LG Gießen

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Zitieren als:
LG Gießen, Beschluss vom 26.03.2009 - 7 T 108/09 - asyl.net: M15360
https://www.asyl.net/rsdb/M15360
Leitsatz:

Ein Asylfolgeantrag steht der Verhängung von Abschiebungshaft nach § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AufenthG nicht entgegen.

Schlagwörter: D (A), Abschiebungshaft, Asylantrag, Folgeantrag, unerlaubte Einreise, Ausreisepflicht, Vollziebarkeit, Aufenthaltsgestattung, Verhältnismäßigkeit, Entziehungsabsicht, Genfer Flüchtlingskonvention
Normen: AufenthG § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 1; AufenthG § 50 Abs. 1; AufenthG § 58 Abs. 2 Nr. 1; AufenthG § 14; AsylVfG § 71 Abs. 8; AufenthG § 62 Abs. 2 S. 3; AufenthG § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 5; AufenthG § 95 Abs. 5
Auszüge:

[...]

Die gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 18.3.2009 gerichtete sofortige Beschwerde ist zulässig, § 7 1 FEVG.

In der Sache hat das Rechtsmittel keinen Erfolg.

Es besteht der Haftgrund des § 62 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG.

Der Betroffene ist, wenn man seiner Einlassung folgt, aufgrund unerlaubter Einreise vollziehbar ausreisepflichtig (§ 50 Abs. 1 und 2, § 58 Abs. 2 Nr. 1, AufenthG). Eine Einreise eines Ausländers ist unerlaubt gem. § 14 AufenthG, wenn er einen nach § 3 AufenthG erforderlichen Pass oder Passersatz nicht besitzt - wobei § 3 Abs. 1 AufenthG einen anerkannten und gültigen Pass erfordert -, den nach § 4 AufenthG erforderlichen Aufenthaltstitel nicht besitzt oder wenn er nach § 11 AufenthG nicht einreisen darf.

Der Betroffene verfügt nicht über die nach § 3 AufenthG erforderliche Ausweispapiere, zudem durfte er nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG wegen der bereits erfolgten Abschiebung nicht einreisen. Letztlich fehlt auch der nach § 4 AufenthG erforderliche Aufenthaltstitel.

Daran hat sich durch einen erneuten Asylantrag nichts geändert. Anders als der Asylantrag verschafft der (weitere) Folgeantrag keine Aufenthaltsgestaltung. Er beseitigt nach der wohl herrschenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur nicht die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht (vgl. OLG Köln, OLGR Köln 2002,101-103; OLG Hamm, NVwZ 2003, Beilage Nr. 14, 27-28; OLG München, Beschluss vom 3.5.2007, 34 Wx 54/07). Solange ein Folgeantrag noch nicht für beachtlich erklärt worden ist, steht er der Anordnung von Abschiebehaft nicht entgegen, § 71 Abs. 8 AsylVfG. Bis zur Entscheidung besteht lediglich ein zeitweises Vollstreckungshindernis für die Abschiebung, durch die die Vollziehbarkeit nicht beeinträchtigt wird. Anders als in § 14 Abs. 3 AsylVfG differenziert § 71 Abs. 8 AsylVfG gerade nicht zwischen den verschiedenen Haftgründen. An einer Erklärung, dass der Folgeantrag für beachtlich erklärt wird, fehlt es bisher.

Abweichende Auffassungen (LG Berlin Beschl. v. 10.3.1999 - 84 T X/V 56/99, OLG Oldenburg vom 20.03.2002, 5 W 40/02), betreffen die bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung des § 71 Abs. 5 AuslG, gemäß der es darauf ankam, ob ein Folgeantrag innerhalb von zwei Jahren nach der Vollziehbarkeit einer Abschiebungsanordnung nach der Ablehnung eines Asylantrages gestellt wurde oder später, wie in den diesen Entscheidungen zugrunde liegenden Sachverhalten. Dieser Zwei-Jahres-Zeitraum ist nach der ab dem 1.1.2005 geltenden Fassung des § 71 Abs. 5 AsylVfG entfallen. Danach ist heute maßgebend, dass nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 71 Abs. 8 AsylVfG erst die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens Einfluss auf die Zulässigkeit von Abschiebungshaft hat. Ein zunächst bestehender Haftgrund gemäß § 62 Abs. 2 AufenthG wird damit durch die Stellung eines Folgeantrags allein nicht beseitigt.

