VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 25.02.2009 - 13 S 2588/08 - asyl.net: M15439
https://www.asyl.net/rsdb/M15439
Leitsatz:

Zu den Anforderungen an ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache i.S.v. § 11 S. 1 Nr. 1 StAG a.F.

 

Schlagwörter: D (A), Staatsangehörigkeitsrecht, Einbürgerung, Anspruchseinbürgerung, Sprachkenntnisse
Normen: StAG § 11 S. 1 Nr. 1 a.F.
Auszüge:

Zu den Anforderungen an ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache i.S.v. § 11 S. 1 Nr. 1 StAG a.F.

(Leitsatz der Redaktion)

 

[...]

Die zulässige, insbesondere unter Stellung eines Antrags rechtzeitig begründete Berufung hat Erfolg. Das Verwaltungsgericht hätte die Klage abweisen müssen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Einbürgerung in den deutschen Staatsverband, weil er nicht über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache i.S.v. § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG a.F (i. V. m. § 40c StAG) verfügt.

Mit der Voraussetzung "ausreichender Kenntnisse der deutschen Sprache" bezeichnet § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG a.F. das für die Anspruchseinbürgerung erforderliche Sprachniveau durch einen auslegungsbedürftigen und auslegungsfähigen unbestimmten Rechtsbegriff. Bei der Bestimmung des Maßstabs des "Ausreichenden", das über dem nur "Einfachen" liegt, muss einerseits zwischen den mündlichen – und hier zwischen aktiven und passiven – Sprachkenntnissen sowie Kenntnissen des Schriftsprache unterschieden werden. Dabei wird man in gewissen Grenzen einen relativierenden Ansatz wählen und anwenden dürfen, der Bildung, Sprachniveau und Sprachkompetenz in der Muttersprache sowie soziale Herkunft mit berücksichtigt, ohne dass aber eine mindeste Grenze unterschritten werden darf (so auch ausdrücklich BVerwG, U.v. 20.10.2005 - 5 C 8.05 - BVerwGE 124, 268).

Was die passiven Sprachkenntnisse betrifft, so reicht es regelmäßig aus, wenn der Einbürgerungsbewerber in der Öffentlichkeit, d.h. im sozialen Miteinander, wie am Arbeitsplatz, im Bereich des Wohnens sowie bei Behörden jedenfalls nicht zu schwere Sachverhalte des täglichen Lebens ihrem wesentlichen Inhalt zutreffend erfassen kann, wenn sie ihm in vollständigen Sätzen vermittelt werden sollen. Dem steht ein gelegentliches Nichtverstehen mit der Folge, dass nachgefragt werden muss, nicht grundsätzlich entgegen, namentlich wenn dieses auf Sprachfärbung und Aussprache zurückzuführen ist. Nimmt der Umfang des Nichtverstehens allerdings ein Maß an, dass gewissermaßen fast bei jedem Satz nachgefragt werden muss und demzufolge eine gewisse Flüssigkeit der Kommunikation nicht mehr gewährleistet ist, so wird das Niveau des Ausreichenden nicht erreicht.

Das aktive Sprechvermögen darf sich nicht darauf beschränken, auf Ansprache von außen im Wesentlichen nur mit Ja oder Nein zu antworten. Zwar sind grundsätzlich Fehler bei Grammatik, Syntax und Wortwahl zu akzeptieren und nicht von vornherein schädlich. Der Betroffene muss jedoch in der Lage sein, nicht nur einfachste, sondern auch durchaus etwas komplexere Sachverhalte, sofern sie jedenfalls Teil seines Lebensalltags und der eigenen Lebenswirklichkeit sind, eigenständig und von sich aus mündlich in einer Weise zu vermitteln, ohne dass der Gegenüber erst durch ständiges Nachfragen gewissermaßen zusammen mit dem Einbürgerungsbewerber eine verständliche Botschaft zusammensetzen muss. Einzelne Nachfragen zum besseren bzw. korrekten Verständnis sind auch hier unschädlich.

