VG Saarland

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Zitieren als:
VG Saarland, Urteil vom 11.03.2009 - 5 K 1724/08 - asyl.net: M15422
https://www.asyl.net/rsdb/M15422
Leitsatz:

Eine Doppelehe unterliegt nicht dem Schutz des Art. 6 GG; eine aufgrund einer nichtigen Doppelehe erteilte Aufenthaltserlaubnis kann auch dann zurückgenommen werden, wenn keine Nichtigkeitserklärung vorliegt.

Anmerkung der Redaktion: Die Entscheidung wurde durch Urteil des OVG Saarlouis vom 11.3.2010 - 2 A 491/09 -, M16843, aufgehoben.

Schlagwörter: D (A), Rücknahme, Aufenthaltserlaubnis, Familienzusammenführung, Ehegattennachzug, Deutschverheiratung, Doppelehe, Mehrehe, Nichtigkeit, Schutz von Ehe und Familie, Vertrauensschutz, Ermessen
Normen: VwVfG § 48 Abs. 1; EheG § 20 Abs. 1; EheG § 5; GG Art. 6
Auszüge:

[...]

Die fristgerecht erhobene Anfechtungsklage ist zulässig, aber unbegründet.

Der angegriffene Rücknahmebescheid ist in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat (§ 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. [...]

Die zurückgenommen Aufenthaltstitel waren auch objektiv rechtswidrig erteilt worden. [...]

Keinen Erfolg hat der Einwand des Klägers, die am 01.10.1992 in Deutschland geschlossene Ehe mit Frau K. sei keine nach § 5 des bis Juli 1998 geltenden Ehegesetzes verbotene und nach § 20 Abs. 1 EheG nichtige Doppelehe, weil er zu diesem Zeitpunkt nicht seit Ende Mai 1980 mit Frau D. rechtswirksam verheiratet gewesen sei, diese Ehe vielmehr erst am 13.02.1990 geschlossen habe. Das Gericht ist in Übereinstimmung mit der Ausländerbehörde und dem Rechtsausschuss zu der festen Überzeugung gelangt, dass der Kläger und Frau D. die Ehe Ende Mai 1980 rechtswirksam geschlossen haben.

Der von der Detektei im Auftrag der Deutschen Botschaft ermittelte Zeitablauf ist – anders das das Vorbringen des Klägers – in jeder Hinsicht in sich stimmig. Der Kläger heiratet Frau D. Ende Mai 1980 nach dem nach dem Hindu-Gesetz erforderlichen religiösen Zeremoniell, schwängert sie Anfang Juni 1980 und verlässt Indien Anfang August in Richtung Europa, um die Familie zu ernähren. Anfang März 1981 kommt der erstgeborene Sohn zurWelt. Nachdem es mit dem Aufenthaltsrecht aufgrund des Asylverfahrens Anfang Juli 1981 beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und beim Verwaltungsgericht Anfang Juni 1982 nicht geklappt hatte, heiratet er unter Vortäuschung der Ledigkeit Anfang Oktober 1981 eine deutsche Staatsangehörige, um auf diese Weise eine Aufenthaltsrecht zu erwerben und die Familie in Indien zu ernähren, was auch gelingt. 1983 heiratet die Schwägerin seiner indischen Ehefrau. Er fährt regelmäßig alle ein bis zwei Jahre zu Besuch zu seiner Familie nach Indien und schwängert etwa im Januar/Februar 1985 seine Ehefrau erneut. Nachdem der Kläger Anfang Oktober 1985 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erhalten hatte, wird Ende Oktober 1985 der zweite Sohn geboren. Nach der Erteilung der Aufenthaltsberechtigung Anfang Oktober 1987 wird die das Aufenthaltsrecht vermittelnde Ehe mit der deutschen Staatsangehörigen Anfang 1989 geschieden. Im September 1989 beantragt der Kläger die Einbürgerung, die daran scheitert, dass sein "rechtmäßiger" Aufenthalt zu diesem Zeitpunkt noch nicht die erforderliche Dauer von 10 Jahren gedauert hatte. Bei seinem Familienbesuch in Indien im März 2006 beschließen die beiden, dass die Ehefrau nach Deutschland kommen soll, nachdem die Kinder inzwischen 25 und 20 Jahre alt sind. Sie gehen zum Tempelratsvorsitzenden und überreden diesen, ihre Ehe mit Datum vom 13.02.1990 zu registrieren. Im Oktober beantragt die Ehefrau bei der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Neu Delhi die Erteilung eines Visums zum Ehegattennachzug. Die Botschaft veranlasst eine Überprüfung der Personenstandsurkunden durch eine Detektei, bei der alles auffliegt. [...]

Damit steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Ehe des Klägers mit Frau D. bereits im Mai 1980 geschlossen wurde und die zwischen dem Kläger und der deutschen Staatsangehörigen K. am 01.10.1982 beim Standesamt in Homburg (Saar) geschlossene Ehe eine nach § 5 EheG verbotene und nach § 20 Abs. 1 EheG nichtige Doppelehe war.