Dem Bestehen des Haftgrundes gemäß § 62 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG stehen auch nicht § 62 Abs. 2 S. 3 AufenthG oder Gründe der Verhältnismäßigkeit entgegen. Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 S. 3 AufenthG liegen nicht vor. Will sich ein Ausländer im Einzelfall offensichtlich nicht der Abschiebung entziehen, ist zwar allein die Erfüllung der tatbestandlichen Merkmale des § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AufenthG nach dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht ausreichend, um zwingend die Rechtsfolge der Anordnung der Sicherungshaft auszulösen, denn diese ist in derartigen Fällen zur Sicherung der Abschiebung nicht erforderlich (vgl. BVerfG NVwZ-Beilage Nr. 8/1994, 57). Dass der Betroffene sich der Abschiebung offensichtlich nicht entziehen will, ist aber nicht ersichtlich. Dies ergibt sich weder aus der Beschwerdebegründung noch aus der persönlichen Anhörung. Daneben entfällt der Haftgrund des § 62 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG auch dann, wenn der Ausländer die aufgrund der illegalen Einreise bestehende Vermutung, dass er sich der Abschiebung entziehen werde, glaubhaft widerlegt (vgl. Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl. 2005, § 62 AufenthG, Rz. 15). Als Mittel der Glaubhaftmachung kommt die Vorlage eines Rückflugtickets oder die Bereitstellung einer Sicherheitsleistung nach § 66 Abs. 5 AufenthG in Betracht (vgl. OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 15.7.2008, Az. 20 W 245/08, wobei in dem Beschluss offen geblieben ist, wie die praktische Umsetzung einer derartigen Kaution angesichts des Mangels einer dem § 124 StPO entsprechenden Regelung im AufenthG zu erfolgen hat).

Der Betroffene hat lediglich im Rahmen der Anhörung erklärt, dass er nicht in Illegalität leben will und sich daher eines Abschiebung nicht entziehen werde. Er hat seine Absicht aber nicht glaubhaft gemacht. [...]

Dagegen kann nicht festgestellt werden, dass die Voraussetzungen des Haftgrundes nach § 62 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG vorliegen. Zwar ist der Betroffene unerlaubt eingereist und damit auch gezeigt, dass er die hier geltenden Regelungen nicht (jedenfalls nicht zur Gänze) akzeptiert. Aufgrund der Umstände der Einreise aber über die bereits an den Haftgrund nach § 62 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG geknüpfte im vorliegenden Fall nicht allgemeine Vermutung noch in Hinblick auf § 62 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG einen begründeten Verdacht festzustellen, ist auch angesichts der Gesetzeskonstruktion, die verschiedene Haftgründe aufweist, jedenfalls im vorliegenden Fall zu weitgehend. Auch der Umstand, dass er einen Asylfolgenantrag gestellt hat, trägt nach Ansicht der Kammer nicht die Annahme eines begründeten Verdachts, dass er sich der Abschiebung entziehen werde (so aber OLG Brandenburg, Beschluss vom 11.9.2008, Az. 11 Wx 63/08). Allerdings kann aus der Antragstellung auch nicht der Schluss gezogen werden, der Betroffenen werde sich dem Verfahren auch dann nicht entziehen, wenn dieses gegen ihn entschieden wird. Mit der Antragstellung demonstriert er nicht eine allgemeine gesetzestreue Haltung, sondern will einen gesicherten Status erlangen.

Die Angaben des Betroffenen vor dem Amtsgericht, dass er in der Heimat um sein Leben fürchte und deswegen nicht zurückgehen werde, hat er in der Beschwerdeinstanz versucht zu relativieren. Ob es tatsächlich zu missverständliche Formulierungen gekommen ist, kann dahingestellt bleiben. Es spricht zwar angesichts der in dem Asylfolgeantrag geschilderten Situation viel dafür, dass der Betroffene sich gegenüber dem Amtsgericht wie protokolliert geäußert hat. Denn es ist nachvollziehbar, dass ein Ausländer, dem in der Heimat erhebliche Repressionen drohen, dies auch in einer Haftanhörung verbalisiert. Die Kammer wertet die Äußerungen aber nicht als konkrete Verdachtsmomente für ein Sich-Entziehen der Abschiebung.

Es besteht daher nur der Haftgrund des § 62 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG. Dieser Annahme steht auch nicht die Regelung in § 95 Abs. 5 AufenthG in Verbindung mit Art. 31 Abs. 1 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge entgegen. Ungeachtet des Umstandes, dass die Frage, ob der Betroffene überhaupt zu den von dem Abkommen geschützten Personenkreis gehört, erst im Verwaltungsverfahren festgestellt wird, handelt es sich bei der Abschiebungshaft nicht um eine Strafe. Sie hat keinen Sanktions- sondern lediglich Sicherungscharakter. Die Kammer ist im Rahmen der Haftentscheidung auch nicht gehalten, zu prüfen, ob dem Betroffenen Abschiebungsschutz nach § 60 AufenthG, der innerstaatlichen Umsetzung des Art. 33 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge zu gewähren ist. Die Entscheidung darüber obliegt allein dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, das diese Entscheidung gegebenenfalls nach Anweisung durch die Verwaltungsgerichte zu treffen hat. [...]