VG Ansbach

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Zitieren als:
VG Ansbach, Urteil vom 13.03.2009 - AN 3 K 08.30297 - asyl.net: M15418
https://www.asyl.net/rsdb/M15418
Leitsatz:

Im Irak herrscht kein bewaffneter Konflikt gem. § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG/Art. 15 Bst. c der Qualifikationsrichtlinie; keine Gefahr der nichtstaatlichen Gruppenverfolgung von Schiiten und Sunniten im Irak mehr.

 

Schlagwörter: Irak, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, ernsthafter Schaden, bewaffneter Konflikt, Anerkennungsrichtlinie, Sicherheitslage, willkürliche Gewalt, nichtstaatliche Verfolgung, religiös motivierte Verfolgung, Sunniten, Schiiten, Gruppenverfolgung, Krankheit, psychische Erkrankung
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7; RL 2004/83/EG Art. 15 Bst. c
Auszüge:

Im Irak herrscht kein bewaffneter Konflikt gem. § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG/Art. 15 Bst. c der Qualifikationsrichtlinie; keine Gefahr der nichtstaatlichen Gruppenverfolgung von Schiiten und Sunniten im Irak mehr.

(Leitsatz der Redaktion)

 

[...]

Gegenstand des Verfahrens sind aufgrund des ausdrücklichen Antrages des Prozessbevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung allein Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 7 AufenthG und zwar im Hauptantrag die Feststellung eines solchen nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG sowie hilfsweise eines solchen nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (Bundesverwaltungsgericht vom 24.6.2008, 10 C 43.07). Diese Klage ist zulässig, aber unbegründet, da der Bescheid insoweit rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt, § 113 Abs. 1, 5 Satz 1 VwGO.

1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes noch § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Das durch das Richtlinienumsetzungsgesetz vom 19. August 2007 in das Aufenthaltsgesetz eingefügte Abschiebungsverbot dient der Umsetzung der Regelung über den subsidiären Schutz nach Art. 15 c der Richtlinie 2004/83/EG. Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist. Das Bundesverwaltungsgericht geht im Urteil vom 24. Juni 2008 - 10 C 43.07 unter Berücksichtigung des humanitären Völkerrechts und insbesondere der Heranziehung der vier Genfer Konventionen zum Humanitären Völkerrecht vom 12. August 1949 davon aus, dass ein innerstaatlicher Konflikt im Sinne des Humanitären Völkerrechts dann nicht vorliegt, wenn es sich nur um innere Unruhen und Spannungen handelt wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen. Voraussetzung für einen derartigen Konflikt ist nämlich ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit, wobei als typische Beispiele Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe gelten, also nur Auseinandersetzungen von einer bestimmten Größenordnung in den Regelungsbereich der Vorschrift fallen. Abgesehen davon, dass der Kläger dies selbst noch nicht einmal behauptet, fehlt es für die Annahme einer derartigen Gefahr an den entsprechenden Voraussetzungen. Das Gericht geht nach den zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Erkenntnisquellen davon aus, dass ein solcher innerstaatlicher oder international bewaffneter Konflikt jedenfalls seit Februar 2009 im Irak nicht mehr festgestellt werden kann. Darüber hinaus bestünden auch erhebliche Zweifel, ob die Lage im Irak, wenn man sie allerdings anders als das Gericht dies hier tut, als ausreichend für das Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ansähe, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine individuelle Gefahr für Leib und Leben des Klägers bedeuten würde. Zwar kann nach der – allerdings nur aus einer Presseerklärung bekannten – Auffassung des Europäischen Gerichtshofs im Urteil vom 17. Februar 2009 (Rechtssache C-465/07) auf den Nachweis einer ernsthaften individuellen Bedrohung dann verzichtet werden, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht hat, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei ihrer Rückkehr allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften Bedrohung ausgesetzt zu sein. Da aber, wie weiter unten belegt, die Auseinandersetzungen, Überfälle und Übergriffe im Irak deutlich zurückgegangen sind, könnte selbst bei Unterstellung des Vorliegens eines innerstaatlichen oder internationalen bewaffneten Konflikts jedenfalls ein so hoher Grad an allgemeiner Bedrohung für jede Zivilperson nicht angenommen werden, so dass parallel zur Verneinung einer Gruppenverfolgung mit asylrelevanter Zielsetzung (siehe unten) hier auch vom Gericht das erforderliche hohe Niveau willkürlicher Gewalt nicht mehr angenommen werden kann. Demgemäß besteht kein Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG.

