SG Aachen

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Zitieren als:
SG Aachen, Urteil vom 14.10.2008 - S 13 EG 16/08 - asyl.net: M15180
https://www.asyl.net/rsdb/M15180
Leitsatz:

Elterngeld setzt gem. § 1 Abs. 7 BEEG den Besitz eines Aufenthaltstitels voraus; die rückwirkende Erteilung eines Aufenthaltstitels genügt nicht; das Vorläufige Europäische Sozialabkommen ist auf das Elterngeld nicht anwendbar.

 

Schlagwörter: D (A), Elterngeld, Konventionsflüchtlinge, Aufenthaltserlaubnis, Besitz, Rückwirkung, Amtshaftungsanspruch, sozialrechtlicher Herstellungsanspruch, Vorläufiges Europäisches Sozialabkommen, Anwendbarkeit
Normen: BEEG § 1 Abs. 7; AufenthG § 25 Abs. 2
Auszüge:

Elterngeld setzt gem. § 1 Abs. 7 BEEG den Besitz eines Aufenthaltstitels voraus; die rückwirkende Erteilung eines Aufenthaltstitels genügt nicht; das Vorläufige Europäische Sozialabkommen ist auf das Elterngeld nicht anwendbar.

(Leitsatz der Redaktion)

 

[...]

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet. [...]

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Elterngeld bereits für die ersten drei Lebensmonate des Kindes K., da sie in dieser Zeit noch nicht die Voraussetzungen nach § 1 Abs. 7 Bundeselterngeldgesetz (BEEG) erfüllt hatte.

Der Klägerin wurde erst am 17.01.2008 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG erteilt die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt. Eine solche Aufenthaltserlaubnis begründet - bei Erfüllung der weiteren Voraussetzungen insbesondere nach Abs. 1 - den Anspruch einer nicht freizügigkeitsberechtigten Ausländerin - wie der Klägerin - nach § 1 Abs. 7 Nr. 2 BEEG. Auf die weiteren Voraussetzungen nach § 1 Abs. 7 Nr. 2 a) bis c) und Nr. 3 BEEG kommt es nicht an. Deshalb hat die Klägerin zurecht ab 18.01.2008 Elterngeld erhalten.

In den davor liegenden drei Monaten erfüllte die Klägerin allerdings noch nicht die Voraussetzungen nach § 1 Abs. 7 BEEG; insbesondere war sie nicht im Besitz eines anspruchsbegründenden Aufenthaltstitels. Durch die Formulierung, dass eine Ausländerin nur anspruchsberechtigt ist, wenn sie den maßgeblichen Aufenthaltstitel "besitzt", ist klargestellt, dass das Elterngeld frühestens von diesem Zeitpunkt an bezogen werden kann. Selbst wenn - was für die Klägerin nicht zutrifft - im Aufenthaltstitel eine Rückwirkung angeordnet worden wäre, lässt die Erteilung des Aufenthaltstitels den Anspruch auf Elterngeld nur für die Zukunft entstehen (BSG, Urteil vom 09.02.1994 - 14/14b Rg 9/93 = SozR 3-7833 § 1 Nr. 12 zum Erziehungsgeld). Entgeht einer Ausländerin Elterngeld wegen einer rechtswidrigen Verzögerung des Aufenthaltserlaubnisverfahrens (die hier nicht ersichtlich ist), so kann sie einen Ausgleich grundsätzlich nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs geltend machen. Für den durch das entgangene Elterngeld entstandenen Schaden verbliebe nur ein etwaiger Amtshaftungsanspruch nach § 839 BGB i.V. m. Artikel 34 GG (vgl. dazu Irmen in: Hambüchen, BEEG/EStG/BKGG-Kommentar, Stand: Februar 2008, § 1 BEEG Rndrn. 109, 110 m.w.N.). Die Rechtsprechung des BSG zu der Tatbestandsvoraussetzung "Besitz" eines anspruchsbegründenden Aufenthaltstitels zum Erziehungsgeld gilt auch für das Elterngeld. Der Gesetzgeber hat sich in Kenntnis dieser ausführlichen und seit langem bekannten Rechtsprechung für die Formulierung in § 1 Abs. 7 BEEG entschieden; die Vorschrift differenziert noch zwischen "erteilt" und "besitzt", macht also deutlich, dass es für die Elterngeldanspruchsberechtigung gerade auf den Besitz des Aufenthaltstitels ankommt.

Schließlich kann die Klägerin ihren Anspruch auch nicht auf das Vorläufige Europäische Abkommen über Soziale Sicherheit vom 11.12.1953 (BGBl. 1956 II S. 507) stützen, das bis heute gültig ist und unmittelbare Rechtsansprüche begründet. Zwar wird die Klägerin vom persönlichen Anwendungsbereich des Vorläufigen Europäischen Abkommens erfasst, denn sie ist anerkannter Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention. Nach Artikel 2 des Zusatzprotokolls zu dem Vorläufigen Europäischen Abkommen finden die Vorschriften des Hauptabkommens auf Flüchtlinge unter den gleichen Voraussetzungen Anwendung wie auf die Staatsangehörigen der vertragschließenden Staaten. Das Vorläufige Europäische Abkommen erstreckt sich jedoch sachlich nicht auf das bundesdeutsche Elterngeld. Dies hat das Bundessozialgericht mit ausführlicher Begründung und substanziierten Quellennachweisen bereits durch Urteil vom 23.09.2004 - B 10 EG 3/04 R (BSGE 93,194 = SozR 4-7833 § 1 Nr. 6) für das Erziehungsgeld festgestellt. Die Ausführungen des BSG gelten genauso für das Elterngeld. [...]