VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Urteil vom 14.01.2009 - 5 K 7457/08.A - asyl.net: M15212
https://www.asyl.net/rsdb/M15212
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung für eine iranische Staatsangehörige wegen drohender diskriminierender Strafverfolgung im Iran wegen Konversion vom Islam zum Christentum, da aufgrund einer geplanten Gesetzesverschärfung die Bestrafung der Apostasie als "Hadd"-Delikt droht.

 

Schlagwörter: Iran, Konversion, Apostasie, Christen, religiös motivierte Verfolgung, Religion, Strafverfolgung, diskriminierende Strafverfolgung, Hadd-Strafe, Glaubwürdigkeit
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; RL 2004/83/EG Art. 9 Abs. 2 Bst. c; RL 2004/83/EG Art. 10 Abs. 1 Bst. b
Auszüge:

Flüchtlingsanerkennung für eine iranische Staatsangehörige wegen drohender diskriminierender Strafverfolgung im Iran wegen Konversion vom Islam zum Christentum, da aufgrund einer geplanten Gesetzesverschärfung die Bestrafung der Apostasie als "Hadd"-Delikt droht.

(Leitsatz der Redaktion)

 

[...]

Der Klägerin zu 1. steht wegen ihrer Konversion vom muslimischen zum christlichen Glauben - aus Gründen, die sich aus Ereignissen ergeben, die nach der Flucht eingetreten sind, da die Taufe im Laufe des Klageverfahrens am 15. November 2008 erfolgte, - nach § 3 AsylVfG in Verbindung mit § 60 Abs. 1 AufenthG ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu. [...]

In Art. 9 Abs. 1 und 2 der Richtlinie werden die Handlungen beschrieben, die wegen ihrer Schwere als (- bei Verbindung mit den Verfolgungsgründen des Art. 10 der Richtlinie - politische) Verfolgung gelten, wozu u.a. eine diskriminierende Strafverfolgung zählen kann (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. c) der Qualifikationsrichtlinie). Nach Art. 10 Abs. 1 lit. b) der Richtlinie haben die Mitgliedstaaten bei der Prüfung der Verfolgungsgründe zu berücksichtigen, dass - im Rahmen des nach Art. 2 lit c) der Richtlinie intendierten Schutzes vor Verfolgung wegen Religion - der Begriff der Religion insbesondere umfasst: theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme bzw. Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten und öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder der Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind.

Stellt ein Herkunftsstaat schon eine bestimmte private religiöse Betätigung oder Meinungsäußerung als solche diskriminierend, d.h. abweichend von seiner Haltung gegenüber anderen Glaubensüberzeugungen, unter Strafe, so ist bei Anwendung dieser Maßstäbe der Ausländer, der sich entsprechend seiner diskriminierten Glaubensüberzeugung bei Rückkehr in diesen Staat religiös betätigen will, von politischer Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG bedroht.

So liegt der Fall hier. Denn ein Konvertit, der vom muslimischen Glauben abfällt, muss künftig im Iran ernstlich mit schwerer politischer Verfolgung wegen seiner Religion im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG rechnen. Denn nach dem Bericht der Deutschen Botschaft in Teheran vom 6. Oktober 2008 ist am 9. September 2008 in das iranische Parlament ein Gesetzentwurf der Regierung zur Änderung des iranischen Strafgesetzbuches (iStGB-Entwurf) eingebracht und an die Ausschüsse zur Beratung weitergeleitet worden, der erstmals die Kodifizierung des Straftatbestandes der "Apostasie" (Abfall vom (muslimischen) Glauben) im staatlichen Gesetzbuch mit dem Strafmaß der Todesstrafe vorsieht; für Frauen ist eine Höchststrafe von 10 Jahren Haft vorgesehen. Die Apostasie könnte bei Inkrafttreten der Strafbestimmungen als "Hadd"-Delikt, d.h. als - im Sinne des iranisch-muslimischen Rechtsverständnisses - "Verstoß gegen göttliches Recht" auch rückwirkend bestraft werden. Nach Einschätzung der Botschaft ist angesichts der Zusammensetzung der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Verfassungsorgane nicht zu erwarten, dass der Entwurf im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens im Sinne der Menschenrechte "verbessert" werden könnte. Es ist daher mit der Verabschiedung der neuen Strafvorschriften zur Apostasie ernstlich zu rechnen. Mit Blick auf die rückwirkende Geltung eines solchen Gesetzes, mit dessen Inkrafttreten in absehbarer Zeit ernstlich gerechnet werden muss, und die Schwere der Strafdrohung, ist ein Konvertit, dem die Rückkehr in den Iran angesonnen wird, schon jetzt mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr einer politischen Verfolgung wegen seiner religiösen Überzeugungen ausgesetzt.

