VG Darmstadt

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Zitieren als:
VG Darmstadt, Urteil vom 03.12.2008 - 5 K 1079/08.DA - asyl.net: M15279
https://www.asyl.net/rsdb/M15279
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Staatsangehörigkeitsrecht, Einbürgerung, Anspruchseinbürgerung, Straftat, Strafe, Ermessen
Normen: StAG § 10 Abs. 1 Nr. 5; StAG § 12a Abs. 1 S. 2
Auszüge:

[...]

Die zulässige Verpflichtungsklage ist unbegründet. Der Bescheid des Antragsgegners vom 19.06.2008 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die begehrte Einbürgerung. [...]

Nach § 10 Abs. 1 Nr. 5 StAG setzt ein Anspruch auf Einbürgerung unter anderem voraus, dass der Ausländer weder wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt noch gegen ihn aufgrund seiner Schuldunfähigkeit eine Maßnahme der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist. Nach § 12 a Abs. 1 Satz 1 StAG bleiben bei der Einbürgerung die Verhängung von Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmitteln nach dem Jugendgerichtsgesetz (Nr. 1), Verurteilungen zu Geldstrafen bis zu 90 Tagessätzen (Nr. 2) und Verurteilungen zu Freiheitsstrafen bis zu drei Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt und nach Ablauf der Bewährungszeit erlassen worden sind (Nr. 3), außer Betracht. Die Klägerin wurde ausweislich der von dem Beklagten eingeholten Auskunft aus dem Zentralregister vom 21.06.2004 am 16.04.2004 vom Amtsgericht B-Stadt (Az.: X), rechtskräftig seit dem 24.04.2007, wegen gemeinschaftlich begangenen Betrugs zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung von vier Monaten auf Bewährung verurteilt; die Bewährungszeit lief bis zum 23.04.2007.

Diese nicht tilgungsreife Verurteilung der Klägerin (§ 46 Abs. 1 Nr. 2 lit. b BZRG) zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten auf Bewährung steht dem Anspruch auf Einbürgerung entgegen, da sie nicht ausnahmsweise wegen Geringfügigkeit nach § 12 a Abs. 1 Satz 3 StAG als unbeachtlich eingestuft werden kann. Nach § 12 a Abs. 1 Satz 2 StAG hat der Beklagte ein Nichtberücksichtigungsermessen für den Fall, dass die Strafe oder die Summe der Strafen den in den Sätzen 1 und 2 vorgegebenen Strafrahmen geringfügig übersteigt.

Die erfolgte Verurteilung von vier Monaten auf Bewährung übersteigt die in § 12 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG festgelegte Grenze von drei Monaten auf Bewährung nicht geringfügig. Das Merkmal der Geringfügigkeit bezieht sich nicht abstrakt auf einen Zeitabschnitt, sondern steht unmittelbar in einem Bezug zu den vom Gesetzgeber festgelegten zeitlichen Strafbarkeitsgrenzen, die für unbeachtlich gehalten werden. Bei der Bewertung einer Überschreitung als geringfügig ist daher von der vom Gesetzgeber festgelegten Strafbarkeitsgrenze von drei Monaten auf Bewährung auszugehen.

Dabei kann das Verwaltungsgericht den unbestimmten Rechtsbegriff der Geringfügigkeit vollumfänglich gerichtlich nachprüfen. Auch wenn der unbestimmte Rechtsbegriff mit einer Ermessensermächtigung auf der Rechtsfolgenseite versehen ist, so entzieht diese Rechtskonstruktion den unbestimmten Rechtsbegriff nicht der tatrichterlichen Prüfung. Bei Mischtatbeständen oder Kopplungsvorschriften unterliegt das jeweilige Normelement den entsprechenden Regeln, dass heißt, der im Tatbestand verwandte unbestimmte Rechtsbegriff ist vollgerichtlich überprüfbar, die im Ermessen stehende Rechtsfolge nur in den für Ermessensentscheidungen geltenden Grenzen (§ 114 Satz 1 VwGO). Das Ermessen auf der Rechtsfolgenseite ist eröffnet, wenn die im Tatbestand enthaltenen und durch unbestimmte Rechtsbegriffe umschriebenen Voraussetzungen verwirklicht sind. Erwägungen, die für die Subsumtion unter den unbestimmten Rechtsbegriff eine Rolle spielen, oder Belange, die bei der Ausübung des Beurteilungsspielraums berücksichtigt werden, können hierbei auch in die Ermessensentscheidung einfließen.

