VG Stuttgart

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Zitieren als:
VG Stuttgart, Urteil vom 27.02.2009 - A 4 K 3569/08 - asyl.net: M15468
https://www.asyl.net/rsdb/M15468
Leitsatz:
Schlagwörter: Sri Lanka, LTTE, Tamilen, Zwangsrekrutierung, Verdacht der Mitgliedschaft, Terrorismusbekämpfungsgesetz, Ausreise, Bestechung, herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab, Verfolgungssicherheit
Normen: GG Art. 16a Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Die Anerkennung als Asylberechtigter gemäß Art. 16a Abs. 1 GG setzt eine politische Verfolgung des Klägers voraus. [...]

Das Gericht ist aufgrund des in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindrucks von der Person des Klägers zu der Überzeugung gelangt, dass dieser im Verfahren vor dem Bundesamt wie auch im Gericht im Verfahren im Wesentlichen wahrheitsgemäße Angaben zu seinen Ausreisegründen gemacht hat, wonach er zunächst zwangsweise von der LTTE mitgenommen und zu einer militärischen Ausbildung gezwungen worden ist und später nach der Explosion einer Bombe in Colombo von der Armee kurzzeitig festgenommen wurde. Der eigentliche Ausreisegrund war dann der Umstand, dass sein Onkel erschossen worden sei, weil man diesen für den Kläger gehalten hatte. Um für sich dieses Schicksal zu vermeiden, flüchtete der Kläger aus dem Land. Er war daher im Ausreisezeitpunkt unmittelbar von Verfolgung bedroht, weil er in konkreten LTTE-Verdacht geraten war. Dieser war deshalb besonders dringend, weil der Kläger kurz vor seinem Verschwinden aus dem Tamilengebiet nach Colombo von der LTTE entführt und von dieser zu einer militärischen Ausbildung gezwungen worden war. Hinzu kam, dass die Armee die Verwechslung entdeckt hatte und auch den Bruder des Klägers bedrängte. Letztlich keine Erklärung kann der Kläger dafür liefern, dass er mit seinem eigenen Pass unbeanstandet über den Flughafen Colombo das Land verlassen konnte. Soweit er mutmaßt, hierbei seien Bestechungsgelder des Agenten an Beamte geflossen, weiß er dies nicht sicher, die Erklärung ist aber angesichts der verbreiteten Korruption in Sri Lanka plausibel. Letztendlich hat er vielleicht einfach nur Glück gehabt.

Der Kläger ist damit unter unmittelbarer Verfolgungsgefahr ausgereist.

Eine Wiederholung der Verfolgung bei einer Rückkehr des Klägers nach Sri Lanka ist nicht ausgeschlossen: Das Auswärtige Amt führt im Lagebericht vom 06.10.2008 wie folgt aus: "Tamilen werden nicht allein aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit systematisch verfolgt, sind aber - durch ihre tamilische Sprache und die entsprechenden Einträge in Ausweiskarten für die Sicherheitskräfte leicht identifizierbar - in eine Art Generalverdacht der Sicherheitskräfte geraten. Die ständigen Razzien, PKW-Kontrollen und Verhaftungen bei Vorliegen geringster Verdachtsmomente richtet sich vor allem gegen Tamilen. Durch die Wiedereinführung des „Terrorism Prevention Act" Ende 2006 ist die richterliche Kontrolle solcher Verhaftungen kaum mehr gewährleistet. Wer verhaftet wird, muss mit längerer Inhaftierung rechnen, ohne dass es zu weiteren Verfahrensschritten oder gar einer Anklageerhebung kommen muss. (...) Gewaltverbrechen der Sicherheitskräfte werden nicht untersucht und von diesen begangene schwerste Menschenrechtsverletzungen einschließlich Folter und Mord nicht verfolgt...(IL, 1.)." Eine solche Gefahr droht auch dem Kläger aufgrund seiner Vorverfolgung und des Umstandes, dass er bereits mehrfach ins Visier der Sicherheitskräfte geraten ist.

Diese erheblichen Gefahren für Freiheit, körperliche Unversehrtheit und eventuell Leben, die an die unterstellte Unterstützung der LTTE anknüpfen, begründen gleichzeitig auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 1 Satz 1 und Satz 4a AufenthG. Somit ist dem Kläger gemäß § 3 Abs. 4 Abs. 1 AsylVfG auch die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. [...]