VG Magdeburg

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Zitieren als:
VG Magdeburg, Beschluss vom 12.03.2009 - 3 B 77/09 MD - asyl.net: M15345
https://www.asyl.net/rsdb/M15345
Leitsatz:

§ 34 a Abs. 2 AsylVfG steht einer einstweiligen Anordnung gegen die Ausländerbehörde auf vorläufigen Stopp der Abschiebung wegen eines inlandsbezogenen Abschiebungshindernisses nicht entgegen (hier: Vater eines ungeborenen deutschen Kindes bei Risikoschwangerschaft).

Schlagwörter: D (A), Abschiebungshindernis, inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), einstweilige Anordnung, abgelehnte Asylbewerber, Abschiebungsanordnung, Vater, Schwangerschaft, Risikoschwangerschaft, Schutz von Ehe und Familie, Vaterschaftsanerkennung, Kinder, deutsche Kinder
Normen: VwGO § 123 Abs. 1; AufenthG § 60a Abs. 2; AsylVfG § 34a Abs. 2; GG Art. 6 Abs. 1; GG Art. 6 Abs. 2; GG Art. 6 Abs. 4
Auszüge:

§ 34 a Abs. 2 AsylVfG steht einer einstweiligen Anordnung gegen die Ausländerbehörde auf vorläufigen Stopp der Abschiebung wegen eines inlandsbezogenen Abschiebungshindernisses nicht entgegen (hier: Vater eines ungeborenen deutschen Kindes bei Risikoschwangerschaft).

(Leitsatz der Redaktion)

[...]

Der mit Schriftsatz vom 10.3.2009 gestellte Antrag des Antragstellers, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, von einer Abschiebung des Antragsteller vorläufig abzusehen, hat Erfolg. [...]

Der Antragsteller hat einen Anordnungsgrund (Dringlichkeit) glaubhaft gemacht, da nach dem unwidersprochenen Vorbringen des Antragstellers die Abschiebung für den 16.3.2009 nach Italien geplant ist.

Der Antragsteller hat auch nach summarischer Prüfung einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen summarischen Prüfung ist wegen der zu erwartenden Geburt des Kindes der deutschen Staatsangehöriger ... Anfang September 2009 aus rechtlichen Gründen die Abschiebung des Antragstellers unmöglich (§ 60 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG), und zwar unabhängig von der asylrechtlichen Situation des Antragstellers, welche Gegenstand der Prüfung im Verfahren 4 B 231/09 MD ist. Nach Auffassung des Gerichtes ist insbesondere auch nicht im Hinblick auf § 34 a Abs. 2 AsylVfG das vorliegende Rechtsschutzverfahren unzulässig, denn zum einen ist das Verfahren gemäß § 34 a AsylVfG z.Z. bestandskräftig abgeschlossen und auch nicht wieder aufgegriffen worden (vgl. Bescheid des Bundesamtes für Migration vom 10.3.2009), zum anderen ist bei inlandsbezogenen Vollstreckungshindernissen die Zuständigkeit der Ausländerbehörde gegeben, so dass unabhängig von § 34 a AsylVfG die Entscheidung von der Antragsgegnerin über die Erteilung einer Duldung zu treffen ist (vgl. insoweit auch OVG LSA, Beschluss vom 5.6.2007, 2 M 82/07; VG Ansbach, Beschluss vom 30.6.2005, AN 19 E 05.01990). Ob bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 34 a AsylVfG ausnahmsweise das Bundesamt auch die innerstaatlichen Abschiebungshindernisse zu prüfen hat, kann dahinstehen, da ein Verfahren nach § 34 a AsylVfG derzeit nicht anhängig ist und die Gründe für die mögliche Erteilung einer Duldung nachträglich entstanden sind. Aufgrund der besonderen Eilbedürftigkeit ist effektiver Rechtsschutz erforderlich, so dass das Gesuch um vorläufigen Rechtsschutz gegen die Ausländerbehörde zu richten (vgl. auch OVG LSA, Beschluss vom 5.6.2007, 2 M 82/07).

Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des OVG LSA (vgl. Beschluss vom 3.4.2006 - 2 M 82/06 -, JURIS; Beschluss vom 11.4.2002 - 2 M 121102 - sowie Beschluss des OVG LSA vom 15.4.2008, überreicht im Verfahren 4 B 231/09 MD) bestehen zwar die Schutzwirkung des Art. 6 Abs. 1 und 2 Grundgesetz grundsätzlich erst ab der Geburt des Kindes mit der Folge, dass die Schwangerschaft einer deutschen Staatsangehörigen die Ausländerbehörde nicht daran hindert, den ausländischen nichtehelichen (werdenden) Vater des ungeborenen Kindes abzuschieben. Eine Ausnahme ist aber dann anzunehmen, wenn eine Gefahrenlage für das ungeborene Kind oder die Mutter (Risikoschwangerschaft) besteht und die Unterstützung der Schwangeren durch den Abzuschiebenden glaubhaft gemacht wird; denn die Wahrscheinlichkeit, dass die werdende Mutter unter diesen Umständen durch eine abschiebungsbedingte Trennung Belastungen ausgesetzt ist, die die Leibesfrucht gefährden, ist ungleich höher als bei vorübergehender Trennung während einer normal verlaufenden Schwangerschaft (Sächsisches OVG, Beschluss vom 25.1.2006 - 3 BS 274/05 -, NVwZ 2006, 613 mit weiteren Nachweisen; Funke-Kaiser in: GK AufenthG II - § 60 a Rn. 152, mit weiteren Nachweisen). In diesem Fall geht es nicht (nur) um mögliche Vorwirkungen aus Art. 6 Abs. 1 und 2 Grundgesetz; betroffen sind insbesondere das Leben und die körperliche Unversehrtheit der Mutter und des ungeborenen Kindes, die durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz geschützt sind. Ferner ist die Wertentscheidung in Art. 6 Abs. 4 Grundgesetz zu berücksichtigen, nach der jede Mutter Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft hat (vgl. zur Ausstrahlungswirkung des Art. 6 Abs. 4 Grundgesetz: BVerfG, Beschluss vom 8.6.2004 - 2 BvR 785/04 -, NJW 2005, 2382); zitiert nach OVG LSA, Beschluss vom 15.4.2008).

Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung, der das erkennende Gericht folgt, ist es nicht entscheidend, dass noch kein (notariell erklärtes) Vaterschaftsanerkenntnis vorliegt. Abzustellen ist vielmehr darauf, ob keine durchgreifenden Zweifel an der künftigen Vaterschaft sowie daran bestehen, dass eine durch Fürsorge geprägte persönliche Beziehung zur Kindesmutter besteht und der Antragsteller die erforderliche Hilfestellung leisten wird.

Hiernach ist ein Anspruch des Antragstellers auf (vorläufige) Aussetzung der Abschiebung anzunehmen. Die deutsche Staatsangehörige hat eidesstattlich versichert, dass nur der Antragsteller der Vater des ungeborenen Kindes sein kann. Damit bestehen keine durchgreifenden Zweifel an der zukünftigen Vaterschaft des Antragstellers, zumal dieser auch unstreitig bemüht ist, ein Vaterschaftsanerkenntnis abzugeben, dies aber aufgrund der derzeitigen Inhaftierung in der Justizvollzugsanstalt noch nicht erfolgen konnte, zumal auch anscheinend noch ein Identitätsnachweis fehlt. Berücksichtigt man weiter, dass die deutsche Staatsangehörige in der eidesstattlichen Versicherung ausgeführt hat, dass der Antragsteller das Einkaufen übernommen hat sowie einen großen Teil der im Haushalt anfallenden Arbeiten und sie selber auch Ruhe braucht, keine körperliche Belastung verträgt und insbesondere auch keine Gewichte von mehr als 5 kg tragen kann, so ist für das Gericht bei summarischer Prüfung ersichtlich, dass der Antragsteller im wesentlichen Umfange die werdende Mutter unterstützt hat und dies auch unstreitig in der Vergangenheit getan hat.

Ausweislich der ärztlichen Bescheinigung von Dr. ... handelt es sich auch um eine Risikoschwangerschaft, welche die Hilfe des Antragstellers bei der häuslichen Situation und zur Begleitung von regelmäßigen Arztbesuchen erfordert. Berücksichtigt man ferner, dass nicht zuletzt auch eine Abschiebung schwerwiegende gesundheitliche Probleme und psychische Folgen für die deutsche Staatsangehörige nach sich ziehen würde, so ist unter Berücksichtigung der ärztlichen Stellungnahme davon auszugehen, dass hier die Voraussetzungen für die Erteilung einer Duldung gemäß § 60 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG gegeben sind. [...]