OVG Sachsen-Anhalt

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Zitieren als:
OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 09.02.2009 - 2 M 276/08 - asyl.net: M15241
https://www.asyl.net/rsdb/M15241
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Aufenthaltserlaubnis, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Einstweilige Anordnung, Schutz von Ehe und Familie, Familienzusammenführung, Ehegattennachzug, abgelehnte Asylbewerber, Anspruch, Ermessensreduzierung auf Null, Ausweisungsgründe, Verstoß gegen Rechtsvorschriften, Ausreisehindernis, Zumutbarkeit
Normen: VwGO § 123; AufenthG § 60a Abs. 2; GG Art. 6 Abs. 1; AufenthG § 10 Abs. 3 S. 1; AufenthG § 10 Abs. 3 S. 3; AufenthG § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 2; AufenthG § 55 Abs. 2 Nr. 2
Auszüge:

[...]

Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet. [...]

2.1. Ob der Hauptantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zulässig ist, entzieht sich der Prüfungsbefugnis des Senats, weil sich der Antragsteller mit den diesbezüglichen Erwägungen des Verwaltungsgerichts nicht auseinandergesetzt hat (§ 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO). Damit kann allein der hilfsweise gestellte Antrag, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zu verpflichten, ihm bis zur Hauptsacheentscheidung eine Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG zu erteilen, Prüfungsgegenstand sein. [...]

2.2. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Antragsteller derzeit keinen Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 AufenthG wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung hat.

2.2.1. Wie der Senat bereits mehrfach entschieden hat, kommt der Aussetzung der Abschiebung (Duldung) nicht die Funktion eines vorbereitenden oder ersatzweise gewährten Aufenthaltsrechts zu (vgl. Beschlüsse d. Senats v. 11.10.2006 - 2 M 294/06 -, Juris, u. v. 25.08.2006 - 2 M 228/06 -, Juris; sowie zu § 55 Abs. 2 AuslG: BVerwG, Urt. v. 25.09.1997 - 1 C 3.97 -, BVerwGE 105, 35 [43]). Die Frage, ob gegebenenfalls auch eine längerfristige Trennung von Ehegatten im Hinblick auf Art. 6 GG zulässig ist, ist grundsätzlich im Verfahren auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nachzugehen, das wegen § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG in der Regel nicht vom Inland aus betrieben werden kann (vgl. Funke-Kaiser in: GK-AufenthG, II § 60a RdNr. 87). Hat ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels – wie es das Verwaltungsgericht hier angenommen hat – ein Bleiberecht in Form einer Fiktion nicht ausgelöst und ist demzufolge ein nach Antragsablehnung gestellter Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO unzulässig, scheidet aus gesetzessystematischen Gründen darüber hinaus auch die Erteilung einer Duldung für die Dauer des Erteilungsverfahrens grundsätzlich aus; denn die Erteilung einer Duldung widerspräche der in den genannten Vorschriften zum Ausdruck gekommenen gesetzlichen Wertung, für die Dauer eines Aufenthaltsgenehmigungsverfahrens nur unter bestimmten Voraussetzungen ein Bleiberecht zu gewähren (vgl. OVG NW, Beschl. v. 11.01.2006 - 18 B 44.06 AuAS 2006-, 144; Beschl. v. 07.06.2004 - 18 B 596/04 - Juris; OVG Berlin, Beschl. v. 26.11.2003, a.a.O.).

2.2.2. Eine grundsätzlich andere Sichtweise ist zwar dann geboten, wenn es dem Ausländer im Hinblick auf Art. 6 GG nicht zugemutet werden kann und darf, seine in der Bundesrepublik gelebten familiären Beziehungen auch nur vorübergehend für die Dauer eines vom Ausland zu betreibenden Visumverfahrens zu unterbrechen, etwa wenn ein Kleinkind von einem Elternteil getrennt würde (vgl. Beschl. d. Senats v. 25.08.2006 - 2 M 228/06 -, a.a.O., m. w. Nachw.). Bei einem sehr kleinen Kind kann auch eine verhältnismäßig kurze Trennungszeit im Lichte von Art. 6 Abs. 2 GG schon unzumutbar lang sein, weil ein solches Kind den nur vorübergehenden Charakter einer räumlichen Trennung möglicherweise nicht begreifen kann und diese rasch als endgültigen Verlust erfährt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 31.08.1999 - 2 BvR 1523/99 -, NVwZ 2000, 59; Beschl. v. 23.01.2006 - 2 BvR 1935/05 -, NVwZ 2006, 682). Grundsätzlich ist es aber mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG vereinbar, den Ausländer auf die Einholung eines erforderlichen Visums zu verweisen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 04.12.2007 - 2 BvR 2341/06 -, InfAuslR 2008, 239). Nicht einmal die Existenz eines ehelichen Kindes aus einer mit einer deutschen Staatsangehörigen geführten Ehe kann den ausländischen Elternteil stets vor aufenthaltsbeendenden Maßnahmen bewahren (vgl. zu einem 15 Jahre alten Kind: BVerfG, Beschl. v. 12.04.2000 - 2 BvR 440/00 -, Juris). Vor diesem Hintergrund kann der Antragsteller nicht mit dem Einwand durchdringen, eine auch nur vorübergehende Trennung würde eine psychische Belastung für seine Ehefrau und ihre im Haushalt lebende 13-jährige Tochter, zu der er ein gutes Verhältnis aufgebaut habe, darstellen.

