VG Gelsenkirchen

Merkliste
Zitieren als:
VG Gelsenkirchen, Urteil vom 03.12.2008 - 7a K 530/08.A - asyl.net: M15195
https://www.asyl.net/rsdb/M15195
Leitsatz:
Schlagwörter: Kosovo, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Krankheit, psychische Erkrankung, posttraumatische Belastungsstörung, medizinische Versorgung, sexuelle Gewalt, Retraumatisierung, Suizidgefahr
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

[...]

Die zulässige Klage ist begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG. [...]

Es besteht eine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich ihr Gesundheitszustand im Falle ihrer Rückkehr in den Kosovo auf Grund der dort vorhandenen Verhältnisse wesentlich verschlechtern wird.

Dabei geht die Kammer davon aus, dass die Behandlung psychischer Krankheiten im Kosovo grundsätzlich möglich ist. Dies belegen die ins Verfahren eingeführten Lageberichte des Auswärtigen Amtes (zuletzt vom 29. November 2007) und auch die übrigen, der Erkenntnisliste zu entnehmenden medizinischen Informationen insbesondere des Deutschen Verbindungsbüros Kosovo, z.B. vom 21. Juli 2006 an das Verwaltungsgericht Düsseldorf (Gz.: ERK 516.80-E 168/06). Die Klägerin stammt auch aus der Stadt ..., wo ein funktionierendes medizinisches Zentrum für Gesundheit existiert. Die Kammer ist aber insbesondere auf Grund des im Wege der Beweisaufnahme eingeholten Gutachtens der Fachärztin für Psychiatrie - Psychotherapie - ... vom 29. September 2008 und den diesem Gutachten zugrunde liegenden ärztlichen Stellungnahmen, die die Klägerin im Laufe des Verfahrens zu den Akten gereicht hat, der Überzeugung, dass eine Rückführung der Klägerin - jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt - nicht in Betracht kommt, weil dadurch eine erhebliche Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes im Sinne der dargelegten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eintreten würde. Zusammenfassend leidet die Klägerin nach diesem Gutachten an einer posttraumatisch entstandenen psychiatrischen Erkrankung, deren auslösendes Ereignis in einer sexuellen Traumatisierung liegen kann, daraus aber nicht sicher abzuleiten ist und die einen Menschen getroffen hat, der ohnehin im Kindesalter bereits an einer psychischen Störung nicht näher eruierbarer Art gelitten hat. Die Gutachterin zeichnet ein schweres Krankheitsbild, das einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung bedarf, was auch im letzten Attest vom 27. Juli 2008 des derzeit behandelnden Arztes Dr. med. ... Bestätigung findet. Der Umstand, dass die Gutachterin das sog. A-Kriterium einer PTBS (das Vorhandensein eines traumatischen Ereignisses) nicht explizit festgestellt hat, sondern von "traumatisierenden Erlebnissen" spricht, zu denen sich "sichere neutrale und präzise Informationen" nicht gewinnen ließen, hindert die Verwertbarkeit des Gutachtens nicht. Die Gutachterin hat nämlich ausdrücklich festgestellt, dass traumatisierende Erlebnisse in der Vergangenheit lediglich für die Entstehung einer psychiatrischen Erkrankung verantwortlich waren, die sich dann im Weiteren eigenständig entwickelt und manifestiert hat und die dazu führt, dass die Klägerin auf Grund dieser Erkrankung unter hochgradigen Ängsten vor einer Rückkehr leidet, die nach den tatsächlichen Verhältnissen derzeit im Kosovo objektiv nicht gerechtfertigt sind. Die Klägerin bedarf auf Grund ihrer Erkrankung nicht nur der Weiterbehandlung in Form der begonnenen Psychotherapie, sondern insbesondere auch der sozialen Stützung durch ihre hier lebende Familie. Derartige familiäre Strukturen sind nach dem durchgängigen Vortrag der Klägerin seit Beginn ihres Asylverfahrens im Kosovo nicht vorhanden. Die psychische Erkrankung der Klägerin seit ihrer Einreise ins Bundesgebiet ist im Übrigen durch die ärztliche Bescheinigung des Krankenhauses ... vom 18. August 2005 belegt, wo die Klägerin der Zeit vom 5. August bis zum 1. September 2008 stationär behandelt wurde; eine Bestätigung findet ihr krankhafter Zustand auch in den Angaben ihres früheren Ehemannes, der gegenüber der Ausländerbehörde das Verhalten der Klägerin während der Ehe geschildert hatte: "Sie schläft nachts komplett angezogen und wendet sich von mir ab .... hat sie damit gedroht, mich umzubringen ..." (vgl. beigezogene Ausländerpersonalakte, Beiakte Heft 3, Blatt 115). Dieses Verhalten hat die Gutachterin mit "krankheitsbedingter Tendenz zu überschießendem Verhalten" beschrieben. Die Gutachterin hat dargelegt, dass die Rückführung der Klägerin in den Kosovo zu einer deutlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes mit lebensbedrohlichen Auswirkungen führen würde, wobei die Gutachterin die Suizidalität als krankheitsimmanent bezeichnet. Die Kammer folgt dieser Prognose und sieht daher die Weiterführung der psychotherapeutischen Behandlung als zwingend erforderlich an. Es ist der Klägerin nicht zuzumuten, diese Behandlung abzubrechen, um in den Kosovo zurückzukehren. Die dort möglichen Behandlungsformen reichen eindeutig nicht aus, und es fehlt auch der erforderliche stützende familiäre Hintergrund, der ihr die Teilnahme an einer erfolgreichen Therapie überhaupt erst ermöglichen könnte. Dass die medikamentöse Therapie, die die Klägerin sowohl im Kosovo als auch hier genossen hat, keine Stabilisierung ihres Gesundheitszustandes bewirken, sondern im Wesentlichen der Beruhigung dienen, hat die Gutachterin ebenfalls festgestellt. Zusammenfassend ist daher nach Überzeugung der Kammer eine Abschiebung der Klägerin aus gesundheitlichen Gründen nicht zu verantworten. Es besteht insofern ein Abschiebungshindernis, das auf den Verhältnissen im Kosovo fußt, also zielstaatsbezogen ist, da die Krankheit dort entstanden ist und sich - wie die Gutachterin überzeugend darlegt - im Falle der Rückführung der Klägerin allein dort lebensbedrohlich auswirken würde. Dementsprechend ist gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG dieses Abschiebungshindernis zu berücksichtigen. [...]