VG Hannover

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Zitieren als:
VG Hannover, Beschluss vom 11.03.2009 - 7 B 868/09 - asyl.net: M15330
https://www.asyl.net/rsdb/M15330
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Aufenthaltserlaubnis, Altfallregelung, volljährige Kinder, Ermessen, Aufenthaltsdauer, Schulbesuch, Schulabschluss, Passpflicht, allgemeine Erteilungsvoraussetzungen, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), einstweilige Anordnung
Normen: VwGO § 123 Abs. 1; AufenthG § 104a Abs. 2; AufenthG § 5 Abs. 3
Auszüge:

[...]

1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO ist zulässig, nachdem der Antragsteller mit Schriftsatz vom 09.03.2009 erklärt hat, dass er sich wieder zu Hause aufhalte; der Antrag hat aber nur zum Teil Erfolg.

a) Bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nur gebotenen summarischen Prüfung ist die Aussetzung der Abschiebung geboten, um die Vereitelung eines Rechts des Antragstellers zu verhindern. Zur Abwendung wesentlicher Nachteile ist die Antragsgegnerin zu verpflichten, seinen Aufenthalt einstweilen zu dulden, um eine Entscheidung über eine Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 2 Satz 1 AufenthG zu ermöglichen. Nach dem derzeitigen Erkenntnisstand gehört der Antragsteller zu dem von § 104a Abs. 2 Satz 1 AufenthG begünstigten Personenkreis, weil er die zeitlichen Voraussetzungen der Altfallregelung erfüllt; hiervon geht auch die Antragsgegnerin aus. Danach kann dem mittlerweile volljährigen Antragsteller eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 Satz 1 AufenthG erteilt werden, wenn gewährleistet erscheint, dass er sich auf Grund seiner bisherigen Ausbildung und Lebensverhältnisse in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland einfügen kann. § 104a Abs. 2 Satz 1 AufenthG verlangt eine "positive Integrationsprognose" (Gesetzesbegründung, BT-Drs. 16/5065, S. 201). Nach dem Wortlaut des Gesetzes muss gewährleistet „erscheinen“, dass sich der Ausländer "aufgrund seiner bisherigen Ausbildung und Lebensverhältnisse in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland einfügen kann". Ob damit ein Prognosemaßstab aufgestellt werden soll, der gegenüber der Regelung in § 104 Abs. 4 Satz 1 AufenthG, ("eine Integration zu erwarten ist") abgesenkt ist, bedarf hier keiner abschließenden Klärung. In jedem Fall sind die Dauer des Aufenthalts, die Sprachkenntnisse des Ausländers und sein Schulabschluss gewichtige Punkte, die im Rahmen der Integrationsprognose von der Ausländerbehörde zu berücksichtigen sind. Daneben sind die Erteilungsvoraussetzungen des § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 bis 6 AufenthG von entscheidungserheblicher Bedeutung, insbesondere ob der Ausländer sich rechtstreu verhalten hat.

Unstreitig hält der Antragsteller sich seit 10 Jahren in Deutschland auf, beherrscht die deutsche Sprache und hat einen Realschulabschluss erworben. Ein solcher Abschluss ist nicht selbstverständlich angesichts der Tatsache, dass im Jahre 2005 fast 60 % der ausländischen Jugendlichen das allgemeinbildende Schulsystem ohne oder nur mit dem Hauptschulabschluss verließen (vgl. Bericht der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland, 2007, S. 43 [www.bundesregierung.de]).

Diese Umstände wird die Antragsgegnerin in ihre Ermessensentscheidung ebenso einfließen lassen müssen wie den Umstand, dass der Antragsteller sowohl im Verwaltungs- als auch im gerichtlichen Verfahren 7 A 5336/06 Bescheinigungen der libanesischen Botschaft vorgelegt hat, deren Echtheit mindestens in Frage steht. Andererseits wird die Antragsgegnerin auch zu berücksichtigen haben, dass das von ihr eingeleitete Ermittlungsverfahren wegen mittelbarer Falschbeurkundung - § 271 StGB - und unrichtiger Angaben zwecks Beschaffung eines Aufenthaltstitels - § 92 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG - von der Staatsanwaltschaft Hildesheim wegen Geringfügigkeit eingestellt worden ist.

Da nach § 5 Abs. 3 AufenthG bei der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 Satz 1 AufenthG von der Erfüllung der Passpflicht abgesehen werden kann, ist hier eine Ermessensentscheidung der Antragsgegnerin erforderlich, deren Ergebnis gegenwärtig nicht vorweggenommen werden kann. Bei dieser Sachlage gebietet die Abwägung der widerstreitenden Interessen sowie der bedrohten Rechtsgüter, vorliegend der Ausländerbehörde zu untersagen, den Antragsteller vor Ablauf eines Monats nach Bescheidung seines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104a AufenthG vom 24.02.2009 abzuschieben. [...]