Nur unter diesen Voraussetzungen kann von einer hinreichenden auch sprachlichen Integration in die Lebensverhältnisse im Bundesgebiet allgemein und in ihre Lebens, Berufs- und Wohnumgebung gesprochen werden. Ausreichende Möglichkeiten sprachlich vermittelter Kommunikation auf der Grundlage der deutschen Sprache sind typischerweise Voraussetzung für die Integration in die grundlegenden Bereiche der Bildung, der Beschäftigung und der Teilhabe am politischen Leben und damit für die soziale, politische und gesellschaftliche Integration; ohne die Fähigkeit, hiesige Medien zu verstehen und mit der deutschen Bevölkerung zu kommunizieren, ist eine Integration wie auch die Beteiligung am politischen Willensbildungsprozess nicht möglich (vgl. auch BT-Drucks 14/533 S. 18). Wegen der Bedeutung, welche im Arbeits- und Berufsleben, aber auch bei der Kommunikation mit der gesellschaftlichen Umwelt einschließlich der Kontakte mit Behörden und Institutionen der mündlichen Kommunikation zukommt, sind diese minimalen Anforderungen unerlässlich. Einer Einbürgerung würde andernfalls die vom Gesetzgeber vorausgesetzte innere Bindung des Einbürgerungsbewerbers zum gesellschaftlich-politischen Leben der Bundesrepublik Deutschland fehlen.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. U.v. 20.10.2005 - 5 C 8.05 a.a.O.) ergibt eine an Sinn und Zweck des Ausschlussgrundes orientierte Auslegung, dass darüber hinaus auch gewisse Grundkenntnisse der deutschen Schriftsprache erforderlich sind. Keine andere Beurteilung rechtfertigt der Umstand, dass in der Bundesrepublik Deutschland als deutsche Staatsangehörige geborene und aufgewachsene Personen leben, arbeiten und am gesellschaftlichen sowie sozialen Leben teilnehmen, die des Lesens oder Schreibens nicht (hinreichend) kundig sind. Ungeachtet der Personen, die (absolute und funktionale) Analphabeten sind, ist eine hinreichende Schriftsprachenbeherrschung jedoch gleichwohl der gesellschaftliche Regelfall und bildet Analphabetismus ein Integrationshindernis; der Gesetzgeber, dem für die Ausgestaltung der Einbürgerungsanspruchsvoraussetzungen ein Gestaltungsspielraum zuzubilligen ist, kann für die typisierende Festlegung der an einen Einbürgerungsbewerber zu stellenden Sprachanforderungen diesen gesellschaftlichen Regelfall zu Grunde legen. Die nach dem Integrationszweck zu fordernden Kenntnisse der deutschen Schriftsprache müssen den Einbürgerungsbewerber in die Lage versetzen, im familiär-persönlichen, beruflichen und gesellschaftlichen Umfeld sowie im Umgang mit Behörden und Ämtern in deutscher Sprache schriftlich zu verkehren. Dies setzt – jedenfalls bei geschäftsfähigen Einbürgerungsbewerbern – die Fähigkeit voraus, selbständig in deutscher Sprache verfasste Schreiben, Formulare und sonstige Schriftstücke zu lesen und – nach Maßgabe von Alter und Bildungsstand – den sachlichen Gehalt zumindest von Texten einfacheren Inhalts aufgrund der Lektüre auch so zu erfassen, dass hierauf zielgerichtet und verständig reagiert werden kann. Hinsichtlich der Fähigkeit, sich in deutscher Schriftsprache auszudrücken, kann nicht verlangt werden, dass der Einbürgerungsbewerber einen Diktattext in deutscher Sprache selbst und eigenhändig im Wesentlichen fehlerfrei schreiben kann. Allerdings muss es dem Einbürgerungsbewerber möglich sein, sich eigenverantwortlich und eigenverantwortet im familiär-persönlichen, beruflichen und geschäftlichen Umfeld sowie im Umgang mit Behörden und Ämtern aktiv schriftlich in deutscher Sprache zu verständigen. Bei schriftlicher Kommunikation, bei der nach dem heutigen Stand der Technik zumindest im beruflich-geschäftlichen Umfeld sowie im Umgang mit Behörden und Ämtern für die Texterstellung Hilfsmittel (Computer; Schreibmaschine; Diktiergerät) genutzt werden, ist es regelmäßig weder erkennbar noch entscheidend, ob ein Text eigenhändig geschrieben ist. Hierfür muss der Einbürgerungsbewerber sich nicht selbst schriftlich ausdrücken können, wenn und solange er in eigener Verantwortung eine schriftliche Kommunikation sicherzustellen vermag, ohne diese vollständig und ohne eigene Kontrollmöglichkeit auf Dritte zu übertragen. Kann der Einbürgerungsbewerber nicht selbst ausreichend deutsch schreiben, ist es erforderlich, aber auch ausreichend, wenn er deutschsprachige Texte des täglichen Lebens lesen und diktieren sowie das von Dritten oder mit technischen Hilfsmitteln Geschriebene auf seine Richtigkeit überprüfen kann und somit die schriftliche Äußerung als seine "trägt".

