Keine Gefahr der nichtstaatlichen Gruppenverfolgung von Schiiten und Sunniten im Irak mehr; im Irak herrscht kein bewaffneter Konflikt gem. § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG/Art. 15 Bst. c der Qualifikationsrichtlinie.
Keine Gefahr der nichtstaatlichen Gruppenverfolgung von Schiiten und Sunniten im Irak mehr; im Irak herrscht kein bewaffneter Konflikt gem. § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG/Art. 15 Bst. c der Qualifikationsrichtlinie.
(Leitsatz der Redaktion)
[...]
Die zulässige Klage ist nur insoweit begründet, als der Kläger die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begehrt. Im Übrigen ist der Bescheid rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG. [...]
Zwar hat das Gericht, hier die 3. Kammer, der der Einzelrichter angehört, eine Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure anknüpfend an die Religionszugehörigkeit sowohl für Sunniten wie Schiiten und die weiteren religiösen Minderheiten im Zentral- und Südirak seit April 2007 angenommen, da eine beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine aus religiösen Gründen drohende asylrelevante Verfolgung damals vorlag. An dieser Rechtsprechung hält die Kammer nunmehr aber im Hinblick auf die geänderte Auskunftslage nicht mehr fest, so dass eine Gruppenverfolgung irakischer Sunniten oder Schiiten aus dem Zentral- und Südirak vom Gericht derzeit nicht mehr angenommen wird.
Diese Änderung der Einschätzung der Lage im Irak ergibt sich für die Kammer aus den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten neueren Erkenntnisquellen, insbesondere aus dem jüngsten Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 6. Oktober 2008, aber auch aus den weiteren, in der Auskunftsliste im Einzelnen aufgeführten Auskünften aus dem Jahr 2008 sowie auch aus den zum Gegenstand des Verfahrens in der mündlichen Verhandlung gemachten Zeitungsberichten vom Februar 2009, in denen die Situation im Irak insbesondere unmittelbar vor und nach der Durchführung der Provinzwahlen geschildert wird. Aus diesen Erkenntnisquellen ergibt sich bei zusammenfassender Betrachtung, dass die Sicherheitslage im Irak nach wie vor sehr angespannt ist, dass es auch weiterhin zu einer hohen Anzahl von Anschlägen und Gewaltverbrechen kommt, allerdings ist, wie gerade auch der jüngste Lagebericht des Auswärtigen Amtes ausdrücklich schildert, die Zahl der konfessionsbezogenen Anschläge und Übergriffe erheblich zurückgegangen. Insbesondere infolge der neuen amerikanischen Strategie unter Einbeziehung der früher als oppositionelle Kämpfer in Erscheinung getretenen sunnitischen Milizen und ehemaligen Armeeangehörigen einerseits und im Hinblick auf eine gewisse Erschöpfung der jeweiligen sunnitischen und schiitischen Bevölkerungsgruppen sowie dem regionalen Abschluss der gegenseitigen Vertreibungen aus den von einer Religionsgruppe dominierten Stadtvierteln und Orten andererseits ist insbesondere die Zahl der konfessionsbezogenen Auseinandersetzungen, Überfälle und Übergriffe deutlich zurückgegangen, wobei auch die entsprechende Tendenz weiter nach unten zeigt. Gerade auch die Durchführung der landesweiten Provinzwahlen, ohne dass es dabei zu den befürchteten und früher üblichen Anschlägen, bewaffneten Auseinandersetzungen oder Übergriffen kam, ebenso wie die Verbesserung der Sicherheitssituation gerade auch im Zentralirak und in Bagdad, wie sie sich aus den in den letzten Monaten in den Nachrichtensendungen der ARD und des ZDF immer wieder durch die sich vor Ort aufhaltenden Korrespondenten bestätigt worden ist, zeigt eine deutliche Änderung der Sicherheitssituation im Irak. Zwar lässt sich nach den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Auskünften auch in Zukunft nicht ausschließen, dass es zu konfessionsbedingten Überfällen und Übergriffen bis hin zu den so genannten Passmorden weiterhin kommen kann, allerdings ist aus der rückläufigen Zahl solcher Vorfälle und insbesondere aus der zurückgehenden Tendenz eine Änderung der diesbezüglichen Verfolgungssituation im Irak für die Kammer ableitbar. Eine die Annahme einer Gruppenverfolgung von Schiiten oder Sunniten aus dem Zentral- und Südirak rechtfertigende Verfolgungsdichte lässt sich nach Auffassung der Kammer jetzt nicht mehr feststellen, eine solche ist auch für die nähere Zukunft gerade auf Grund der rückläufigen Tendenz solcher Vorfälle und Übergriffe auch nicht zu erwarten.
