Es liegt keine Überraschungsentscheidung vor, wenn das Gericht den Vortrag eines Asylantragstellers zu seiner exilpolitischen Betätigung ohne weiteren Hinweis oder Nachfrage entgegen nimmt, im Urteil aber als unglaubhaft bewertet.
Es liegt keine Überraschungsentscheidung vor, wenn das Gericht den Vortrag eines Asylantragstellers zu seiner exilpolitischen Betätigung ohne weiteren Hinweis oder Nachfrage entgegen nimmt, im Urteil aber als unglaubhaft bewertet.
(Leitsatz der Redaktion)
[...]
Der gem. § 78 Abs. 4 AsylVfG statthafte Antrag des Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom 11. Dezember 2008 bleibt in der Sache ohne Erfolg.
Der mit Schriftsatz vom 6. März 2009 allein geltend gemachte Zulassungsgrund der Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) rechtfertigt die Zulassung der Berufung nicht. [...]
Das rechtliche Gehör kann zwar verletzt sein, wenn das Gericht ohne vorherigen Hinweis Anforderungen an den Sachvortrag stellt, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter - selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen - nicht zu rechnen brauchte (sog. Überraschungsentscheidung). Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass aus Art. 103 Abs. 1 GG grundsätzlich keine Hinweis- oder Aufklärungspflicht in Bezug auf die Rechtsansicht des Gerichts folgt und dass das Gericht auch nicht verpflichtet ist, bereits in der mündlichen Verhandlung das mögliche oder voraussichtliche Ergebnis der Sachverhalts- oder Beweiswürdigung bekannt zu geben (Gemeinschaftskommentar zum Asylverfahrensgesetz, Band 3, Stand: Juni 2008, II § 78 Rdnr. 281, 282). Im Asylprozess obliegt es dem Asylbewerber, die in seine Sphäre fallenden Ereignisse zur Begründung seines Asylanspruchs lückenlos vorzutragen, also etwaige Unstimmigkeiten und Widersprüche auch ohne Nachfrage oder Hinweis des Gerichts auszuräumen und - gegebenenfalls - unter Beweis zu stellen. Demzufolge vermag der Verzicht des Gerichts auf einen Hinweis zu einem widersprüchlichen oder sonst unglaubhaften Vortrag für sich allein nicht den Vorwurf einer unzulässigen Überraschungsentscheidung zu begründen (so ausdrücklich: Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 30.05.2003 - 7 LA 101/03 -, AuAS 2003, 226). Etwas anderes gilt nur dann, wenn das Gericht den Asylbewerber - etwa durch einen irreführenden, unmissverständlichen Hinweis - von weiterem Sachvortrag oder der Stellung von Beweisanträgen abgehalten hat (Gemeinschaftskommentar zum Asylverfahrensgesetz, a.a.O., II § 78 Rdnr. 288).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze liegt ein Gehörsverstoß in Form der Überraschungsentscheidung nicht vor. Das Verwaltungsgericht war nicht verpflichtet, den Kläger bereits im Termin zur mündlichen Verhandlung darauf hinzuweisen, dass es das auf Seite 14 des Urteilsabdrucks geschilderte Geschehen möglicherweise als nicht belegte Behauptung bewerten werde. Dass er die Darlegungs- und Beweislast für die von ihm geltend gemachten exilpolitischen Aktivitäten trägt, musste dem Kläger als anwaltlich vertretenem Prozessbeteiligten klar sein: Der Verlauf der mündlichen Verhandlung - wie in der Sitzungsniederschrift vom 11. Dezember 2008 protokolliert und vom Kläger in der Zulassungsantragsbegründung vom 6. März 2009 geschildert - enthält keine Hinweise darauf, dass der Kläger auf Grund der Äußerungen des Einzelrichters oder des Verhandlungsverlaufs davon ausgehen durfte, dieser werde das auf Seite 14 des Urteilsabdrucks zusammengefasste Geschehen für glaubhaft halten. [...] Allein aus dem Umstand, dass das Verwaltungsgericht Gießen in der mündlichen Verhandlung - so die Formulierung des Klägers - nur einige Fragen zum Umfang und zur Intensität; der exilpolitischen Aktivitäten gestellt und die Befragung im Übrigen dem Bevollmächtigten des Klägers überlassen hat, konnte und durfte der Kläger nicht die Schlussfolgerung ziehen, das Gericht werde seine Erklärungen als glaubhaft bewerten.
