LG Hamburg

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Zitieren als:
LG Hamburg, Beschluss vom 09.03.2009 - 604 Qs 03/09 - asyl.net: M15374
https://www.asyl.net/rsdb/M15374
Leitsatz:

In Haftsachen muss am Wochenende zumindest tagsüber (9 bis 21 Uhr) ein richterlicher Bereitschaftsdienst zur Verfügung stehen.

 

Schlagwörter: Ingewahrsamnahme, vorläufige Festnahme, Richtervorbehalt, Haftbefehl, Bereitschaftsdienst, Wochenende, Nachtzeit
Normen: StPO § 127 Abs. 2; StPO § 128 Abs. 1; GG Art. 104 Abs. 2 S. 2; GG Art. 104 Abs. 3
Auszüge:

In Haftsachen muss am Wochenende zumindest tagsüber (9 bis 21 Uhr) ein richterlicher Bereitschaftsdienst zur Verfügung stehen.

(Leitsatz der Redaktion)

 

[...]

Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. [...]

Der Antrag ist dahingehend auszulegen, dass die Rechtswidrigkeit der erfolgten vorläufigen Festnahme nach § 127 Abs. 2 StPO wegen des Verdachts einer Straftat gem. § 95 AufenthG in dem beantragten Umfang festgestellt werden soll. [...]

Die Ingewahrsamnahme der Beschwerdeführerin nach ihrer vorläufigen Festnahme war im Zeitraum zwischen Samstag, 13.12.2008, 19.20 Uhr, bis zum Erlass des Haftbefehls durch das Amtsgericht Hamburg, Eildienst am Sonntag 14.12.2008, gegen 11.00 Uhr rechtswidrig.

Gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 StPO ist der nicht aufgrund eines Haftbefehls vorläufig Festgenommene unverzüglich, spätestens am Tag nach der Festnahme, dem zuständigen Richter vorzuführen. "Unverzüglich" ist im Lichte von Art. 104 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 GG - dessen einfachgesetzliche Ausgestaltung der § 128 Abs. 1 Satz 1 StPO darstellt - dahin auszulegen, dass die richterliche Entscheidung über die Fortdauer der Freiheitsentziehung ohne jede Verzögerung, die sich nicht aus sachlichen Gründen rechtfertigen lässt, herbeigeführt werden muss (vgl. BVerfGE 105, 239, 249). Nicht vermeidbar sind z.B. die Verzögerungen, die durch die Länge des Weges, Schwierigkeiten beim Transport, die notwendige Registrierung und Protokollierung, ein renitentes Verhalten des Festgenommenen oder vergleichbare Umstände bedingt sind (BVerfGE 105, 239, 249). Die in § 128 Abs. 1 Satz 1 StPO genannte Frist zur Vorführung spätestens am Tag nach der Festnahme, d.h. mit Ablauf des Kalendertages nach dem Tag der Festnahme, ist eine äußerste Frist. Diese darf nicht zur Regel gemacht werden (Meyer-Goßner, StPO Kommentar, 51. Auflage, 2008, § 128 Rn. 6). Die Ermittlungsbehörde ist nicht gehindert, vor einer fristgerechten Vorführung notwendige Ermittlungen vorzunehmen, insbesondere um dem Richter eine möglichst umfassende Grundlage für seine Entscheidung über einen Haftbefehl zu unterbreiten (Karlsruher Kommentar - Schultheis, 6. Aufl. 2008, § 128, Rn. 5). [...]

