungsabsicht, Verhältnismäßigkeit, Verstoß gegen räumliche Beschränkung, Beschleunigungsgebot
Normen: AufenthG § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 5
Auszüge:

[...]

Die mit dem Ziel der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Inhaftierung des Betroffenen eingelegte sofortige weitere Beschwerde ist zulässig und hat auch in der Sache selbst einen Zwischenerfolg. Denn die angefochtene Entscheidung beruht auf einer nicht hinreichend aufgeklärten und damit unzureichenden Tatsachengrundlage.

1. Zwar ergibt sich aus den Feststellungen des Amts- und des Landgerichts i.V.m. den weiteren unstreitigen Umständen aus dem Akteninhalt der begründete Verdacht, dass sich der Betroffene der Abschiebung entziehen will (§ 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 AufenthG). Jedoch stießen die Regelungen des § 62 Abs. 2 S. 1 AufenthG auf verfassungsrechtliche Bedenken, wenn die Abschiebehaft auch dann zwingend angeordnet werden müsste, wenn dies - ausnahmsweise - zur Sicherung der Abschiebung - jedenfalls im angeordneten zeitlichen Umfang - gar nicht erforderlich wäre; denn § 62 Abs. 2 AufenthG sieht in allen tatbestandlichen Alternativen der Nummern 1 - 5 die Abschiebungshaftanordnung als Mittel "zur Sicherung der Abschiebung" vor (vgl. BVerfG NVwZ 1994, Beilage 8, 57). Insoweit gibt der vorliegende Fall Anlass zu der Prüfung, ob der Betroffene, der erst am 09.01.2009 abgeschoben wurde, bereits durch den Beschluss des Amtsgerichts Braunschweig vom 24.11.2008 in Sicherungshaft genommen werden musste. Auch wenn aufgrund verschiedener Umstände davon auszugehen ist, dass er sich der Abschiebung entziehen wollte, so weicht der vorliegende Fall von der Masse der anderen üblicherweise vorkommenden Fälle ab. Unstreitig ist der Betroffene nicht untergetaucht, um sich dem Behördenzugriff zu entziehen. Zwar hat er in zwei Fällen gegen die ihm auferlegte räumliche Beschränkung verstoßen. Der letzte Verstoß datiert aber bereits vom 11.05.2008. Seither stand der Betroffene für Behördenmaßnahmen verschiedenster Art - bereits am 14.05.2008 für eine Botschaftsvorführung - offensichtlich jederzeit zur Verfügung. Dies gilt nicht nur für weitere Botschaftsvorführungen, z.B. für diejenige vom 13.11.2008 bei der Botschaft von Nigeria (die zur Möglichkeit der Ausstellung von Passersatzpapieren führte), sondern auch für die jeweils erforderlichen Verlängerungen der Duldung, zu denen sich der Betroffene regelmäßig und pünktlich bei der Beteiligten nach dem (aus der Ausländerakte entnommen) Vortrag des Verfahrensbevollmächtigten eingefunden haben soll. Aufgrund dieser näher aufzuklärenden Umstände wäre zu prüfen gewesen, ob eine so frühe Inhaftierung überhaupt erforderlich war oder ob vorliegend nicht in Anwendung von § 62 Abs. 2 S. 2 AufenthG die Anordnung von Sicherungshaft kurz vor der vorbereiteten Abschiebung völlig ausgereicht hätte.

2. Darüber hinaus hätte auch der Aufklärung bedurft, weshalb sich die Beteiligte bis zum 19.11.2008 gegenüber der Bundespolizei nicht um einen Abschiebetermin bemüht hat, was dazu geführt hätte, dass die Abschiebung noch im Dezember 2008 hätte durchgeführt werden können. Insoweit hat der Verfahrensbevollmächtigte auf einen Telefonvermerk vom 17.11.2008 aus der Ausländerakte Bezug genommen, wonach die Beteiligte von der Bundespolizei auf diese bis zum 19.11.1008 bestehende Möglichkeit zur Vereinbarung eines Abschiebetermins noch innerhalb vom Dezember 2008 hingewiesen worden war. Stattdessen hat die Beteiligte an demselben Tag, also bereits am 19.11.2008 die Anordnung von Abschiebehaft beantragt; sie ging also bereits an diesem Tag von der absehbaren Abschiebung des Betroffenen aus, nutzte aber nicht die bereits bestehende Möglichkeit, die Abschiebung noch im darauf folgenden Monat durchführen zu lassen. Die Gründe hierfür hätten der Aufklärung bedurft, um einen Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot auszuschließen. Auch insoweit bleibt also offen, ob die Inhaftierung des Betroffenen aufgrund der Haftanordnung des Amtsgerichts nicht zumindest zeitweise rechtswidrig war. [...]