Die Bundespolizei ist bei geltender Rechtslage nicht zu Eintragungen im SIS befugt, sondern ausschließlich das Bundeskriminalamt; eine Ausschreibung zur Einreiseverweigerung im SIS gem. Art. 96 Abs. 2 SDÜ setzt voraus, das die Straftat mit einer Mindeststrafe von mindestens einem Jahr bedroht ist.
Die Bundespolizei ist bei geltender Rechtslage nicht zu Eintragungen im SIS befugt, sondern ausschließlich das Bundeskriminalamt; eine Ausschreibung zur Einreiseverweigerung im SIS gem. Art. 96 Abs. 2 SDÜ setzt voraus, das die Straftat mit einer Mindeststrafe von mindestens einem Jahr bedroht ist.
(Leitsatz der Redaktion)
[...]
Der Antrag ist zulässig.
Die begehrte Verpflichtung ist als Regelungsanordnung statthaft (§ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Es besteht auch das notwendige Rechtsschutzbedürfnis.
Der Antragsteller hat sich an das Bundeskriminalamt als zuständige Behörde gewandt. Die ausschreibende Bundespolizeibehörde war nicht nach § 11 Abs. 3 BKAG zuständig. Die Norm des Bundeskriminalamtgesetzes ist nicht anwendbar, weil keine Verbunddatei im Rahmen von § 11 BKAG vorliegt. Rechtsgrundlage für die Tätigkeit des Bundeskriminalamtes als zentraler Stelle ist Art. 6 des Gesetzes zu dem Schengener Übereinkommen vom 19. Juni 1990 betreffen den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen vom 15.07.1993 (BGBl II S. 1010) und nicht das Bundeskriminalamtgesetz. Schon der Bundesrat hat im Gesetzgebungsverfahren 1992 auf das Problem hingewiesen (BR-Drs. 121/1/92, insbesondere R 6., Zur Zuständigkeit von Bundesbehörden: "Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, zu prüfen, ob insoweit ergänzende gesetzliche Regelungen erforderlich sind, insbesondere, ob das Gesetz über die Einrichtung eines Bundeskriminalamtes im Hinblick darauf ergänzt werden muß, daß dem Bundeskriminalamt möglicherweise Aufgaben übertragen werden sollen, die bisher nicht in seinen Zuständigkeitsbereich fallen."), ohne das der Gesetzgeber 1997 bei Erlass des neuen Bundeskriminalamtgesetztes darauf reagiert hätte. Die spätere Einfügung einer Abrufbefugnis der Staatsanwaltschaften aus dem SIS in § 11 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 BKAG macht dieses noch nicht zum Teil des Polizeilichen Informationssystems. Dazu hätte es angesichts des planvollen gesetzgeberischen Unterlassens einer ausdrücklichen Regelung bedurft (siehe auch VG Wiesbaden, Urteil vom 28.11.2006, Az. 6 E 864/06). Dies sieht der vom Bundestag am 30.01.2009 in der Ausschussfassung beschlossene Entwurf eines Gesetzes zum Schengener Informationssystem der zweiten Generation (SIS-II-Gesetz) nunmehr in Art. 2 Nr. 2 vor, wenn in § 3 BKAG in einem neuen Absatz 1a) der nationale Teil des Schengener Informationssystems Teil des polizeilichen Informationssystems nach § 11 BKAG werden soll (BT-Drs. 16/10816, 16/11763). Das Gesetzgebungsverfahren ist jedoch noch nicht abgeschlossen.
Insoweit kann derzeit durch eine andere Behörde – hier die Bundespolizei – kein Eintrag im SIS erfolgen und ist das Bundeskriminalamt die verantwortliche Behörde und damit der richtige Antragsgegner (Art. 108 SDÜ; Art. 6 des Gesetzes zu dem Schengener Übereinkommen vom 19. Juni 1990 betreffen den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen).
Die Errichtungsanordnung der "NSIS-Personenfahndung" mag zwar gemäß § 34 BKAG erlassen worden sein, die in ihr genannten Rechtsgrundlagen entsprechen jedoch nicht dem derzeit geltendem Recht. Auch kann durch die Errichtungsanordnung kein neues Recht geschaffen werden.
