VG Ansbach

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Zitieren als:
VG Ansbach, Urteil vom 19.03.2009 - AN 14 K 08.30464 - asyl.net: M15382
https://www.asyl.net/rsdb/M15382
Leitsatz:

Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 7 AufenthG hinsichtlich Vietnam wegen Herzerkrankung.

 

Schlagwörter: Vietnam, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Herzerkrankung, Herzklappenerkrankung, medizinische Versorgung, Finanzierbarkeit, Familienangehörige
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 7 AufenthG hinsichtlich Vietnam wegen Herzerkrankung.

(Leitsatz der Redaktion)

 

[...]

Die Klägerin hat nämlich jedenfalls einen Anspruch auf Widerruf oder Rücknahme der Feststellung des Nichtvorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG im Bescheid vom 7. September 2006 gemäß §§ 51 Abs. 5, 48 Abs. 1 Satz 1 bzw. 49 Abs. 1 VwGO. Das insoweit bestehende Ermessen der Beklagten ist auf Null reduziert. [...]

Die Klägerin wäre nämlich nach einer Abschiebung in ihr Heimatland wegen der im Februar 2007 erfolgten Versorgung ihres Herzfehlers mit einer Mitralklappe in Form einer Kunststoffprothese auf eine lebenslange Antikoagulation z.B. durch Marcumar angewiesen. Diese medikamentöse Versorgung ist in ihrem Heimatland jedoch schon mangels ausreichender finanzieller Mittel der Klägerin nicht erreichbar, zudem ist auch nach Angaben des Bundesamtes das Medikament Marcumar in Vietnam nicht verfügbar. Auf die Frage, ob in der Heimat der Klägerin mit Marcumar vergleichbare Medikamente verfügbar sind kommt es nicht an, da auch diese Medikamente für die Klägerin aus finanziellen Erwägungen heraus nicht verfügbar wären. Gleiches gilt für die erforderliche regelmäßige medizinische Betreuung der Klägerin. Es reicht daher nicht aus, eine grundsätzlich auch in Vietnam gegebene allgemeine Behandelbarkeit festzustellen, so wie das im angefochtenen Bescheid geschehen ist. Vielmehr ist auch und vor allem in den Blick zu nehmen, ob die Klägerin gegebenenfalls finanziell überhaupt in der Lage wäre, das regelmäßig einzunehmende Medikament und die regelmäßig anfallenden Untersuchungen auch tatsächlich erwerben bzw. in Anspruch nehmen zu können.

Dazu führt der Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 14. Juli 2008 aus, dass es in Vietnam seit 2005 eine Krankenversicherung nur für Arbeitnehmer mit festen Arbeitsverträgen gibt und viele Behandlungen nur in Hanoi, Ho-Chi-Minh-Stadt und eventuell noch in einigen anderen großen Städten durchführbar sind. Medikamente fast jeglicher Art können zwar innerhalb kurzer Zeit prinzipiell eingeführt werden, aber zu entsprechenden Preisen. Lebensnotwendige Behandlungen können nur in den Großstädten und Provinzhauptstädten durchgeführt werden und in Hanoi und Ho-Chi-Minh-Stadt sowie in anderen größeren Städten würden in der letzten Zeit auch halbstaatliche medizinische Dienstleistungen angeboten. Gebäude und Personal stammten z.B. von der Armee, Ärzte arbeiteten aber kostendeckend auf private Rechnung. Eine weitere neue Art von privaten Gesundheitsinstitutionen in Hanoi und Ho-Chi-Minh-Stadt sei der sogenannte "Family-Doctor-Services". Diese Organisation operiere auf Mitgliederbasis und biete medizinische Versorgung zu relativ hohen Preisen an.

Nach den vorgelegten ärztlichen Unterlagen benötigt die Klägerin nach ihrer Herzoperation eine lebenslange Antikoagulation mit Marcumar und eine dauernde ärztliche Behandlung. Sie befindet sich in einem schlechten Allgemeinzustand und hält sich nicht für arbeitsfähig. Es muss daher davon ausgegangen werden, dass die Klägerin bei einer Rückkehr in ihre Heimat nur sehr eingeschränkt dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht und damit gerade nicht gewährleistet ist, dass sie jederzeit über die finanziellen Möglichkeiten verfügt, sich die lebensnotwendige Medikation und ärztliche Behandlung leisten zu können. Soweit im Bescheid vom 3. November 2008 auf Fremdmittel der Schwester oder von Bekannten (!) verwiesen wird, verändert dieser Verweis die Beurteilung des Sachverhaltes nicht, da nicht davon ausgegangen werden darf, dass derartige Fremdmittel zuverlässig und auf Dauer der Klägerin zur Verfügung stehen. Dabei ist zu berücksichtigten, dass das Auswärtige Amt das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf der Bevölkerung mit 887 US-Dollar im Jahre 2008 angibt (ca. 655 EUR). Dies bedeutet einen monatlichen Betrag von ca. 55 EUR. Das Bundesamt hat im Bescheid vom 3. November 2008 monatliche Ausgaben alleine für die ärztliche Behandlung in Höhe von 20 EUR veranschlagt. Die Klägerin müsste daher - selbst wenn sie eine Erwerbstätigkeit ausüben könnte - einen beträchtlichen Teil ihres Einkommens für Medikamente und ärztliche Behandlung ausgeben. Auch unter günstigsten Umständen wäre daher nicht sicher gestellt, dass die Klägerin in ihrer Heimat regelmäßig ärztliche Behandlung in Anspruch nehmen und das lebensnotwendige Medikament einnehmen könnte, so dass sich unter dem Einfluss dieser zielstaatsbezogenen Umstände ihre Erkrankung mit Sicherheit in einer Weise verschlimmern würde, die in kürzester Zeit zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib und Leben führt. [...]