Würde man insgesamt dieses Anforderungsprofil für die mündliche wie schriftliche Kommunikationsfähigkeit unterschreiten, so wäre dies mit der rechtlichen Vorgabe des Begriffs "ausreichend" nicht mehr zu vereinbaren (vgl. etwa Berlit, in: GK-StAG, § 11 Rdn. 37 ff.).

Ausgehend hiervon hat der Senat in der mündlichen Verhandlung, in der der Kläger im Einzelnen zu seinen aktuellen persönlichen Lebensverhältnissen sowie zu seinen früheren politischen Tätigkeiten in Bremerhaven und dem Loslösungsprozess von der DHKP-C angehört wurde, die Überzeugung gewonnen, dass schon die beim Kläger vorhandenen mündlichen aktiven wie passiven Sprachkenntnisse nicht das erforderliche Sprachniveau erreichen.

Der Kläger war schon in weiten Teilen nicht in der Lage, ohne Einschaltung des zugezogenen Dolmetschers die Fragen des Gerichts zu den Vorgängen in Bremerhaven und den Umständen seiner Trennung von der Organisation zu verstehen. Dabei teilt der Senat nicht die Auffassung des Verwaltungsgerichts, es habe sich in diesem Zusammenhang um so komplexe Sachverhalte gehandelt, dass hier eine Kommunikation ohne Dolmetscher nicht mehr verlangt werden durfte. Denn es ging hier zunächst im Ausgangspunkt um Sachverhalte, die dem nächsten Lebensumfeld des Klägers entstammten, und nicht um abstrakte und theoretische Erörterungen. Um eine Nuance besser war das Verstehen bei Fragen zum beruflichen und familiären Umfeld, allerdings handelte es sich dabei auch um Fragen der einfachsten Art. Was das aktive Sprachvermögen betrifft, war der Kläger von seltenen Ausnahmen abgesehen nicht in der Lage, vollständige Sätze zu bilden, wobei es, wie dargelegt, durchaus unschädlich gewesen wäre, wenn diese nicht fehlerfrei gewesen wären. Der Kläger sprach auch nicht etwa in verständlichen sog. Infinitivsätzen. Vielmehr beschränkte er sich darauf, Schlag- und Stichworte unverbunden aneinander zu reihen, deren Sinn teilweise sogar mit der zusätzlichen Aktenkenntnis nicht immer zu erfassen war. Für einen Zuhörer, dem jede Vorkenntnis über den Kläger gefehlt hätte, wären die Ausführungen unverständlich gewesen. Zum Teil musste das Gericht auch hier, wenn Nachfragen ohne Ergebnis geblieben waren, die Hilfe des Dolmetschers in Anspruch nehmen, ohne dass aber die vom Kläger aus seiner Zeit in Bremerhaven geschilderten Erlebnisse und Ereignisse sich als besonders komplex und vielschichtig erwiesen hätten.

Der Senat nimmt diese Bewertung auch vor dem Hintergrund vor, dass der Kläger immerhin bei einer türkischen Tageszeitung schriftstellerisch tätig ist und auch in der Vergangenheit bereits in der Türkei einschlägig gearbeitet hat. Diese Umstände rechtfertigen die Annahme, dass beim Kläger eine über der untersten Stufe liegende Fertigkeit im Umgang mit Schrift und Sprache vorausgesetzt werden kann. [...]