Der Antrag ist auch begründet.
Der Anordnungsanspruch ergibt sich aus Art. 118 Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ). Das SDÜ ist weiterhin anwendbar, weil die Verordnung (EG) Nr. 1987/2006 des Europäischen Parlament und des Rates vom 20. Dezember 2006 über die Einrichtung, den Betrieb und die Nutzung des Schengener Informationssystems der zweiten Generation (SIS II) (Abl. Nr. L 381, S. 4) nach ihrem Art. 55 zwar schon in Kraft getreten ist, aber der danach zur Anwendbarkeit notwendige Beschluss des Rates über den Start des SIS II fehlt.
Art. 110 SDÜ enthält zwar keinen Anspruch auf Sperrung, sondern nur auf Löschung. Hier handelt es sich aber um ein Minus zur Löschung, weil es nicht um eine Sperrung wegen bestrittener Tatsachen geht (vgl. § 20 Abs. 4 BDSG), sondern um eine vorläufige Maßnahme in einem Löschungsverfahren wegen unrechtmäßig gespeicherten Daten geht (§ 20 Abs. 2 Nr. 1 BDSG, Art. 110 2. Alt. SDÜ). Die Voraussetzungen für eine Sperrung liegen auch vor, weil die Daten des Antragstellers im SIS unrechtmäßig gespeichert sind und so eine Vorwegnahme der Hauptsache vermieden werden kann.
Rechtsgrundlage für diese Ausschreibung ist ausschließlich Art. 96 SDÜ. Im SIS wurde der Antragsteller zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben. Die Ausschreibung zur Fahndung erfolgte rein national und ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens.
Art. 96 Abs. 1 SDÜ sieht vor, dass durch die ausschreibenden Stellen die nationalen Verfahrensregeln einzuhalten sind. Das ist hier nicht geschehen. Die Bundespolizei ist zurzeit nicht befugt, Ausschreibungen im SIS vorzunehmen, weil § 11 Abs. 2 BKAG für das SIS nicht anwendbar ist. Nur das Bundeskriminalamt hätte ausschreiben dürfen. Der Antragsgegnerin ist jedoch insoweit recht zu geben, dass nur über eine Verbunddatei nach §§ 11 ff. BKAG die Einhaltung datenschutzrechtliche Prinzipien gewährleistet wird. Das kann aber nicht dazu führen, auf Grund der bewussten Entscheidung des Gesetzgebers nicht anwendbare Normen dennoch direkt oder analog anzuwenden. Das würde gegen das Prinzip der Normenklarheit verstoßen, dem im Datenschutzrecht eine besondere Bedeutung zukommt. Aus den von der Antragsgegnerin angegebenen Normen ergibt sich nichts anderes. § 2 Abs. 2 Nr. 5 AZRG regelt lediglich, dass im Ausländerzentralregister bei einer Ausschreibung Daten gespeichert werden. Die Norm setzt eine Ausschreibung voraus und schweigt zu der dafür befugten Behörde. § 30 BPolG regelt, wie sich schon aus der gesetzlichen Überschrift ergibt, die Ausschreibung zur Fahndung. Bei der Grenzfahndung (§ 30 Abs. 1 Satz 1 BPolG) werden Daten in einer dafür vorgesehenen Datei gespeichert. Eine Ausschreibung im SIS ist nicht vorgesehen. Dass § 30 Abs. 2 Nr. 3 und Abs. 5 BPolG Grundlage für die nationale Ausschreibung des Antragstellers zur Festnahme waren, ist hier nicht von Belang.
Eine Befugnis der Bundespolizei ist auch deshalb nicht entbehrlich, weil es sich bei Art. 96 SDÜ seit Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages um Gemeinschaftsrecht auf der Grundlage von Titel IV des EG-Vertrags handelt. Einerseits verweist Art. 96 Abs. 1 SDÜ auf das nationale Recht, andererseits hätte die Gemeinschaft gar nicht die Kompetenz, die Zuständigkeit nationaler Behörden zu regeln.