2.2.3. Ob eine Aussetzung der Abschiebung auch dann in Betracht kommt, wenn ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis offensichtlich besteht, bedarf keiner Entscheidung. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.

Gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG darf einem Ausländer, dessen Asylantrag unanfechtbar abgelehnt worden ist, vor der Ausreise ein Aufenthaltstitel nur nach Maßgabe des Abschnitts 5 (§§ 22 bis 26 AufenthG) erteilt werden. Den vom Antragsteller am 02.03.2005 gestellten Asylantrag hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 10.03.2005 abgelehnt. Diese Vorschrift findet zwar gemäß § 10 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 1 AufenthG im Falle eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels keine Anwendung. Nach der herrschenden Meinung (vgl. NdsOVG, Beschl. v. 26.07.2007 - 12 ME 252/07 -, EZAR-NF 28 Nr. 10; VGH BW, Urt. v. 26.07.2006 - 11 S 2523/05 -, VBlBW 2007, 30; OVG BBg, Beschl. v. 09.03.2006 - 11 N 77.05 -, Juris; SaarlOVG, Beschl. v. 30.04.2008 - 2 B 207/08 -, Juris; Discher in: GK-AufenthG, Bd. 1 II § 10 RdNrn. 171 ff.; Renner, AuslR, 8. Aufl., § 10 RdNr. 10; a.A.: Hailbronner, a.a.O., § 10 RdNr. 16) setzt § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG aber einen sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebenden Anspruch voraus; ein Anspruch auf Grund einer Ermessensreduzierung auf Null genügt nicht.

Es erscheint indes zweifelhaft, ob der Antragsteller einen solchen, sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebenden Anspruch hat. Einem ausländischen Ehegatten eines Deutschen ist zwar gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG setzt die Erteilung eines Aufenthaltstitels aber in der Regel voraus, dass kein Ausweisungsgrund vorliegt. Es ist jedenfalls nicht offensichtlich, dass diese allgemeine Erteilungsvoraussetzung vorliegt.

Gemäß § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG kann ein Ausländer insbesondere ausgewiesen werden, wenn er einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen hat. [...]

Ohne Erfolg beruft sich der Antragsteller darauf, dass wegen der familiären Lebensgemeinschaft ein vom Regelfall abweichender Sachverhalt im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vorliege. Gegenüber der generellen Norm des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG, wonach von der Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG abgesehen werden kann, Spezialnorm (vgl. Marx in: GK-AufenthG, II-§ 27 RdNr. 275; Kloesel/Christ/Häußer, Deutsches Aufenthalts- und Ausländerrecht, 5. Aufl., Bd. 1, § 5 RdNr. 7). Wie bei § 17 Abs. 5 AuslG ist nach dieser Regelung beim Vorliegen von Ausweisungsgründen eine Ermessensentscheidung zu treffen (BT-Drucks. 15/420, S. 81). Die familiären Bindungen des Ausländers im Bundesgebiet und die Wertentscheidung des Art. 6 GG sind daher in den Fällen des Familiennachzugs nicht auf der Ebene des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG durch Einordnung als Regel- oder Ausnahmefall, sondern allein im Rahmen der Ermessensausübung nach § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG zu berücksichtigen (NdsOVG, Urt. v. 27.04.2006 - 5 LC 110/05 -, NVwZ-RR 2007, 62, m. w. Nachw.). Für einen die Erteilungssperre des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG aufhebenden Rechtsanspruch im Sinne von § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG würde aber – wie oben dargelegt – selbst eine Ermessenreduzierung auf Null nicht genügen. Ohne Bedeutung ist deshalb, dass die Antragsgegnerin keine solche Ermessensentscheidung getroffen hat.

Der Antragsteller hat voraussichtlich auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG. Danach kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, abweichend von § 11 Abs. 1 eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen. Eine (freiwillige) Ausreise ist im Sinne von § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG aus rechtlichen Gründen unmöglich, wenn ihr rechtliche Hindernisse entgegenstehen, welche die Ausreise ausschließen (wie etwa das Fehlen erforderlicher Einreisepapiere oder sonstige Einreiseverbote in den Herkunftsstaat) oder als unzumutbar erscheinen lassen. Derartige Hindernisse können sich insbesondere aus inlandsbezogenen Abschiebungsverboten ergeben, zu denen u. a. auch diejenigen Verbote zählen, die aus Verfassungsrecht (etwa mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG) oder aus Völkervertragsrecht (etwa aus Art. 8 EMRK) in Bezug auf das Inland herzuleiten sind (BVerwG, Urt. v. 27.06.2006 - 1 C 14.05 -, BVerwGE 126, 192). Eine rechtliche Unmöglichkeit ergibt sich entgegen der Annahme des Antragstellers hier aber nicht aus Art. 6 Abs. 1 GG. Wie bereits dargelegt, wird Art. 6 GG nicht verletzt, wenn dem Ehegatten eine nur vorübergehende Trennung von der Ehefrau (und dem Stiefkind) zur Nachholung des Visumverfahrens abverlangt wird (vgl. auch SächsOVG, Beschl. 17.08.2006 - 3 BS 130/06 -, AuAS 2007, 15; NdsOVG, Beschl. v. 27.04.2006, a.a.O). [...]