VG Hannover

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Zitieren als:
VG Hannover, Urteil vom 18.12.2008 - 12 A 1259/07 - asyl.net: M15192
https://www.asyl.net/rsdb/M15192
Leitsatz:
Schlagwörter: Armenien, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Krankheit, Schilddrüsenunterfunktion, Diabetes mellitus, Hypertonie, medizinische Versorgung, Finanzierbarkeit
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

[...]

Die Kläger haben einen Anspruch darauf, dass die Beklagte das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in ihrer Person feststellt. [...]

Den vorgelegten Attesten der Ärztin für Allgemeinmedizin vom 27.08.2008 ist zu entnehmen, dass beide Antragsteller wegen der dort aufgeführten Erkrankungen dauerhaft mit den in den Attesten im Einzelnen genannten Medikamenten behandelt werden. Dass ein Abbruch der Behandlung zu schweren Gesundheitsschäden führen kann, bedarf im Hinblick auf die Art Erkrankungen keiner weiteren Darlegungen. Dies gilt insbesondere für die bei beiden Klägern diagnostizierte Schilddrüsenunterfunktion sowie für den Diabetes und die Hypertonie, an denen die Klägerin zu 1) leidet.

Die somit zur Vermeidung schwerer Gesundheitsschäden benötigten Medikamente werden die Kläger bei einer Rückkehr nach Armenien zum gegenwärtigen Zeitpunkt mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht erhalten.

Zwar gibt es in Armenien ein Gesetz über die unentgeltliche medizinische Behandlung. Das Gesetz regelt den Umfang der kostenlosen ambulanten oder stationären Behandlung bei bestimmten Krankheiten und Medikamenten. Im Staatshaushalt sind für die medizinische Versorgung Mittel vorhanden, die auch kontinuierlich aufgestockt werden (vgl. AA, Lagebericht vom 18.06.2008). Gleichwohl ist davon auszugehen, dass die Kläger die zur Vermeidung schwerer Gesundheitsschäden dringend benötigten Medikamente bei einer Rückkehr nach Armenien zum gegenwärtigen Zeitpunkt mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht erhalten werden.

Nach der Auskunft der Deutschen Botschaft in Eriwan an den Landkreis Diepholz vom 11.07.2008 sind nämlich nicht alle von den Klägern benötigten Medikamente kostenlos zu erhalten. Vielmehr sind die mit ** gekennzeichneten Medikamente - z.B. Glucobay und Physiotens (Moxonidine) - nicht auf der "Liste der Hauptarzneimittel" verzeichnet und daher zwar "in den Apotheken vorhanden, aber mit vollem Preis". Dass die Kläger über die für den Erwerb dieser Medikamente erforderlichen Mittel verfügen, ist jedoch nicht ohne weiteres anzunehmen, da sie aufgrund ihres Alters und ihrer Erkrankung keine Aussicht haben, einen Arbeitsplatz zu erhalten. Dass Angehörige der Kläger in Armenien über die erforderlichen Mittel verfügen und diese Mittel für die Kläger einsetzen würden, kann ebenfalls nicht angenommen werden.

Aber auch soweit die von den Klägern benötigten Medikamente auf dieser Liste verzeichnet sind und daher kostenfrei oder mit Ermäßigung an die Patienten abzugeben sind, kann nicht davon ausgegangen werden, dass sie den Klägern bei einer Rückkehr nach Armenien tatsächlich zur Verfügung stehen. Denn die Beträge, die den Kliniken zur Verfügung gestellt werden, reichen für deren Betrieb und die Ausgabe von Medikamenten nicht aus, so dass die Kliniken gezwungen sind, von den Patienten Geld zu nehmen (vgl. AA, Lagebericht vom 18.06.2008). Zwar besteht die - theoretische - Möglichkeit, diese informellen Zahlungen zu verweigern und sich beim Gesundheitsministerium zu beschweren oder den Rechtsweg zu beschreiten. Zumindest während der Dauer der Bearbeitung einer solchen Beschwerde oder einer solchen Klage stünden den Klägern die notwendigen Medikamente jedoch nicht zur Verfügung. Darüber hinaus fallen jedenfalls für die Durchführung eines gerichtlichen Verfahrens Gebühren und Rechtsanwaltskosten in Höhe von ca. 8,66 Euro bzw. 150,00 Euro an (vgl. Auskunft der Deutschen Botschaft in Eriwan vom 16.08.2007 an das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht), die die Kläger ebenfalls nicht aufbringen könnten. [...]