Im Übrigen liegen die Voraussetzungen des Art. 96 Abs. 2 SDÜ nicht vor. Danach kann die Ausschreibung auf die Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder die nationale Sicherheit, die die Anwesenheit eines Drittausländers auf dem Hoheitsgebiet der Vertragspartei gestützt werden.
Allerdings ist nicht gegen Art. 25 Abs. 2 SDÜ verstoßen worden. Nach dieser Norm konsultiert die ausschreibende Vertragspartei die Vertragspartei, die einen Aufenthaltstitel erteilt hat, wenn sich herausstellt, dass der zur Einreiseverweigerung ausgeschriebene Drittausländer über einen gültigen Aufenthaltstitel verfügt. Aus der Regelung der Konsultation kann der Antragsteller kein Anhörungsrecht vor einer Ausschreibung herleiten. Schon aus dem Wortlaut "Stellt sich heraus" (französisch "L'orsqu'il apparaît") ergibt sich, dass der ausschreibende Staat nicht anfragen muss, ob eine Person über einen Aufenthaltstitel verfügt. Dazu wäre er auch nicht in der Lage, weil das SIS gerade kein gemeinschaftsweites Ausländerzentralregister darstellt. Da das BKA erst durch die Anfrage von D im Rahmen des dortigen Verwaltungsverfahrens von dem Aufenthalt des Antragstellers erfahren hat, musste es keine Konsultation einleiten. Diese haben die Behörden von D nach Art. 25 Abs. 1 SDÜ für entbehrlich gehalten, weil sie selbst keinen neuen Aufenthaltstitel erteilen wollten.
Der Aufenthalt des Antragstellers stellt nach derzeitiger summarischer Prüfung keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar. Das Regelbeispiel Art. 96 Abs. 2 b) SDÜ ist nicht erfüllt. Ein konkreter Hinweis, der Antragsteller plane Straftaten, besteht nicht. Der Antragsteller steht auch nicht in dem Verdacht, schwere Straftaten, insbesondere solche im Sinne des Art. 76 SDÜ (Betäubungsmittel), begangen zu haben. [...]
Da es sich bei Art. 96 SDÜ um Gemeinschaftsrecht handelt, ist diese Regelung autonom auszulegen. Ein Rückgriff auf Wertungen des deutschen Rechts, auch des Auslieferungsrechts, ist nicht möglich. Aus dem Vergleich mit dem Regelbeispiel a), der Verurteilung zu einer Straftat mit Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr, ergibt sich, dass eine schwere Straftat unabhängig von der Höhe de Schadens jedenfalls auch diese Mindeststrafe von einem Jahr voraussetzt. Das ist in Deutschland weder für Geldwäsche (§ 261 StGB) noch für Betrug (§ 263 StGB) und Untreue (§ 266 StGB) der Fall, auch nicht für besonders schwere Fälle. Auf den Strafrahmen in E – die "Rotecke" teilt nur die Höchststrafen, aber nicht die Mindeststrafen mit – kommt es hierbei nicht an, weil Art. 96 Abs. 2 SDÜ zur Bekämpfung einer Gefahr auf dem Hoheitsgebiet der ausschreibenden Vertragspartei abstellt und insoweit das Normengefüge des Strafrechts der Bundesrepublik Deutschland zu Grunde zu legen ist. [...]
Die Frage der endgültigen Löschung ist jedoch einem Hauptsacheverfahren vorbehalten.
Der Anordnungsanspruch für die Mitteilung an die Behörden von D ergibt sich aus dem Folgenbeseitigungsanspruch, der aus den Grundrechten und dem Rechtsstaatsprinzip hergeleitet wird und gewohnheitsrechtlich anerkannt ist. Durch die Übermittlung rechtswidrig gespeicherter Daten ist ein rechtswidriger Zustand geschaffen worden, den es zu beseitigen gilt.
Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Die Sache ist dringlich. Es schwebt ein Verfahren zur Überprüfung des Ausweisungsbescheids, der auf die Ausschreibung und den Hinweis auf die Gewalttätigkeit des Antragstellers gestützt wurde. [...]