OLG Brandenburg

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Zitieren als:
OLG Brandenburg, Beschluss vom 19.01.2009 - 1 Ss 93/08 - asyl.net: M15253
https://www.asyl.net/rsdb/M15253
Leitsatz:

Keine analoge Anwendung des § 58 Abs. 4 AsylVfG a.F. auf die Strafnorm des § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG.

 

Schlagwörter: D (A), räumliche Beschränkung, Duldung, wiederholter Verstoß gegen räumliche Beschränkung, Verlassen des zugewiesenen Aufenthaltsbereichs, Asylverfahrensgesetz, analoge Anwendung
Normen: AufenthG § 95 Abs. 1 Nr. 7; AufenthG § 61 Abs. 1; AsylVfG § 58 Abs. 4 a.F.
Auszüge:

Keine analoge Anwendung des § 58 Abs. 4 AsylVfG a.F. auf die Strafnorm des § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG.

(Leitsatz der Redaktion)

 

[...]

Die Sachrüge ist unbegründet.

Die bis zum 27. August 2007 gültige Fassung des § 58 Abs. 4 S. 1 AsylVfG erlaubte einem Asylbewerber, über dessen Antrag noch nicht (unanfechtbar) entschieden wurde, ein genehmigungsfreies Verlassen des räumlich beschränkten Aufenthaltsbereiches, wenn seine Abschiebung aus sonstigen rechtlichen oder tatsächlichen Gründen auf Dauer ausgeschlossen war (§ 58 Abs. 4 S. 1 HS 2 Alt. 2 AsylVfG). Diese Regelung wirkte im Rahmen der Strafnorm des § 85 Nr. 2 AsylVfG (wiederholte Zuwiderhandlung gegen eine Aufenthaltsbeschränkung) bereits bei Vorliegen ihrer Voraussetzungen als tatbestandsausschließend, ohne dass es – im Gegensatz zu den vorgenannten Alternativen in § 58 Abs. 4 S. 1 AsylVfG – auf eine vorherige behördliche oder gerichtliche Feststellung ankam. Das Vorliegen jenes Erlaubnistatbestandes, dessen Auslegung sich insbesondere auch hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals "auf Dauer" als schwierig erwies (vgl. OLG Bayern, Beschluss vom 11. Januar 2005 - 4 St RR 176/04 - m.w.N.) war daher im Strafverfahren zu prüfen und zu berücksichtigen (herrschende Rechtsprechung, vgl. hierzu BVerfG in NVwZ 2002, Nr. 1, 11, 113f.; OLG Karlsruhe in StV 2005, 27f.).

Indes enthält das AufenthG eine mit § 58 Abs. 4 S. 1 HS 2 Alt. 2 AsylVfG vergleichbare Regelung nicht. Auch eine analoge Anwendung des vorliegend einschlägigen Erlaubnistatbestandes eines dauerhaften tatsächlichen Abschiebungshindernisses auf die Strafnorm des § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG kommt nicht in Betracht. Die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung liegen nicht vor. Es fehlt an einer unbeabsichtigten, d.h. planwidrigen Regelungslücke im AufenthG. Hierfür spricht bereits die Normgeschichte des AufenthG. Das AsylVfG geht auf die Gesetzgebungstätigkeit des Deutschen Bundestages im Jahr 1993 (12. Wahlperiode) zurück, während das AufenthG als Teil des umfassenden Gesetzespakets zum Zuwanderungsgesetz (ZuwG) im Jahr 2004 (15. Wahlperiode) verabschiedet wurde. Jenes Gesetz sah von Anfang an – wie schon der ihm zugrunde liegende identische Gesetzesentwurf der Bundesregierung vom 07. Februar 2003 (BT-Drucksache 15/420) in Art. 1 (AufenthG) – eine mit § 58 Abs. 4 a. F. AsylVfG vergleichbare Normierung von Erlaubnistatbeständen nicht vor, obwohl sich die Regelung zur räumlichen Beschränkung nach § 61 AufenthG an jener nach § 56 AsylVfG orientiert hat (vgl. Renner, AusländerR, 8. Aufl., § 61, vorläufige Anwendungshinweise, 61.1.1). Aus dem Umstand der in Art. 3 Nr. 37, 51 ZuwG zeitgleich vollzogenen Anpassung des § 58 Abs. 1 und 4 AsylVfG ergibt sich, dass der Gesetzgeber schon während des Gesetzgebungsverfahrens zum AufenthG auch die Norm des § 58 AsylVfG (Verlassen eines zugewiesenen Aufenthaltsbereichs) mit ihren Erlaubnistatbeständen im Auge hatte. Auch der Begründung zum Gesetzesentwurf zur Änderung des § 58 Abs. 1 AsylVfG in Art. 3 Nr. 37 ZuwG, wonach eine Besserstellung des vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers zum Asylbewerber verhindert werden sollte, ist eine Befassung mit § 58 AsylVfG jeweils im Verhältnis zu den genannten Personengruppen zu entnehmen. Dass dennoch die Aufnahme einer vergleichbaren Vorschrift in das AufenthG unterlassen wurde, spricht schon gegen eine von Anfang an bestehende planwidrige Regelungslücke. [...]