2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.

a) Zunächst droht dem Kläger keine Verfolgung durch den Staat oder die Herrschaftsmacht ausübenden Parteien oder Organisationen. Dies hat der Kläger weder substantiiert behauptet, noch liegen Anhaltspunkte hierfür vor. Dem Kläger droht aber auch keine Verfolgung durch nicht staatliche Akteure. Zwar hat die 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Ansbach, der der Einzelrichter angehört, eine Verfolgung durch nicht staatliche Akteure anknüpfend an die Religionszugehörigkeit sowohl für Sunniten wie Schiiten und die weiteren religiösen Minderheiten im Zentral- und Südirak seit April 2007 angenommen, da eine beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine aus religiösen Gründen drohende asylrelevante Verfolgung damals vorlag. An dieser Rechtsprechung hält die Kammer nunmehr aber im Hinblick auf die geänderte Auskunftslage nicht mehr fest, so dass eine Gruppenverfolgung irakischer Sunniten oder Schiiten aus dem Zentral- und Südirak vom Gericht derzeit nicht mehr angenommen wird.

Diese Änderung der Einschätzung der Lage im Irak ergibt sich für das Gericht aus den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten neueren Erkenntnisquellen, insbesondere aus dem jüngsten Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 6. Oktober 2008, aber auch aus den weiteren, in der Auskunftsliste aufgeführten Auskünften aus dem Jahre 2008 und den Zeitungsberichten vom Februar 2009, in denen die Situation im Irak insbesondere unmittelbar vor und nach der Durchführung der Provinzwahlen geschildert wird. Aus diesen Erkenntnisquellen ergibt sich bei zusammenfassender Betrachtung, dass die Sicherheitslage im Irak nach wie vor sehr angespannt ist, dass es auch weiterhin zu einer erheblichen Anzahl von Anschlägen und Gewaltverbrechen kommt, bei allerdings, wie gerade auch die jüngste Lage im Bericht des Auswärtigen Amtes ausdrücklich schildert, die Zahl der konfessionsbezogenen Anschlägen und Übergriffe erheblich zurückgegangen ist. Insbesondere infolge der neuen amerikanischen Strategie unter Einbeziehung der früher als oppositionelle Kämpfe in Erscheinung getretenen sunnitischen Milizen und ehemaligen Angehörigen einerseits und im Hinblick auf eine gewisse Erschöpfung der jeweiligen sunnitischen und schiitischen Bevölkerungsgruppen sowie dem regionalen Abschluss der gegenseitigen Vertreibungen aus den von einer Religionsgruppe dominierten Stadtvierteln und Orten andererseits ist insbesondere die Zahl der konfessionsbezogenen Auseinandersetzungen, Überfälle und Übergriffe deutlich zurückgegangen, wobei auch die entsprechende Tendenz weiter nach unten zeigt. Gerade auf die Durchführung der landesweiten Provinzwahlen, ohne dass es dabei zu den befürchteten und früher üblichen Anschlägen, bewaffneten Auseinandersetzungen oder Übergriffen kam, ebenso wie die Verbesserung der Sicherheitssituation gerade auch im Zentralirak und in Bagdad, wie sie sich aus den in den letzten Monaten in den Nachrichtensendungen der ARD und des ZDF immer wieder durch die sich vor Ort aufhaltenden Korrespondenten bestätigt worden ist, zeigt eine deutliche Änderung der Sicherheitssituation im Irak. Zwar lässt sich nach den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Auskünften auch in Zukunft nicht ausschließen, dass es zu konfessionsbedingten Überfällen und Übergriffen bis hin zu den sogenannten Passmorden weiterhin kommen kann, allerdings ist aus der rückläufigen Zahl solcher Vorfälle und insbesondere aus der zurückgehenden Tendenz eine Änderung der diesbezüglichen Verfolgungssituation im Irak für das Gericht ableitbar. Eine die Annahme einer Gruppenverfolgung von Schiiten oder Sunniten aus dem Zentral- und Südirak rechtfertigende Verfolgungsdichte lässt sich nach Auffassung der Kammer jetzt nicht mehr feststellen; eine solche ist auch für die nähere Zukunft gerade auf Grund der rückläufigen Tendenz solcher Vorfälle und Übergriffe auch nicht zu erwarten. Demgemäß fehlt es insoweit an der erforderlichen erheblichen konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit. [...]