VG Wiesbaden

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Zitieren als:
VG Wiesbaden, Urteil vom 17.12.2008 - 2 E 131/07.A(1) - asyl.net: M15194
https://www.asyl.net/rsdb/M15194
Leitsatz:
Schlagwörter: Moldau, Wiederaufgreifen des Verfahren, neue Beweismittel, Fälschung, Strafverfahren, Strafhaft, Haftbedingungen, allgemeine Gefahr, extreme Gefahrenlage
Normen: VwVfG § 51 Abs. 1 Nr. 2; AufenthG § 60 Abs. 7; AufenthG § 60 Abs. 6
Auszüge:

[...]

Die zulässige, auf die Feststellung eines Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG beschränkte Klage ist begründet. [...]

Die Beklagte hat den Antrag des Klägers auf Abänderung des nach altem Recht ergangenen Bescheides vom 16.08.2001 bezüglich der Feststellung zu § 53 Abs. 1 bis 6 AuslG (jetzt: § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG) zu Unrecht abgelehnt.

Nach Auffassung des Gerichts besteht ein Anspruch des Klägers auf Wiederaufgreifen des Verfahrens, da ein neues Beweismittel i.S.d. § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG vorliegt; es handelt sich hierbei um das Original-Dokument der Generalstaatsanwaltschaft der Republik Moldawa Nr. ... vom 11.11.2005 (Original Bl. 144 GA; deutsche Übersetzung Bl. 37 f. GA). [...]

Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.

Ausweislich des vorgelegten neuen Beweismittels ist u.a. gegen den Kläger in Moldau ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen einer strafbaren Handlung gemäß Art. 140 Teil 1 des StGB der Republik Moldau eingeleitet worden. Hintergrund dieses strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens sind ausweislich der vorgelegten Übersetzung (Bl. 37 GA) die Publikationen des Klägers in ausländischen Massenmedien, die u.a. geeignet seien, die Staatsmacht der Republik Moldau, das Image des Staates sowie die Staatsorgane zu verleumden. Für derartige Vergehen sehe das Strafgesetzbuch Geldstrafen von bis zu 500 Tagessätzen und Freiheitsentzugsstrafe in Höhe von 3 bis 8 Jahren sowie das Verbot vor, für die Dauer von 5 Jahren bestimmte Positionen zu bekleiden oder bestimmte Tätigkeiten auszuüben. Ferner ergibt sich aus dem Dokument, dass der Kläger zur Fahndung ausgeschrieben sei. [...]

Zwar ist die allgemeine Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung grundsätzlich nicht als abschiebungsschutzrelevante Maßnahme zu werten, die die Feststellung eines Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG im Bundesgebiet nach sich zieht; dies ist in § 60 Abs. 6 AufenthG ausdrücklich geregelt. Diese Vorschrift betont die Neutralität der Bundesrepublik Deutschland gegenüber fremden Rechtsordnungen.

Hierbei ist anzumerken, dass auch das deutsche Strafgesetzbuch die Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole unter Strafe stellt (Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren oder Geldstrafe, § 90a StGB). Die Freiheitsstrafe erhöht sich sogar auf bis zu 5 Jahren, wenn der Täter sich durch die Tat absichtlich für Bestrebungen gegen den Bestand der Bundesrepublik Deutschland oder gegen Verfassungsgrundsätze einsetzt (§ 90a Abs. 3 StGB).

Der Strafrahmen der moldavischen Strafbestimmung ist also mit dem im deutschen StGB Vorgesehenen vergleichbar.

Die strafrechtliche Verfolgung des Klägers in Moldau wäre also in abschiebungsschutzrelevanter Hinsicht irrelevant, denn es lässt sich den vorliegenden Erkenntnissen auch nicht entnehmen, dass bestimmten Personen oder Personengruppen in Moldau ein sogenannter "Politmalus" droht.

Ein Abschiebungsverbot zugunsten des Klägers ergibt sich jedoch daraus, dass die Bedingungen in den moldavischen Haftanstalten als äußerst schlecht zu beurteilen sind (Auswärtiges Amt, Lagebericht Moldau vom 26.11.1998, Seite 7). In dem Lagebericht wird ausgeführt, dass die Versorgungslage in den moldavischen Haftanstalten schlechter als die der Bevölkerung allgemein ist. Die Inhaftierten leiden unter chronischer Mangelernährung (nur 40 % der erforderlichen Kalorien), da es an einer ausgewogenen Versorgung mit z.B. Fleisch oder Fisch fehlt. Gravierende Gesundheitsschäden sind die Folge. Vor allem Tuberkulose ist in allen Haftanstalten weit verbreitet. Unsachgemäße Medikation hat zum Teil zu Resistenzen geführt.

Zwar liegt diese Auskunft des Auswärtigen Amtes mittlerweile schon 10 Jahre zurück, neuere Erkenntnisse hierzu existieren jedoch nicht. Da Moldavien jedoch das "Armenhaus Europas" ist, kann ohne weiteres unterstellt werden, dass sich an der Situation in den Justizvollzugsanstalten nichts Grundlegendes geändert hat. Als Vergleich kann auch die aktuelle Situation im russischen Strafvollzug herangezogen werden, die hinsichtlich der medizinischen Versorgung als "katastrophal" beschrieben wird (Auswärtiges Amt, Lagebericht Russische Föderation vom 13.01.2008).

Die dargestellten Haftbedingungen in Moldavien treffen jedoch alle Häftlinge gleichermaßen, eine asyl- oder abschiebungsschutzrelevante diskriminierende Praxis für bestimmte Personengruppen ist nicht festzustellen.

Aufgrund dieser Auskunftslage ist das Gericht mithin zu der Überzeugung gelangt, dass für den jetzt 72 Jahre alten Kläger im Falle der Rückkehr nach Moldavien - sowie seiner nach Aktenlage wahrscheinlichen Inhaftierung - eine existenzielle Gefahr für Leib und Leben besteht, vor der er durch Feststellung eines Abschiebungsverbotes i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu schützen ist. Zwar handelt es sich hierbei um eine Gefahr, der Teile der moldavischen Bevölkerung - nämlich alle Strafgefangenen - allgemein ausgesetzt sind. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG werden derartige Aspekte grundsätzlich im Rahmen von § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG berücksichtigt. Eine entsprechende Anordnung der Obersten Landesbehörden liegt jedoch nicht vor. Aus diesem Grund ist die Vorschrift des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG verfassungskonform auszulegen, da eine konkrete Gefahr für Leib und Leben des Klägers besteht. [...]