VG Meiningen

Merkliste
Zitieren als:
VG Meiningen, Urteil vom 14.11.2006 - 2 K 20484/03.Me - asyl.net: M15320
https://www.asyl.net/rsdb/M15320
Leitsatz:
Schlagwörter: Bangladesch, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Krankheit, Folgeantrag, Wiederaufgreifen des Verfahrens, Drei-Monats-Frist, psychische Erkrankung, Krankheit, fachärztliche Stellungnahme, Amtsarzt, Gefälligkeitsgutachten, posttraumatische Belastungsstörung, medizinische Versorgung
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7; VwVfG § 51 Abs. 1 Nr. 2; VwVfG § 51 Abs. 3
Auszüge:

[...]

Die zulässige Klage ist teilweise begründet. Der angefochtene Bescheid verletzt die Rechte des Klägers, soweit es um das Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG (früher § 53 Abs. 6 AuslG) geht; insoweit hätte das Verfahren wieder aufgegriffen und dem Antrag stattgegeben werden müssen. [...]

3. Hingegen hätte das Bundesamt bezüglich der Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 7 AufenthG bzw. der seinerzeit geltenden Vorschrift des § 53 Abs. 6 AuslG das Verfahren wieder aufgreifen müssen (§ 51 Abs. 1 VwVfG).

3.1. Der Kläger hat fristgerecht geltend gemacht, unter einer schwerwiegenden psychischen Erkrankung zu leiden, für die es in Bangladesch keine ausreichenden Behandlungsmöglichkeiten gebe, weshalb er für den Fall seiner Rückkehr nach Bangladesch in Lebensgefahr schwebe. Dies konnte der Kläger nicht im früheren Asylverfahren geltend machen, da nach den medizinischen Erkenntnissen sich seine psychische Erkrankung, die wohl schon vorher vorhanden war, erst im Laufe des Jahres 2002 so verschlechtert hat, dass das Vorliegen von Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG überhaupt in Betracht kam. Er befand sich auf Betreiben der Ausländerbehörde vom 20.08.2002 bis zum 18.10.2002 in stationärer psychiatrischer Behandlung.

Die Kammer geht bei schwerwiegenden Erkrankungen grundsätzlich davon aus, dass die 3-Monats-Frist zur Geltendmachung dieser Umstände erst beginnt, wenn der Asylbewerber aus der stationären Behandlung entlassen wird, weil er während einer stationären Behandlung regelmäßig nicht in der Lage ist, sich um sein Asylverfahren zu kümmern. Auch steht erst mit der Entlassung aus der stationären Behandlung üblicherweise fest, wie die Prognose für die weitere Krankheitsentwicklung sein wird. Dies gilt bei psychischen Erkrankungen noch mehr als bei rein körperlichen Erkrankungen, da bei psychischen Erkrankungen es dem Patienten üblicherweise nur sehr eingeschränkt möglich ist, seine Situation objektiv einzuschätzen und die daraus folgenden notwendigen rechtlichen Schritte im Rahmen des Asylverfahrens zu ergreifen. Der Entlassungszeitpunkt war, wie ausgeführt, am 18.10.2002, so dass der Folgeantrag, der am 23.12.2002 gestellt wurde, innerhalb 3-Monats-Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG angebracht wurde.

3.2. Die genannten Gründe waren auch grundsätzlich geeignet, eine den Betroffenen im Asylverfahren günstigere Entscheidung herbeizuführen (§ 51 Abs. 1 Nr.2 VwVfG). Die Möglichkeit einer günstigeren Entscheidung auf Grund der geltend gemachten Wiederaufnahmegründe genügt (ThürOVG, Urteil vom 02.08.2001, Az.: 3 KO 279/99; ThürOVG, Urteil vom 06.03.2002, Az.: 3 KO 428/99).

4. Kommt das Gericht wie vorliegend zu dem Ergebnis, dass ein weiteres Verwaltungsverfahren durchzuführen gewesen wäre, muss es in der Sache selbst entscheiden (BVerwG, Urteil vom 10.12.1998, NVwZ 1998, 861). Dies führt zur Verpflichtung der Beklagten, ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG bezüglich Bangladesch festzustellen. [...]

4.2. Die Kammer ist der Überzeugung, dass diese Voraussetzungen vorliegen. Für den Fall, dass der Kläger nach Bangladesch abgeschoben würde, würde sich seine Krankheit lebensbedrohlich verschlechtern.