Zwar ist der Hinweis des Klägers zutreffend, dass auch eine nichtige Ehe bis zur Nichtigkeitserklärung durch ein Gericht im Rechtsverkehr wirksam ist (früher: § 23 EheG; seit 01.01.1998: § 1306 BGB). Gleichwohl hätte diese – nichtige, wenn auch nicht bis zur gerichtlichen Feststellung nicht unwirksame – Zweitehe unter dem Gesichtspunkt des Art. 6 GG für den Kläger kein Aufenthaltsrecht begründet. Schon das Bundesverfassungsgericht hat im Beschluss vom 12.05.1987 ausgeführt, dass Lebensgemeinschaften ehelicher und familiärer Art, die, wie beispielsweise Mehrehen, nach Maßgabe ausländischen Rechts eingegangen wurden, und die der Vorstellung des Grundgesetzes von Ehe und Familie fremd sind, nicht ohne weiteres dem Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG unterfielen (BVerfG, Beschluss vom 12.05.1987 - 2 BvR 1226/83, 101, 313/84 -, BVerfGE 76, 1 (41 f.)). Der im deutschen Ausländerrecht verwandte Begriff des "Ehegatten" erfasst nicht die in einer Mehrehe geheiratete weitere Ehefrau. Zwar ist es nach internationalem Privatrecht möglich, auch die Mehrehe eines Ausländers als gültig anzuerkennen. Ausländerrechtlich soll nach allen Fassungen des Ausländergesetzes ausländischen Ehegatten ein privilegiertes Zugangsrecht in das Bundesgebiet nur im Rahmen des Art. 6 GG gewährt werden. Dafür ist maßgebend die Institution der Ehe, wie sie sich im abendländischen Rechts- und Kulturkreis herausgebildet hat. Danach gehört das Prinzip der Einehe zu den kulturellen Wertvorstellungen in der Bundesrepublik Deutschland und damit zu den auch den ausländerrechtlichen Regelungen vorgegebenen Wertsetzungen (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 12.03.2004 - 10 A 11717/03 -, InfAuslR 2004, 294 und bei juris, dort Rdnr. 22, unter Hinweis auf BVerfGE 76, 1; BVerwG, Urteil vom 30.04.1985 - 1 C 33.81 -, BVerwGE 71, 228; OVG Lüneburg, InfAuslR 1992, 364 und GKAuslR, § 18 AuslG Rdnr. 69).

Wenn das aber schon für solche Ehen gilt, die nach Maßgabe des ausländischen Rechts wirksam eingegangen wurden, bedeutet das zugleich, dass erst recht solche Mehrehen nicht dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG unterstehen, die nach dem materiellen ausländischen wie deutschen Recht wegen unzulässiger Doppelehe nichtig sind.

Hintergrund des Rechtsanspruchs eines deutschverheirateten Ausländers auf ein Aufenthaltsrechts ist und war, dass es dem deutschen Ehepartner von Rechts wegen nicht zugemutet werden soll, die Ehe im Ausland leben zu müssen. Dieser Gesichtspunkt greift bei einer nichtigen Ehe ersichtlich nicht.

Keinen Erfolg hat die Berufung des Klägers auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungs- und Bundesverfassungsgerichts zu den zeitlichen Grenzen der Rücknahme einer Einbürgerung auf der Grundlage von § 48 VwVfG.

Diesen Entscheidungen lagen Rücknahmen der Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit zugrunde. [...]

Im allgemeinen Ausländerrecht stellt sich die Sachlage anders dar. Hier enthält das Grundgesetz keine – dem Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG – vergleichbare besondere gesetzliche Regelung. Demgegenüber bestimmt § 51 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG ausdrücklich, dass der Aufenthaltstitel mit seiner Rücknahme erlischt. Da das AufenthG für den Fall der Rücknahme – anders etwa als für den Widerruf (§ 52) – keine eigene Regelung enthält, bedeutet dies zugleich, dass insoweit (im Saarland) allein § 48 SVwVfG maßgeblich ist.

Auch sonstige allgemeine Rechtsgrundsätze gebieten keine einschränkende Auslegung des Regelungsgehalts von § 48 SVwVfG. Dass das Rechtsstaatsprinzip keine einschränkende Auslegung gebietet, hat das Bundesverfassungsgericht im Urteil vom 24.05.2006 - 2 BvR 669/04 - bestätigt. Dort heißt es (bei Rdnr. 74), dass die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakts ein Eingriff sei, auch wenn der Adressat des Verwaltungsakts es darauf angelegt habe, sich in gesetzeswidriger Weise eine Rechtsposition zu verschaffen. DieWiederherstellung einer gesetzesgemäßen Rechtslage dürfe gerade auch als Maßnahme der Missbrauchsbekämpfung nicht von vornherein aus dem Kreis der möglichen Eingriffslagen ausgeschieden werden (Lerche, in Handbuch des Staatsrechts Bd. V, 2000, § 121 Rn. 51, gegen Dürig, AöR 79 1953/54>, 57 86, auch 61>). Genau darauf sind die Verwaltungsentscheidungen tragend gestützt.

Auch die Ermessensentscheidung, die Aufenthaltstitel mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, begegnet keinerlei rechtlichen Bedenken. In jeder Hinsicht zutreffend hat sich der Rechtsausschuss insoweit darauf gestützt, dass er keine familiären Bindungen in Deutschland habe, seine Familie mit Ausnahme des in Belgien lebenden ältesten Sohnes in Indien lebe, er seine Ehefrau und Kinder in der Vergangenheit alle ein bis zwei Jahre regelmäßig besucht habe und ihm deshalb eine Wiedereingliederung in Indien nicht allzu schwer fallen dürfte; würde man ihm die Niederlassungserlaubnis belassen, könne er seine Ehefrau nach Deutschland nachziehen lassen, was zu einer Verbesserung seines Status quo führen würde. [...]