Auch die - nach Überzeugung des Gerichtes - unverfolgt ausgereiste Klägerin muss bei Rückkehr in den Iran mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit mit einer solchen Verfolgung rechnen.

Nach Art. 225 - 1 iStGB-Entwurf ist Apostat jeder Muslim, der eindeutig verkündet, dass er oder sie den Islam verlassen hat und sich zum Unglauben bekennt. Allerdings sieht Art. 225 - 2 iStGB-Entwurf vor, dass ein Beschuldigter u.a. dann nicht als Apostat eingeschätzt wird, wenn er behauptet, dass seine eigentliche Intention etwas anderes gewesen ist (vgl. Bericht der Deutschen Botschaft in Teheran vom 6. Oktober 2008).

Das bedeutet, dass Personen, die nicht ernsthaft, sondern zum Schein "konvertieren", um ihre Aussichten auf den Erwerb einer sonst nicht erlangbaren Aufenthaltsmöglichkeit im Ausland asyltaktisch zu verbessern, sich auf diese Regelung berufen können und wegen ihrer "eigentlichen", nicht auf den Abfall vom muslimischen Glauben gerichteten Intention bei der "Scheinkonversion" nicht mit einer Verurteilung als Apostat rechnen müssen. Denn die Berücksichtigung asyltaktischer Handlungsweisen bei der Bewertung des Verhaltens ihrer Staatsbürger im westlichen Ausland ist den iranischen Behörden nicht fremd (vgl. in diesem Sinne für die entsprechende Bewertung etwa einer Asylantragstellung durch iranische Stellen: Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Aachen vom 31. März 2005 (Az.: 508-516.80/43432), oder exilpolitischer Aktivitäten: Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 4. Juli 2007 (S. 26)).

Nach Überzeugung des Gerichtes ist die Klägerin allerdings eine ernsthafte Apostatin in dem soeben angesprochenen Sinne, so dass ihr bei Rückkehr in den Iran eine Bestrafung nach den im Entstehen begriffenen Normen des iStGB droht. Denn ihr kann als überzeugter Christin nach den Schutzintentionen des § 60 Abs. 1 AufenthG für den Fall der Rückkehr in den Iran nicht angesonnen werden, unter Verleugnung ihres neuen Glaubens vorzugeben, sie habe den Glaubenswechsel nicht ernstlich vollzogen. [...]

Die Klägerin hat sich in der umfassenden Befragung in der mündlichen Verhandlung zu den Gründen und Auslösern der Hinwendung zum christlichen Glauben, zu den Inhalten des christlichen Glaubens und vor allem zu der Bedeutung des christlichen Glaubens für sie selbst und ihr Leben frei, ausführlich, detailliert, plastisch und mit nachvollziehbarer emotionaler Beteiligung eingelassen. Sie hat dem Gericht in der mündlichen Verhandlung dadurch die Überzeugung zu vermitteln vermocht, dass sie eine ernste und dauerhafte Glaubensentscheidung getroffen hat, als sie Christ wurde. Gegen diese Einschätzung spricht nicht, dass die Klägerin sich erst hat taufen lassen, nachdem ihr der für sie negative Ausgang des Asylverfahrens vor dem Bundesamt bekannt geworden ist (Zustellung des Bescheides: 22. Oktober 2008; Taufdatum: ... November 2008). Die sich aus diesem zeitlichen Ablauf möglicherweise ergebenden Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Glaubensentscheidung hat die Klägerin zerstreut, indem sie glaubhaft dargelegt hat, dass sie bereits Ende des Jahres 2007 Kontakt zu einer freikirchlichen Gemeinde aufgenommen und dort an Gottesdiensten teilgenommen hat. [...]