OLG München

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Zitieren als:
OLG München, Beschluss vom 05.02.2009 - 34 Wx 75/08 - asyl.net: M15242
https://www.asyl.net/rsdb/M15242
Leitsatz:

Es steht der Anordnung von Zurückschiebungshaft nicht entgegen, wenn der Ausländer über ein nationales Visum eines Schengen-Staates verfügt, das aber wegen einer Ausschreibung im SIS zur Einreiseverweigerung in Deutschland keine Wirkung entfaltet; dem Ausländer muss nicht die Möglichkeit zur freiwilligen Ausreise gegeben werden.

 

Schlagwörter: D (A), Zurückschiebungshaft, Zurückschiebung, Haftbefehl, Begründung, unerlaubte Einreise, Ausreisepflicht, Vollziehbarkeit, Schengen-Visum, nationales Visum, SIS, Ausschreibung zur Einreiseverweigerung, freiwillige Ausreise
Normen: AufenthG § 57 Abs. 3; AufenthG § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 1; AufenthG § 58 Abs. 2 S. 1 Nr. 1; SDÜ Art. 10; SDÜ Art. 21 Abs. 1; SDÜ Art. 23 Abs. 2; SDÜ Art. 23 Abs. 3
Auszüge:

Es steht der Anordnung von Zurückschiebungshaft nicht entgegen, wenn der Ausländer über ein nationales Visum eines Schengen-Staates verfügt, das aber wegen einer Ausschreibung im SIS zur Einreiseverweigerung in Deutschland keine Wirkung entfaltet; dem Ausländer muss nicht die Möglichkeit zur freiwilligen Ausreise gegeben werden.

(Leitsatz der Redaktion)

 

[...]

Das zulässige Rechtsmittel hat keinen Erfolg. [...]

b) Der Rechtmäßigkeit der Haftanordnung steht auch nicht entgegen, dass das Amtsgericht in seinem Beschluss vom 27.4.2008 ausdrücklich nur § 62 AufenthG erwähnt und insoweit nicht näher zwischen Zurückschiebungs- und Abschiebungshaft unterschieden hat. Sowohl bei Abschiebung als auch bei Zurückschiebung ist die Sicherungshaft das einheitliche Mittel zur Durchsetzung dieser ausländerrechtlichen Maßnahmen. Die Zurückschiebung hat grundsätzlich Vorrang vor der Abschiebung (vgl. Nr. 57.0.1 der Vorläufigen Anwendungshinweise zu § 57 AufenthG). Es ist auszuschließen, dass die im konkreten Fall verhängte Haft nur eine im Allgemeinen kompliziertere und zeitaufwändigere Abschiebung hätte ermöglichen sollen. Vielmehr diente sie, auch aus der Sicht der Betroffenen, primär dem Zweck, eine Zurückschiebung zu sichern, weil deren Voraussetzungen in der Kürze der Zeit nicht abschließend aufzuklären waren.

c) Es lag der Haftgrund des § 57 Abs. 3 AufenthG i. V. m. § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG vor. Die Betroffene war aufgrund ihrer unerlaubten Einreise vollziehbar ausreisepflichtig (§ 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG), da sie weder über einen erforderlichen Aufenthaltstitel für die Bundesrepublik Deutschland noch über ein Aufenthaltsrecht aufgrund europarechtlicher Vorschriften verfügte. Aus dem Schengener Durchführungsübereinkommen, das im Verhältnis zur Tschechischen Republik seit 21.12.2007 vollständig gilt, lässt sich ein Aufenthaltsrecht der Betroffenen im Bundesgebiet nicht herleiten. Die Betroffene verfügte nicht über ein sogenanntes Schengenvisum, d.h. einen einheitlichen Sichtvermerk nach Art. 10 SDÜ, der auch für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland gültig gewesen wäre. Nationale Visa unterliegen hingegen den Voraussetzungen des Art. 21 SDÜ. Der Drittausländer wird lediglich von dem Erfordernis eines gesonderten nationalen Visums freigestellt, um den von dieser Bestimmung erlaubten Zweck zu erreichen (vgl. VG Potsdam vom 5.12.2003, 14 L 623/03 Rn. 12; VG Darmstadt vom 5.6.2008, 5 L 277/08.DA Rn. 31 – 34, jeweils zitiert nach juris). Für die Betroffene bestand eine Ausschreibung zur Einreiseverweigerung (vgl. Art. 21 Abs. 1 SDÜ). Damit greifen die Wirkungen, die von einem der Schengen-Staaten erteilten nationalen Visum ausgehen, im Bundesgebiet nicht. Ob die im nationalen System vorhandene Ausschreibung zu Recht bestand, kann nicht von den Haftgerichten überprüft werden. Die Beurteilung der der Ab- oder Zurückschiebung zugrunde liegenden Verwaltungsakte, an die der Haftrichter grundsätzlich gebunden ist, obliegt den Verwaltungsgerichten (Senat vom 20.10.2008, 34 Wx 087/08). Unerheblich ist deshalb auch, ob die Betroffene bei Anordnung der Haft (noch) im Besitz eines gültigen Aufenthaltstitels für die Tschechische Republik war.

d) Darüber hinaus hat das Landgericht den Verdacht, die Betroffene sei nicht ausreisebereit und werde sich, in Freiheit belassen, der Zurückschiebung entziehen (§ 57 Abs 3, § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG), verfahrensfehlerfrei bejaht. Mit der Rechtsbeschwerde kann nicht geltend gemacht werden, die Tatsachenwürdigung des Landgerichts sei nicht zwingend oder eine andere Schlussfolgerung liege ebenso nahe (Senat vom 15.6.2005, 34 Wx 73/05; Meyer-Holz in Keidel/Kuntze/Winkler FGG 15. Aufl. § 27 Rn. 42).

e) Nach § 57 Abs. 1 Satz 1 AufenthG soll ein Ausländer, der unerlaubt eingereist ist, zurückgeschoben werden. Eine Zurückschiebung ist daher obligatorisch, es sei denn, im konkreten Fall liegt ein besonderer, eine Ausnahme rechtfertigender Umstand vor, so etwa, wenn kein Zweifel besteht, dass der Betroffene freiwillig ausreisen wird (Hailbronner Ausländerrecht Stand April 2006 § 57 AufenthG Rn. 7; vgl. § 62 Abs. 2 Satz 3 AufenthG). Dass ein derartiger Ausnahmefall nicht vorlag, hat das Landgericht verfahrensfehlerfrei festgestellt. Zwar soll ein Ausländer grundsätzlich nicht in einen Schengen-Staat zurückgeschoben werden; anders ist dies jedoch, wenn der Ausländer über einen Aufenthaltstitel dieses Staates verfügt (Art. 23 Abs. 2 SDÜ; vgl. Nr. 57.3.1 der Vorläufigen Anwendungshinweise zu § 57 AufenthG). Wie diese Rückkehrpflicht durchzusetzen ist, regelt Art. 23 Abs. 2 SDÜ nicht. Insbesondere kann aus der Regelung in Art. 23 Abs. 3 SDÜ kein Anspruch des betroffenen Drittausländers hergeleitet werden, in das Hoheitsgebiet des anderen Staates, der den Aufenthaltstitel erteilt hat, freiwillig ausreisen zu dürfen, da die nationalen – auch repressiven – Mittel des Aufenthaltsgesetzes durch Art. 23 SDÜ zur Durchsetzung der Verlassenspflicht nicht verdrängt werden. [...]