VGH Bayern

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Zitieren als:
VGH Bayern, Beschluss vom 18.02.2009 - 10 C 09.236 - asyl.net: M15451
https://www.asyl.net/rsdb/M15451
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Prozesskostenhilfe, Erfolgsaussichten, Aufenthaltserlaubnis, sonstige Familienangehörige, Pflege, vorübergehender Aufenthalt, dringende humanitäre Gründe, Verlängerung, außergewöhnliche Härte, Schutz von Ehe und Familie, Gleichbehandlungsgrundsatz
Normen: VwGO § 166; ZPO § 114; AufenthG § 36 Abs. 2; AufenthG § 25 Abs. 4 S. 1; AufenthG § 25 Abs. 4 S. 2; GG Art. 6; GG Art. 3
Auszüge:

[...]

Der Kläger hat Anspruch auf Prozesskostenhilfe nach § 166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO. [...]

1. Das Verwaltungsgericht hat zwar zutreffend ausgeführt, dass dem Kläger voraussichtlich keine Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen erteilt werden kann. Zwar kann nach § 36 Abs. 2 i. V. m. § 30 Abs. 3 AufenthG in Härtefällen auch die Aufenthaltserlaubnis sonstiger Familienangehöriger, insbesondere erwachsener Kinder, verlängert werden. Dies setzt jedoch voraus, dass der Betreffende zuvor eine Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen erhalten hat (vgl. BVerwG vom 4.9.2007 BVerwGE 129, 226). Im vorliegenden Fall erhielt der Kläger jedoch eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen und hat eine Verlängerung seines Aufenthalts aus humanitären Gründen beantragt. [...]

2. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht Augsburg ferner ausgeführt, dass eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG nicht in Betracht kommt. Die Vorschrift ermöglicht nur einen vorübergehenden Aufenthalt aus dringenden humanitären Gründen. Ist ein naher Angehöriger kurzfristig erkrankt, so kann zu dessen vorübergehender Pflege eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG erteilt und bis zur Genesung des Angehörigen verlängert werden. Stellt sich jedoch heraus, dass der Angehörige auf Dauer pflegebedürftig und schwerbehindert ist und ist eine durchgreifende Besserung nicht in Sicht, kann eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG nicht erfolgen.

3. Allerdings kann in solchen Fällen die Aufenthaltserlaubnis des Ausländers nach § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG verlängert werden. Nach dieser Vorschrift kann eine Aufenthaltserlaubnis bei Vorliegen einer außergewöhnlichen Härte auch dann verlängert werden, wenn die ursprüngliche Aufenthaltserlaubnis im Sinne des § 8 Abs. 2 AufenthG nur für einen vorübergehenden Aufenthalt erteilt worden ist. Von einer außergewöhnlichen Härte spricht man, wenn der Ausländer sich in einer Sondersituation befindet, aufgrund derer ihm die Aufenthaltsbeendung deutlich und ungleich härter treffen würde als andere Ausländer (BayVGH vom 4.4.2007 - 19 CS 07.147, RdNr. 19).

Nicht erforderlich ist, dass die Härtefallgründe in der Person des Ausländers selbst vorliegen. Vielmehr kann auch die Erkrankung und Betreuungsbedürftigkeit naher Angehöriger einen Härtefallgrund darstellen (vgl. OVG Hamburg vom 29.4.1999 InfAuslR 1999, 342/343 zur Vorläuferbestimmung des § 30 Abs. 2 AuslG). Dies gilt im Hinblick auf den von Art. 6 Abs. 1 GG verbürgten Schutz der Familie jedenfalls dann, wenn ein Familienmitglied auf die Lebenshilfe des anderen Familienmitglieds angewiesen ist und diese Hilfe in zumutbarer Weise nur im Bundesgebiet erbracht werden kann. Unter diesen Voraussetzungen erfüllt die Familie im Kern die Funktion einer Beistandsgemeinschaft. Kann der Beistand nur im Bundesgebiet erbracht werden, weil einem beteiligten Familienmitglied das Verlassen der Bundesrepublik nicht zumutbar ist, so drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, in der Regel einwanderungspolitische Belange zurück (vgl. BVerfG vom 14.12.1989 NJW 1990, 895; BVerfG vom 25.10.1995 NVwZ 1996, 1099; NdsOVG vom 10.12.2008 - 13 L B 13.07, RdNr. 32).

Im vorliegenden Fall ist dem Vater des Klägers das Verlassen des Bundesgebiets nicht zumutbar, weil er eine Niederlassungserlaubnis besitzt. Er ist auf die Lebenshilfe seines Sohnes angewiesen, weil er infolge eines Schlaganfalls halbseitig gelähmt und schwerbehindert ist. Die erforderlichen Pflege- und Betreuungsleistungen können nicht allein von der Mutter des Klägers erbracht werden. [...] Der Beklagte hat zwar zutreffend eingewandt, dass die vom Kläger erbrachten Hilfen theoretisch auch durch Einschaltung eines Betreuers und durch stationäre Unterbringung in einem Pflegeheim erbracht werden können. Für die aufenthaltsrechtlichen Schutzwirkungen des Art. 6 Abs. 1 GG kommt es jedoch nicht darauf an, ob die von einem Familienmitglied tatsächlich erbrachte Lebenshilfe von anderen Personen erbracht werden kann. Eine andere Auffassung ließe es unberücksichtigt, dass Kinder bereits von Gesetzes wegen ihren Eltern Beistand zu leisten haben, wenn diese darauf angewiesen sind (vgl. BVerfG vom 14.12.1989 NJW 1990, 895; BVerfG vom 25.10.1995 NVwZ 1996, 1099).

Schließlich erscheint es fraglich, ob die familiären Verpflichtungen des Klägers im Kosovo gegen das Vorliegen einer außergewöhnlichen Härte ins Feld geführt werden können. Diese Ansicht wird zwar in der Literatur vertreten (vgl. Hailbronner, Kommentar zum Ausländerrecht, RdNr. 17 zu § 36 AufenthG). Es liegt hierzu – soweit ersichtlich – jedoch keine gesicherte obergerichtliche Rechtsprechung vor. Vielmehr ist in der Rechtsprechung bislang auch dann der Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG bejaht worden, wenn der seine (Adoptiv-) Eltern betreuende (Adpotiv-) Sohn zugleich für seine im Ausland lebende Frau und Familie zu sorgen hat (vgl. BVerfG vom 14.12.1989 NJW 1990, 895). Es erscheint auch keineswegs sicher, dass sich die in der Kommentarliteratur befürwortete Einschränkung des Härtefallbegriffs bei anderweitigen familiären Bindungen durchsetzen wird. Diese Auffassung schränkt das Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen in Bezug auf die Gewährung familiärer Hilfeleistungen ein und führt dazu, dass nur noch alleinstehende volljährige Kinder wegen der Betreuungsbedürftigkeit ihrer Eltern ins Bundesgebiet einreisen dürfen. Darin kann eine nach Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 6 Abs. 1 GG verbotene Diskriminierung verheirateter volljähriger Kinder gesehen werden. Da es sich jedenfalls um eine offene und höchstrichterlich nicht geklärte Rechtsfrage handelt, kann nicht allein unter Berufung auf eine Kommentarmeinung die Gewährung von Prozesskostenhilfe versagt werden. [...]