VG Minden

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Zitieren als:
VG Minden, Urteil vom 18.11.2008 - 10 K 1276/08.A - asyl.net: M15171
https://www.asyl.net/rsdb/M15171
Leitsatz:

Noch keine hinreichende Sicherheit vor erneuter Verfolgung in Togo.

 

Schlagwörter: Togo, Widerruf, Flüchtlingsanerkennung, Änderung der Sachlage, herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab, Verfolgungssicherheit, Reformen, Menschenrechtslage, UFC, CAR, Oppositionelle, CTI, exilpolitische Betätigung
Normen: AsylVfG § 73 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Noch keine hinreichende Sicherheit vor erneuter Verfolgung in Togo.

(Leitsatz der Redaktion)

 

[...]

Die Klage ist zulässig und begründet.

Der angegriffene Bescheid des Bundesamtes, mit der die zuvor getroffene Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, widerrufen und zugleich festgestellt wurde, dass die Voraussetzungen des - im Wesentlichen inhaltsgleichen - § 60 Abs. 1 AufenthG nicht vorliegen, ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. [...]

Das Gericht kann unter Zugrundelegung der vorliegenden Erkenntnisquellen gegenwärtig noch nicht die erforderliche Prognose treffen, dass die Verhältnisse sich seit dem Ergehen des bestandskräftigen Anerkennungsbescheides erheblich und nicht nur vorübergehend geändert haben. Für Rückkehrer kann nicht von einer hinreichenden Verfolgungssicherheit ausgegangen werden.

Zwar liegt hinsichtlich des Staates Togo eine positive Entwicklung vor, worauf die Beklagte zutreffend hingewiesen hat. So haben zwischenzeitlich am 14. Oktober 2007 Parlamentswahlen stattgefunden, welche friedlich verlaufen sind. Im Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage vom 29. Januar 2008 heißt es dazu, dass diese Wahlen unter reger Beteiligung internationaler Beobachter durchgeführt worden seien und trotz organisatorischer Mängel international anerkannt worden seien. Die Präsidentenpartei RPT habe die absolute Mehrheit errungen, im Parlament seien darüber hinaus nur noch UFC und CAR vertreten. Eine Regierungsneubildung sei noch nicht erfolgt. Die bisherigen Reformschritte hätten die Anerkennung aller unabhängigen Beobachter gefunden. Gezielte Übergriffe staatlicher Organe und regierungsnaher sonstiger Gruppen gegen Oppositionelle seien mit dem Beginn des "nationalen Dialogs" nicht mehr gemeldet worden. Oppositionsparteien, Medien, Gruppierungen der Zivilgesellschaft sowie Kirchen könnten frei agieren. Aus dem Lagebericht ergibt sich aber auch, dass Togo bis zum Tod des Präsidenten Eyadèma im Jahr 2005 38 Jahre unter dessen faktischer Alleinherrschaft gestanden habe. Deshalb hätten sich demokratische Strukturen und Institutionen nur ansatzweise entwickeln können. Es bestehe eine erhebliche Diskrepanz zwischen geltenden Rechtsnormen und ihrer Umsetzung. Auch die Nachfolge Eyadèmas habe sich undemokratisch gestaltet: Das Militär habe dessen Sohn Faure Gnassingbé verfassungswidrig als Präsidenten eingesetzt. Die Präsidentschaftswahlen von April 2005 seien so unregelmäßig verlaufen, dass sie von den Wahlbeobachtern nicht anerkannt worden seien. Dies habe zur weiteren politischen und wirtschaftlichen Isolation Togos geführt. Die nach den Präsidentschaftswahlen im April 2005 ausgebrochenen Unruhen seien vom Militär und von der Polizei massiv unterdrückt worden. Die Sicherheitskräfte hätten scharfe Munition eingesetzt, und der Regierungspartei RTP nahestehende Schlägergruppen hätten mit Nägeln versehene Holzknüppel benutzt. Mehrere 100 Personen seien getötet worden, Tausende verletzt. Etwa 40.000 Personen seien in die Nachbarstaaten Ghana und Benin geflohen. Zwischenzeitlich habe Präsident Faure Gnassingbé im Frühjahr 2006 mit allen Parteien einen "nationalen Dialog" begonnen. Dieser Dialog baue auf den sog. "22 Verpflichtungen" vom November 2004 auf, die Togo gegenüber der EU eingegangen sei und die auf Herstellung demokratischer und rechtsstaatlicher Verhältnisse abzielten. Überwiegend seien die "22 Verpflichtungen" bereits umgesetzt: So agierten mittlerweile alle Oppositionsparteien frei, die Printmedien befassten sich unbehelligt mit allen politischen Fragen, auch mit der Person des Präsidenten. Gezielte Übergriffe gegen Oppositionspolitiker und Journalisten seien 2006 und 2007 nicht bekannt geworden. Nachdem der "nationale Dialog" ins Stocken geraten sei, sei im August 2006 der burkinische Präsident Compaoré als Vermittler ernannt worden. Seine Bemühungen hätten den Abschluss des "Accord Politique Globa" (APG) am 20. August 2006 ermöglicht, einer von allen politischen Parteien Togos indossierten Vereinbarung, die auf die Herstellung des Rechtsstaates in Togo, die Neubildung der Regierung und die Durchführung international anerkannter Wahlen zum Parlament im Jahr 2007 abgezielt habe. Am 20. September 2006 sei die neue Regierung unter Führung des Oppositionspolitikers Agboyibo vom CAR, eines ausgewiesenen Menschenrechtsexperten, gebildet worden. CAR sei neben der UFC die wichtigste Oppositionspartei. Die UFC habe eine Regierungsbeteiligung abgelehnt, da ihr nicht ausreichend Schlüsselministerien angeboten worden seien. Sie habe jedoch im Rahmen des politischen Dialogs weiter an der Demokratisierung, insbesondere der Vorbereitung der Parlamentswahlen, mitgewirkt. Diese Reformschritte hätten die Anerkennung aller politischen Beobachter in Togo gefunden, nicht zuletzt verschiedener Missionen der EU- Kommission und der EU-Präsidentschaft.