Dies ergibt sich für die Kammer zweifelsfrei aus dem amtsärztlichen Gutachten des Landratsamtes Unstrut-Hainich-Kreis vom 24.03.2005. Der Gutachter diagnostiziert auf Grund eines Ersuchens der Ausländerbehörde unter Einbeziehung der vorhandenen Befunde und der eigenen Exploration beim Kläger eine posttraumatische Belastungsstörung. Er bezieht sich dabei auf die anerkannte Definition ICD-10 der WHO. Das Gutachten stellt fest, dass der Kläger bereits zuvor im Zuge eines schweren depressiven Syndroms akut und später latent suizidal ist. Dieser Gefahr könne bei einer Rückkehr nach Bangladesch begegnet werden, wenn er entweder einer sehr engmaschigen (mehrmals wöchentlich) psychiatrischen Behandlung oder stationären psychiatrischen Behandlung unterzogen wird. Eine solche Maßnahme sei aus der Sicht des Gutachters die einzig denkbare, die die Gefahr für Leben und Gesundheit des Patienten abzuwenden geeignet sei.

Das Gutachten des Amtsarztes, der selbst Psychiater ist, ist auch ohne weiteres verwertbar. Die Kammer teilt die Bedenken der Beklagten, die insbesondere im Schriftsatz vom 26.07.2006 dargestellt sind, nicht. Der Kammer ist aus zahlreichen asylrechtlichen Verfahren, wie im Übrigen auch dem Gutachter, bekannt, dass häufig mit dem Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung argumentiert wird, die teilweise von hierfür fachlich nicht kompetenten Ärzten im Rahmen von Parteigutachten belegt wird. In solchen Verfahren werden häufig zum Zwecke der Beweisaufnahme Fachgutachten eingeholt, die sich dann sehr detailliert mit den Voraussetzungen einer posttraumatischen Belastungsstörung und deren Übertragung auf den konkreten Einzelfall auseinander zu setzen haben.

Vorliegend ist die Lage aber anders. Das amtsärztliche Gutachten beruht auf einer Anforderung des Ausländeramts, ist also kein Parteigutachten, das auf Wunsch des Klägers erstellt wurde. Der das Gutachten erstellende Amtsarzt ist Psychiater. Er hat dargestellt, dass er die Standarddefinition der posttraumatischen Belastungsstörung verwendet. Richtig ist, dass nicht alle Erkenntnisse des Arztes im Einzelnen ausführlich dargestellt sind. Dies hält die Kammer aber auch nicht für nötig, da der in anderen Verfahren teilweise begründete Verdacht, es werde ein vom jeweiligen Kläger in Auftrag gegebenes Gefälligkeitsgutachten vorgelegt, hier gerade nicht besteht. Letztlich ist das Gutachten genauso umfangreich und aussagekräftig, wie es amtsärztliche Gutachten üblicherweise, etwa in Fahrerlaubnisangelegenheiten o.ä. sind und die vom Gericht und den Verfahrensbeteiligten auch allgemein akzeptiert werden. Das Gutachten lässt für das Gericht nachvollziehbar erkennen, dass der Gutachter sich mit den strittigen Fragen auseinandergesetzt hat; er kommt zu einem eindeutigen Ergebnis, Widersprüche kann die Kammer nicht erkennen.

Aus diesen Gründen liegen auch im Gegensatz zu der Auffassung der Beklagten auf Seiten des Klägers keine Darlegungsmängel vor. Der Kläger hat dargelegt, dass er wegen einer bestimmten psychischen Erkrankung stationär behandelt werden musste und später, im gerichtlichen Verfahren, dass amtsärztlich festgestellt worden ist, dass diese Krankheit weiterhin besteht und welche Auswirkungen sie hat. Wo hier ein Darlegungsmangel bestehen soll, erschließt sich der Kammer nicht. Im Übrigen erscheint es der Kammer erstaunlich, dass die Beklagte, die im Rahmen des Behördenverfahrens selbst trotz evidenter Notwendigkeit keinerlei Sachaufklärung betrieben hat, nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen nunmehr weiter gehende Ermittlungen für nötig hält.

Die Kammer hat- im Übrigen in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sie das Gutachten zur Grundlage ihrer Entscheidung machen wird, darüber hinausgehende Beweisanträge wurden nicht gestellt.

4.3. Nachdem somit davon auszugehen ist, dass der Kläger dann in Lebensgefahr schwebt, wenn er in Bangladesch keine dichte ambulante oder stationäre psychiatrische Behandlung erhält, liegen die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor. Eine solche Behandlung steht in Bangladesch nämlich nicht zur Verfügung. Es gibt in Bangladesch praktisch keine kostenlose medizinische Versorgung. Längerfristige psychologische oder psychiatrische Behandlung und Betreuungen sind selbst in Einzelfällen in Bangladesch nur schwer zu gewährleisten (Auswärtiges Amt, Lagebericht Bangladesch 2006, VII 1. am Ende). Es ist der Kammer nicht ersichtlich, warum dem Kläger ausnahmsweise eine solche Behandlung zur Verfügung stehen könnte. [...]