Im Einzelfall kann das Ermessen durch den unbestimmten Rechtsbegriff in eine bestimmte Richtung intendiert sein, was in der Regel bei dem unbestimmten Rechtsbegriff der "unbilligen Härte" anzunehmen ist. Nach der Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes zu § 131 Abs. 1 Satz 1 AO alte Fassung (B. v. 19.10.1971 GmS-OGB 3/70 BVerwGE 39, 355) führt der Rechtsbegriff "unbillig" dazu, dass eine einheitliche Ermessensentscheidung zu treffen sei. Der Begriff unbillig rage in den Ermessensbereich hinein und bestimme damit sogleich Inhalt und Grenzen der pflichtgemäßen Ermessensausübung. Die Entscheidung nach dieser Vorschrift stelle sich deshalb als eine einheitliche Ermessensentscheidung dar, wie sie in anderen Fällen durch den Begriff des billigen Ermessens zum Ausdruck gebracht werde.

Die Grundsätze dieser Entscheidung sind aber auf § 12 a Abs. 1 Satz 3 StAG nicht übertragbar. Mit dem Merkmal der Geringfügigkeit wird der Ermessensspielraum der Behörde nicht unmittelbar verengt. Vielmehr bleibt der Behörde nach Annahme eines geringfügigen Überschreitens des Strafrahmens immer noch die Möglichkeit, z.B. aufgrund der Bewertung des Sachverhaltes, der Tatbegehung und sonstiger Besonderheiten, ihr Ermessen nicht zugunsten des Antragstellers auszuüben.

Maßstab für die Beurteilung der Geringfügigkeit ist die vom Gesetzgeber festgelegte Freiheitsstrafe von drei Monaten auf Bewährung. Grundsätzlich kann eine Überschreitung des Strafrahmens von 10% als geringfügig angesehen werden. Dies bedeutet bei Zugrundelegung von 90 Tagen (§ 191 BGB) Haft, dass eine Verurteilung von drei Monaten und neun Tagen als geringfügig anzusehen ist. Soweit der Antragsgegner aufgrund der hessischen Verwaltungsvorschriften zum Staatsangehörigkeitsgesetz zugunsten der Klägerin sogar darüber hinaus einen Zeitraum von drei Wochen als von der Geringfügigkeitsgrenze umfasst ansieht, muss die Kammer im vorliegenden Verfahren nicht entscheiden, ob dieser Rechtsansicht zu folgen ist. Jedenfalls ist eine Überschreitung der Strafbarkeitsgrenze von drei Monaten um mehr als 30% (hier: 1 Monat) als nicht mehr geringfügig anzusehen.

Dieser Auslegung steht auch nicht entgegen, dass strafrechtliche Verurteilungen häufig nur monatsweise ausgesprochen werden mit der Folge, dass entweder die Unbeachtlichkeitsgrenze von drei Monaten auf Bewährung vorliegt oder mit Verurteilung die Geringfügigkeitsgrenze überschritten wird. Auch wenn dies bei Einzelverurteilungen die notwendige Konsequenz wäre, so darf nicht verkannt werden, dass § 12 a Abs. 1 StAG auch die Kumulierung von Verurteilungen erfasst (§ 12 a Abs. 1 Satz 2 StAG). Gerade beim Zusammentreffen mehrerer Geld- und Freiheitsstrafen ist es ohne Weiteres denkbar, dass der Strafrahmen von drei Monaten auf Bewährung nur um einzelne Tage oder Wochen überschritten wird. [...]

Die Anwendbarkeit des § 12 a Abs. 1 Satz 3 StAG auf Anträge, die vor dem Inkrafttreten der Vorschrift gestellt wurden, läuft auch nicht dem verfassungsrechtlich gewährleisteten Vertrauensschutz zuwider. [...]