Der Kläger hat somit keinen Anspruch auf Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG, sodass die Klage insoweit abzuweisen ist.
Auch Abschiebungsschutz nach § Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG kann dem Kläger nicht zugebilligt werden. Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 und 3 AufenthG hat der Kläger noch nicht einmal behauptet, für die Annahme der nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG zu beurteilenden Gefahr für den Kläger auf Grund eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Irak fehlt es an den entsprechenden Voraussetzungen. Insoweit geht die Kammer nach dem zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Erkenntnisquellen davon aus, dass ein solcher innerstaatlicher oder internationaler bewaffneter Konflikt jedenfalls seit Februar 2009 im Irak nicht mehr festgestellt werden kann, wie insbesondere die oben genannten Erkenntnisquellen und der dort zitierte Inhalt belegen. Darüber hinaus bestünden auch erhebliche Zweifel, ob die Lage im Irak, wenn man sie allerdings anders als der Einzelrichter dies hier tut – als ausreichend für das Vorliegen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ansähe, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine individuelle Gefahr für Leib und Leben des Klägers bedeuten würde. Selbst unter Beachtung der aus der – allerdings nur aus einer Presseerklärung bekannten – Auffassung des Europäischen Gerichtshofs im Urteil vom 17. Februar 2009 (Rechtssache C-465/07) wird eine ernsthafte individuelle Bedrohung nämlich nur dann nicht erforderlich sein, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht hat, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei ihrer Rückkehr allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften Bedrohung ausgesetzt zu sein. Da aber, wie oben belegt, die Auseinandersetzungen, Überfälle und Übergriffe im Irak deutlich zurückgegangen sind, könnte selbst bei Unterstellung des Vorliegens eines innerstaatlichen oder internationalen bewaffneten Konflikts jedenfalls ein so hoher Grad an allgemeiner Bedrohung für jede Zivilperson nicht angenommen werden, so dass parallel zur Verneinung einer Gruppenverfolgung mit asylrelevanter Zielsetzung hier auch vom Gericht das erforderliche hohe Niveau willkürlicher Gewalt nicht mehr angenommen werden kann. Deshalb war auch insoweit die Klage abzuweisen.
Der Kläger hat jedoch Anspruch auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG gegen die Beklagte. [...]
Nach diesen Grundsätzen liegt für den Kläger auf Grund seiner geistigen und gesundheitlichen Situation und ohne eine Familie im Irak, die sich um ihn kümmern und ihn aufnehmen könnte, in verfassungskonformer Anwendung dieser "Sperrklausel" ein Abschiebungsverbot wegen extremer Gefahrenlage nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor. [...] In Anbetracht dessen und im Hinblick auf die sich aus den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisquellen, insbesondere auch dem jüngsten Lagebericht des Auswärtigen Amtes ergebenden Angaben hinsichtlich des völlig desolaten Gesundheitssystems im Irak, das auch angesichts der allgemeinen wirtschaftlichen und sozialen Lage eine hinreichende Betreuung einer Person wie des Klägers faktisch ausschließt und in Anbetracht dessen, dass Familienangehörige, die üblicherweise eine solche Betreuung durchführen würden, hier nicht vorhanden und dazu in der Lage sind, würde die Rückkehr in den Irak für den Kläger zu einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit führen, da er auf Grund seiner geistigen und psychischen Situation zu einem eigenständigen Leben dort nicht in der Lage wäre und insbesondere auch nicht erkennbar ist, wie der Kläger jemals dort seinen Lebensunterhalt verdienen sollte. [...]