Der Kläger hätte vielmehr, um über den Stand der Meinungsbildung des Gerichts in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht informiert zu werden und sich bei der weiteren Verfolgung seiner Rechte darauf einzustellen, im Termin zur mündlichen Verhandlung die bereits schriftsätzlich (Schriftsatz vom 08.11.2007) angekündigten Beweisanträge zu diesem Sachkomplex stellen müssen. Das Verwaltungsgericht wäre dann verpflichtet gewesen, eine Ablehnung des Beweisantrags durch Beschluss zu begründen (§ 86 Abs. 2 VwGO). Begibt sich ein Verfahrensbeteiligter dieser prozessualen und faktischen Möglichkeiten, indem er einen schriftsätzlich angekündigten Beweisantrag entweder überhaupt nicht oder nur hilfsweise stellt, so kann er sich auf eine Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht mehr berufen (Gemeinschaftskommentar zum Asylverfahrensgesetz, a.a.O., II § 78 Rdnr. 357 m.w.N. zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts).
Der Kläger stützt sich zur Begründung seines Zulassungsantrags zudem darauf, dass das Gericht auf Grund des auch im Asylprozess geltenden Untersuchungsgrundsatzes gehalten gewesen sei, auf die Beweiserheblichkeit der vorbezeichneten Tatsachen hinzuweisen und das angekündigte Beweisangebot einzufordern. In dem Übergehen des schriftlich angekündigten Beweisantrags ohne jeglichen Hinweis oder jegliche Begründung liege eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht sowie der gerichtlichen Hinweispflicht (§ 86 Abs. 1 und 3 VwGO).
Die Verletzung der gerichtlichen Aufklärüngs- oder Hinweispflichten i.S.v. § 86 Abs. 1 und 3 VwGO gehört nicht zu denjenigen Verfahrensmängeln, die in § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i.V.m: § 138 VwGO - abschließend -.aufgezählt sind. Ein etwaiger Verstoß gegen derartige Pflichten kann daher - für sich allein - nicht zur Zulassung der Berufung im Asylprozess führen (Gemeinschaftskommentar zum Asylverfahrensgesetz, a.a.O., II § 78 Rdnr. 68 f. mit weiteren Hinweisen zur gefestigten obergerichtlichen Rechtsprechung, die der ständigen Rechtsprechung des beschließenden Senats entspricht).
Selbst wenn man sich auf den Standpunkt stellt, dass der Verletzung der gerichtlichen Hinweis- und Aufklärungspflichten jedenfalls im Zusammenhang mit einer erhobenen Gehörsrüge auch im Asylprozess Bedeutung zukommen kann - so die Argumentation des Klägers in der Zulassungsantragsbegründung unter Hinweis auf Höllein, Die Zulassungsberufung im Asylverfahrensrecht, in: ZAR 1989, 109 (113) -, setzt dies voraus, dass dem Beteiligten das Versäumnis, einen Beweisantrag zu stellen, aus prozessualen Gründen nicht zum Vorwurf gemacht werden kann (so ausdrücklich: Marx, Kommentar zum Asylverfahrensgesetz, 6. Aufl., 2005, § 78 Rdnr. 1049).
Aus den vorgenannten Gründen konnte der Kläger allerdings auf Grund des Verlaufs der mündlichen Verhandlung nicht davon ausgehen, der Einzelrichter werde das auf Seite 14 des Urteilsabdrucks zusammengefasste Geschehen für glaubhaft halten. Er hätte vielmehr vorsorglich - die von ihm angekündigten Beweisanträge stellen müssen, um sein weiteres Verhalten im Prozess auf die Gründe einer etwaigen Ablehnung einstellen zu können. Da dem Kläger das Versäumnis, einen Beweisantrag zu stellen, zum Vorwurf gemacht werden muss, kommt es auf die Frage, ob das Verwaltungsgericht auf der Grundlage seiner eigenen Rechtsauffassung Anlass zu weiterer Aufklärung hätte sehen müssen, nicht mehr an. [...]