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann die fehlende Möglichkeit, einen Richter zu erreichen, angesichts der verfassungsrechtlichen Verpflichtung des Staates, der Bedeutung des Richtervorbehalts durch geeignete organisatorische Maßnahmen Rechnung zu tragen, nicht ohne Weiteres als unvermeidbares Hindernis für die unverzügliche Nachholung der richterlichen Entscheidung gelten (BVerfGE 105, 239, 249; vgl. BVerfGE 103, 142, 151ff. und 156). Aus Art. 104 Abs. 2 GG folge für den Staat die Verpflichtung, die Erreichbarkeit des zuständigen Richters zu gewährleisten und ihm auch insoweit eine sachangemessene Wahrnehmung seiner richterlichen Aufgaben zu ermöglichen (BVerfGE 105, 139, 1. Leitsatz). Daraus folgt jedoch keine Verpflichtung, eine ununterbrochene Erreichbarkeit des zuständigen Richters tagsüber und nachts, auch am Wochenende und an Feiertagen sicherzustellen. Eine Einschränkung gilt jedenfalls für die Nachtzeit i.S.d. § 104 Abs. 3 StPO (vgl. BVergGE 105, 139, 1. Leitsatz). An Wochenenden und Feiertagen muss ein richterlicher Bereitschaftsdienst bestehen (Dreier/Schulte-Fielitz, GG, 2. Aufl. 2008, Art. 104, Rn. 57). In Übertragung der vorgenannten verfassungsrechtlichen Vorgaben für den zuständigen Richter an Werktagen muss dieser Bereitschaftsdienst am Wochenende und an Feiertagen jedenfalls tagsüber erreichbar sein. Die Frage der Erreichbarkeit zur Nachtzeit bedarf hier keiner Betrachtung, da zwischen 15.20 Uhr - dem Zeitpunkt der Überstellung an die UHA Hamburg zwecks Vorführung nach § 128 Abs. 1 S. 1 StPO - und dem Beginn der Nachtzeit um 21.00 Uhr noch über 5 1/2 Stunden verblieben.

Beim Amtsgericht Hamburg ist ein richterlicher Bereitschaftsdienst an Samstagen von 9.00 bis 13.00 Uhr eingerichtet. Im Anschluss an den regulären Bereitschaftsdienst bleibt der Bereitschaftsrichter gemäß dem Geschäftsverteilungsplan bis zum Sonntag um 9.00 Uhr für alle unaufschiebbaren richterlichen Maßnahmen und Entscheidungen in Strafsachen zuständig. Er muss in dieser Zeit telefonisch erreichbar sein. An Sonntagen beginnt der reguläre Bereitschaftsdienst um 9.00 Uhr.

Vorliegend war der Bereitschaftsrichter zum Zeitpunkt der Überstellung der Beschwerdeführerin an die UHA Hamburg nicht mehr am Gericht anwesend. Es ist nicht ersichtlich, dass von Seiten der Leitung der UHA versucht worden wäre, den Bereitschaftsrichter telefonisch zu erreichen. Dies dürfte darauf zurückzuführen sein, dass sich die ständige Praxis etabliert hat, bei einer Zuführung nach Ende des regulären Bereitschaftsdienstes auf den Bereitschaftsdienst am nächsten Morgen zu verweisen, soweit die Maximalfrist des § 128 Abs. 1 S. 1 StPO gewahrt bleibt. Hier besteht Änderungsbedarf, da der Bereitschaftsdienst an Samstagen damit faktisch nur bis 13.00 Uhr sichergestellt ist. Zwar ist nicht zu verlangen, dass ein Bereitschaftsrichter während der gesamten Tageszeit an der Zuführstelle präsent ist. Es ist jedoch mit Blick auf die verfassungsrechtlichen Vorgaben zu verlangen, dass auf telefonische Anforderung innerhalb von 4 Stunden eine Vorführung gemäß § 128 Abs. 1 S. 1 StPO durchgeführt werden kann. Vor diesem Hintergrund war in vorliegendem Fall die weitere Verzögerung der Vorführung ab 19.20 Uhr des 13.12.2008 nicht mehr aus sachlichen Gründen gerechtfertigt.

Nicht zu beanstanden ist, dass die Ermittlungssache der Beschwerdeführerin möglicherweise nicht als erstes am 14.12.2008 um 9.00 Uhr behandelt wurde. Der Ermittlungsrichter ist insoweit - insbesondere im Eildienst - frei, eine sachgerechte Reihenfolge der Bearbeitung verschiedener, eiliger Angelegenheiten zu bestimmen. Eine Rechtsgrundlage zur weiteren Inhaftierung der Beschwerdeführerin bestand aber erst mit dem Erlass des Haftbefehles, so dass die Ingewahrsamnahme bis zu diesem Zeitpunkt rechtswidrig blieb. [...]