SG Nürnberg

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Zitieren als:
SG Nürnberg, Urteil vom 15.01.2009 - S 19 AS 561/08 - asyl.net: M15351
https://www.asyl.net/rsdb/M15351
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Grundsicherung für Arbeitssuchende, Unionsbürger, Arbeitssuche, selbstständige Erwerbstätigkeit, Niederlassungsfreiheit, Scheinselbstständigkeit
Normen: SGB II § 7 Abs. 1 S. 2; FreizügG/EU § 2 Abs. 1; FreizügG/EU § 2 Abs. 2 Nr. 2; EG Art. 43
Auszüge:

[...]

Die zulässige Anfechtungs- und Leistungsklage Ist begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II ab Antragstellung.

Die Beklagte hat unterstellt, die Klägerin könne ihr Aufenthaltsrecht lediglich aus der Arbeitsuche herleiten, so dass die Voraussetzung des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB Il vorlägen. Das trifft nicht zu, da die Klägerin weiterhin ein Aufenthaltsrecht auf Grund ihrer selbstständige Tätigkeit hat. Zumindest während der tatsächlichen Ausübung einer selbständigen Tätigkeit greift der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II daher nicht ein (OVG Hamburg vom 20.4.2007 Az.: S1 B 123/07 und vom 5.11.2007 Az.: S1 B 252/07). Nach § 2 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU sind Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Unionsbürger) freizügigkeitsberechtigt, wenn sie zur Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit berechtigt sind. Diese Berechtigung folgt aus der Niederlassungsfreiheit in Art. 43 EG.

Die Klägerin ist seit 5.7.2006 selbstständig tätig gewesen. Ihr Gewerbe hat sie zu diesem Zeitpunkt angemeldet und in der Folge nach einer Sitzverlegung am 19.10.2006 auch weiter ausgeübt. Anders als die Beklagte geht das Gericht nicht von einer Scheinselbstständigkeit aus. Die Klägerin hat ausweislich der von ihr vorgelegten Rechnungen für sieben verschiedene Auftraggeber gearbeitet und hierbei auch Einkommen in Höhe von bis zu 1300 EUR monatlich erzielt, was offensichtlich für ihren Lebensunterhalt ausreichte. Die Voraussetzung für eine selbstständige Tätigkeit ist nicht, dass sich hieraus ein erheblich höheres Einkommen gibt, als das eines Arbeitnehmers. Da die Klägerin für mehrere verschiedene Auftraggeber tätig war, die Auftraggeber von Monat zu Monat wechselten und kein Einziger von diesen den wesentlichen Anteil ihrer Aufträge vergab, befand sich die Klägerin nicht in einem Abhängigkeitsverhältnis, wie es für das Arbeitnehmerverhältnis kennzeichnend ist. [...]

Wie lange der Schutz durch die europarechtliche Freizügigkeit dauert, lässt sich dem EU-Recht nicht eindeutig entnehmen. Er bewegt sich aber jedenfalls innerhalb einer Spanne zwischen drei und sechs Monaten (vgl. Becker, Arbeitnehmerfreizügigkeit in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2003, § 9 Rdnr. 15). Das Gewerbe der Klägerin ist weiterhin angemeldet, sie konnte es lediglich in der Zwischenzeit auf Grund ihrer Schwangerschaft und der anschließenden Betreuung ihres Kleinkindes nicht ausüben. Das Gericht ist daher der Überzeugung, dass die selbstständige Tätigkeit der Klägerin, die nicht von der Innehabung bestimmter Betriebsräume abhängig ist, lediglich für die Dauer der Schwangerschaft und der anschließenden Betreuung des Kleinkindes aus zwingenden Gründen unterbrochen wurde, auf Grund der Absicht, das Gewerbe weiterhin auszuüben jedoch als weiterhin bestehend zu betrachten ist. [...]