VGH Bayern

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Zitieren als:
VGH Bayern, Urteil vom 10.12.2001 - 24 B 01.2059 - asyl.net: M1538
https://www.asyl.net/rsdb/M1538
Leitsatz:

Anspruch auf Aufenthaltsbewilligung für Konventionsflüchtlinge.

Schlagwörter: D (A), Iraker, Abschiebungsschutz, Konventionsflüchtlinge, Aufenthaltsbefugnis, Ungeklärte Identität, Staatsangehörigkeit ungeklärt, Mitwirkungspflichten, Passbeschaffung, Zumutbarkeit
Normen: AsylVfG § 70 Abs. 1; AsylVfG § 72 Abs. 1 Nr. 1; AsylVfG § 15; AuslG § 40; AuslG § 41; AuslG § 8 Abs. 1 Nr. 4
Auszüge:

Der Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 27. Juli 2001 war aufzuheben und der Beklagte war zu verpflichten, dem Kläger die beantragte Aufenthaltsbefugnis zu erteilen. Der Kläger hat nach § 70 Abs. 1 AsylVfG einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis. Nach dieser Vorschrift wird dem Ausländer eine Aufenthaltsbefugnis erteilt, wenn das Bundesamt oder ein Gericht unanfechtbar das Vorliegen der Voraussetzungen von § 51 Abs. 1 AuslG festgestellt hat und die Abschiebung des Ausländers aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht nur vorübergehend unmöglich ist. Das Bundesamt stellte mit Bescheid vom 22. März 2000 aufgrund der rechtskräftigen Entscheidung des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 21. Januar 2000 fest, dass beim Kläger die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich des Irak vorliegen. Die Abschiebung des Klägers in den Irak, dessen Staatsangehörigkeit er besitzen soll, ist daher aus rechtlichen Gründen nicht möglich.

Seine Abschiebung nach Kuwait - unterstellt, er wäre aufgrund seiner Geburt kuwaitischer Staatsangehöriger - ist aus tatsächlichen Gründen nicht möglich, weil er keine Identitätspapiere dieses Staates hat und nicht absehbar ist, ob und unter welchen Voraussetzungen die Ausstellung eines kuwaitischen Passes möglich sein soll. Für die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach § 70 Abs. 1 AsylVfG kommt es nicht darauf an, ob der Ausländer es zu vertreten hat, dass er wegen seiner ungeklärten Identität nicht abgeschoben werden kann oder er seinen Mitwirkungspflichten - sei es nach § 15 AsylVfG oder nach §§ 70, 40 AuslG nicht genügt. Im Rahmen der Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach § 70 Abs. 1 AsylVfG kann dem Ausländer nicht entgegengehalten werden, er habe seinen Mitwirkungspflichten hinsichtlich der Klärung seiner Identität nicht entsprochen. § 15 Abs. 1 AsylVfG verpflichtet den Ausländer, bei der Klärung des Sachverhalts mitzuwirken und insbesondere nach § 15 Abs. 2 Nr. 6 AsylVfG im Falle des Nichtbesitzes eines gültigen Passes oder Passersatzes an der Beschaffung eines Identitätspapiers mitzuwirken. Damit wird dem Asylsuchenden die Verpflichtung auferlegt, die erforderlichen Anträge bei seiner heimatlichen Auslandsvertretung zu stellen. Die Verpflichtung nach § 15 Abs. 2 Nr. 6 AsylVfG ist unzumutbar für Verfolgungs- und Abschiebungsschutz begehrende Antragsteller (vgl. Marx, Kommentar zum Asylverfahrensgesetz, 4. Aufl., § 15 Anm. 14).

Kommt der Asylantragsteller dieser Mitwirkungspflicht nicht nach, so darf dies nicht zum Anlass für eine Asylablehnung genommen werden (siehe auch § 30 Abs. 3 Nr. 5 AsylVfG). Die Mitwirkungspflichten, die dem Kläger aufgrund § 15 AsylVfG im Asylverfahren obliegen, hat der Kläger erfüllt. Sinn und Zweck des Asylverfahrens ist es, die Identität, Herkunft und Verfolgungssituation des Antragstellers zu klären. Steht eine Abschiebungsschutz gewährende Gefahrenlage rechtskräftig oder bestandskräftig fest, ist es der Ausländerbehörde verwehrt, der begehrten Aufenthaltsbefugnis entgegenzusetzen, der Antragsteller habe an der Aufklärung seiner Identität nicht mitgewirkt. Mit dieser Argumentation wird das Ergebnis der rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung bzw. eines bestandskräftigen Bescheids, die/der das Vorliegen der Voraussetzungen von § 51 Abs. 1 AuslG feststellt, angezweifelt. Dies ist wegen der prozessualen Bindungswirkung nicht zulässig. Grundsätzlich gilt, dass mit positivem Abschluss des Asylverfahrens bzw. der Feststellung, dass die Voraussetzungen von § 51 Abs. 1 AuslG gegeben sind, Mitwirkungspflichten des Ausländers an der Klärung seiner Identität und an der Passbeschaffung nach den ausländerrechtlichen Bestimmungen bei der Beantragung einer Aufenthaltsbefugnis nach § 70 Abs. 1 AsylVfG nicht entgegengehalten werden können. Insofern ist § 15 AsylVfG lex specialis.

Die Mitwirkungspflichten nach § 15 AsylVfG gelten für das durchzuführende Asylverfahren und wie sich aus § 15 Abs. 5 AsylVfG ergibt auch noch nach Rücknahme des Asylantrags. Führt jedoch das durchgeführte Asylverfahren zu einer Asylanerkennung bzw. zu einer Entscheidung nach § 51 Abs. 1 AuslG, so beinhaltet diese Entscheidung zugleich eine Aussage zur Identität des Ausländers. Für eine Mitwirkungspflicht zur Klärung der Identität nach ausländerrechtlichen Bestimmungen besteht kein Raum. Die Frage, welche konkreten Mitwirkungspflichten dem Ausländer nach Abschluss des Asylverfahrens - sei es positiven oder negativen Ausgangs - nach dem Ausländergesetz obliegen, hängt vom konkreten Einzelfall ab und ist vorliegend nicht entscheidungserheblich, weil beim Kläger rechtskräftig festgestellt wurde, dass er irakischer Staatsangehöriger sein muss. Dieses Ergebnis kann die Ausländerbehörde nicht über den Umweg anzweifeln, dass bei der beantragten Aufenthaltsbefugnis nunmehr Mitwirkungspflichten hinsichtlich einer Identitätsprüfung aus dem Irak gefordert werden.

Dem Anspruch des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach § 70 Abs. 1 AsylVfG kann auch nicht § 8 Abs. 1 Nr. 4 AuslG entgegengehalten werden. Danach wird die Aufenthaltsgenehmigung auch bei Vorliegen der Voraussetzungen eines Anspruches nach diesem Gesetz versagt, wenn die Identität oder Staatsangehörigkeit des Ausländers ungeklärt ist und er keine Berechtigung zur Rückkehr in einen anderen Staat besitzt. Die Versagungsgründe des § 8 AuslG stehen der Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung dann entgegen, wenn auf sie ein Anspruch nach dem Ausländergesetz besteht. Die Vorschrift gilt nicht für den Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach § 70 Abs. 1 AsylVfG (vgl. Kloesel/Christ/Häußer, Deutsches Ausländerrecht, Stand Mai 2000, § 8 Anm. 5).