Weiter heißt es in dem aktuellen Lagebericht aber auch, dass alle Institutionen und Organe des Staates Togo schwach seien. Sie seien unter der Diktatur Eyadèmas verkümmert. Togo habe von Frankreich das Rechts- und Gerichtsverfassungssystem übernommen, die Gerichte seien nach der Verfassung unabhängig. In der Vergangenheit sei allerdings bei Verfahren mit politischem Hintergrund massiver Druck auf die Justiz ausgeübt worden. Neben der Polizei, die dem Sicherheitsministerium unterstellt sei, übe auch die Gendarmerie unter der Verantwortung des Verteidigungsministeriums Polizeifunktionen aus. Polizei und Gendarmerie mangele es hinsichtlich ihrer Aufgaben weniger an gesetzlichen Vorschriften, sondern vielmehr an einer fundierten, die Menschenrechte respektierenden Ausbildung.

Zusammenfassend heißt es in dem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes, dass die Institutionen des Staates (Justiz, Ordnungskräfte, Militär) wie auch die politischen Parteien schwach und demokratisch unerfahren seien, sodass von einer Konsolidierung Togos noch keine Rede sein könne.

Bei dieser Sachlage vermag das Gericht trotz gewisser positiver Ansätze derzeit nicht feststellen, dass eine erneute Verfolgung des vorverfolgt ausgereisten Klägers im Falle seiner Rückkehr nach Togo mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann. Hinzu kommt, dass er sich nach seiner glaubhaften Darstellung im Bundesgebiet als ein Gründungsmitglied der Gruppierung CTI exilpolitisch betätigt und in diesem Rahmen in Togo begangene Straftaten gegen politisch Andersdenkende aufarbeitet, sodass er einem besonders gefährdeten Personenkreis zuzurechnen ist. Für die Annahme einer hinreichenden Verfolgungssicherheit wird es daher erforderlich sein, den Demokratisierungsprozess in Togo noch über einen gewissen Zeitraum zu beobachten.

So beispielsweise auch Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße, Urteil vom 27. März 2008 - 2 K 1329/07.NW -; ferner VG Hamburg, Urteil vom 10. April 2008 - 20 A 152/06 -, wonach die bislang fehlende rechtliche Aufarbeitung der Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit der Wahl im Jahr 2005 durch den Staat Togo besonders zu würdigen sei; Verwaltungsgericht Hannover, Urteil vom 05. Mai 2008 - 4 A 1590/08 -; Bayerisches Verwaltungsgericht Würzburg, Urteil vom 03. Juni 2008 - W 1 K 08.30034 -; Verwaltungsgericht Oldenburg, Urteil vom 05. Juni 2008 - 7 A 2566/08 -; Verwaltungsgericht Freiburg vom 26. Juni 2008 - 1 K 2160/07 -; Verwaltungsgericht Osnabrück, Urteil vom 20. November 2007 - 5 A 209/07 -; a.A. Verwaltungsgericht Düsseldorf, Urteil vom 12. Dezember 2007 - 12 K 4367/07.A -; Bayerisches Verwaltungsgericht München, Urteil vom 13. März 2008 - M 25 K 07.50909 -; Verwaltungsgericht Osnabrück, Urteile vom 30. Juni 2008 - 5 A 126/08 - und vom 18. August 2008 - 5 A 155/08 -; Verwaltungsgericht Schwerin, Urteil vom 19. August 2008 - 5 A 551/08 As - . [...]