KG Berlin

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Zitieren als:
KG Berlin, Beschluss vom 30.01.2009 - (4) Ausl.A 522/03 - asyl.net: M15363
https://www.asyl.net/rsdb/M15363
Leitsatz:

Bestehen aufgrund der Auslieferungsunterlagen Anhaltspunkte dafür, dass die behaupteten kriminellen Handlungen des Verfolgten vorgeschoben sind ­ wofür z.B. Übertreibungen, Widersprüche oder manipulierte Zeugenaussagen sprechen können ­ um des Verfolgten aus politischen Gründen habhaft zu werden, so ist die Auslieferung unzulässig (§ 6 Abs. 2 IRG). Die Gewährung politischen Asyls entbindet zwar nicht von der selbständigen Prüfung des Gerichts, ist aber ein gewichtiges Indiz, insbesondere, wenn sie aufgrund desselben Sachverhalts erfolgte wie die ersuchte Auslieferung. Hier Russische Föderation.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Auslieferung, Auslieferungshindernis, Russland, Politmalus, Asylanerkennung, Flüchtlingsanerkennung, Bindungswirkung
Normen: IRG § 6 Abs. 2; EuAÜbk Art. 3 Abs. II; AsylVfG § 4 Abs. 2
Auszüge:

[...]

Die Auslieferung der Verfolgten ist unzulässig, weil das Auslieferungshindernis der politischen Verfolgung vorliegt. Nach § 6 Abs. 2 IRG i.V.m. Art. 3 Abs. II EuAÜbk ist eine Auslieferung dann nicht zulässig, wenn ernstliche Gründe für die Annahme bestehen, dass der Verfolgte im Falle seiner Auslieferung wegen seiner Rasse, seiner Religion, seiner Staatsangehörigkeit oder seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Anschauung verfolgt oder bestraft oder dass seine Lage aus diesem Grunde erschwert werden würde (vgl. Saarländisches OLG Saarbrücken, Beschluss vom 13. Dezember 2006 – OLG Ausl 35/06 -; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 4. November 2005 – III-4 Ausl (A) 43/07 - 210/05 III -, jeweils m.w.Nachw.; [bei juris]). Das Auslieferungshindernis der politischen Verfolgung ist insbesondere dann zu prüfen, wenn dem Auslieferungsersuchen staatsfeindliche Handlungen zugrunde liegen und aufgrund bestimmter Tatsachen (dazu zählen z.B. eine besondere Intensität der Verfolgungsmaßnahme, das Vorschieben krimineller Handlungen, Manipulationen des Tatvorwurfs oder eine Fälschung von Beweismaterial) trotz des kriminellen Charakters der zur Rede stehenden Taten zu befürchten ist, dass dem Verfolgten eine Behandlung droht, die aus politischen Gründen härter ausfällt, als sie sonst zur Verfolgung ähnlich gefährlicher Straftaten im ersuchenden Staat üblich ist (vgl. BVerfGE 80, 315; Saarländisches OLG Saarbrücken a.a.O. m.w.Nachw.). So liegt es hier. Es bestehen erhebliche Anhaltspunkte dafür, dass in den von den russischen Behörden übersandten Unterlagen kriminelle Handlungen der Verfolgten vorgeschoben werden oder die Tatvorwürfe manipuliert worden sind, um der Verfolgten aus politischen Gründen habhaft zu werden.

a. Nachdem der Senat mit Schreiben vom 31. Juli 2007 in die Verdachtsprüfung nach § 10 Abs. 2 IRG eingetreten ist, haben die von den russischen Behörden überreichten, zum Teil widersprüchlichen Unterlagen zum Schuldvorwurf Zweifel an der Täterschaft der Verfolgten aufkommen lassen und legen damit das Vorschieben krimineller Handlungen nahe. [...]

b. Unabhängig davon, dass die Gewährung von politischem Asyl nach § 4 Abs. 2 AsylVfG für die Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung nicht bindend ist, wird jedoch die Gefahr der Verfolgung des Y dadurch indiziert, dass er von der Bundesrepublik Deutschland als Asylberechtigter wegen politischer Verfolgung anerkannt worden ist. [...]

Nach alledem vermag der Senat nicht auszuschließen, dass die Auslieferungsersuchen der politischen Verfolgung dienen. Geht es aber um das Bestehen eines Auslieferungshindernisses müssen sich Zweifel zu Gunsten der Verfolgten auswirken (vgl. Saarländisches OLG a.a.O.). Das Auslieferungsersuchen war für unzulässig zu erklären. [...]