OVG Berlin-Brandenburg

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Zitieren als:
OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29.01.2009 - 2 B 11.08 - asyl.net: M15471
https://www.asyl.net/rsdb/M15471
Leitsatz:

Auch nach Einführung des § 27 Abs. 1 a Nr. 1 AufenthG trägt der ausländische Ehegatte die materielle Beweislast für den Willen, eine eheliche Lebensgemeinschaft herzustellen.

 

Schlagwörter: D (A), Familienzusammenführung, Ehegattennachzug, Visum, Aufenthaltserlaubnis, Scheinehe, Schutz von Ehe und Familie, Beweislast, Glaubwürdigkeit
Normen: AufenthG § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; GG Art. 6 Abs. 1; RL 2003/86/EG ARt. 16 Abs. 4; AufenthG § 27 Abs. 1; AufenthG § 27 Abs. 1a Nr. 1
Auszüge:

Auch nach Einführung des § 27 Abs. 1 a Nr. 1 AufenthG trägt der ausländische Ehegatte die materielle Beweislast für den Willen, eine eheliche Lebensgemeinschaft herzustellen.

(Leitsatz der Redaktion)

[...]

Die Berufung des Klägers ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Ablehnung des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in Form des Visums zum Ehegattennachzug ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung des begehrten Visums (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). [...]

2. [...] Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG ist die Aufenthaltserlaubnis dem ausländischen Ehegatten eines Deutschen zu erteilen, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Die Aufenthaltserlaubnis zur Herstellung und zur Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet für ausländische Familienangehörige (Familiennachzug) wird nach § 27 Abs. 1 AufenthG zum Schutz von Ehe und Familie gemäß Art. 6 GG erteilt. [...]

Für die sich aus Art. 6 Abs. 1 GG ergebenden aufenthaltsrechtlichen Folgen – in Gestalt der Regelungen der §§ 27 Abs. 1, 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG – ist geklärt, dass nicht allein die formal-rechtliche familiäre Bindung, also die Tatsache des Verheiratetseins genügt. Maßgeblich ist vielmehr der Schutzzweck des Art. 6 Abs. 1 GG, die Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft zu ermöglichen. Letztere setzt eine tatsächliche Verbundenheit zwischen den Eheleuten voraus (BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 1987 - 2 BvR 1226/83 u. a. -, BVerfGE 76, 1, 42 f., und Beschluss vom 8. Dezember 2005 - 2 BvR 1001/04 -, InfAuslR 2006, 122, 123 f.). Erforderlich für den Ehegattennachzug ist daher der Wille beider Ehegatten, eine eheliche Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet tatsächlich herzustellen und zu führen (OVG Bln-Bbg., Urteil vom 15. September 2005 - 7 B 6.05 -, OVGE 26, 164, 165). Die Ehe zwischen einem Deutschen und einem Ausländer hat daher in der Regel kein ein Aufenthaltsrecht auslösendes Gewicht, wenn sie nicht eine eheliche Lebensgemeinschaft begründet, sondern lediglich dem Ausländer zu einem ihm sonst verwehrten Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet helfen soll, mithin lediglich eine Zweckehe ("Scheinehe") vorliegt (BVerwG, Beschluss vom 22. Dezember 2004 - 1 B 111.04 -, Buchholz 402.240, § 23 AuslG Nr. 10). Dies gilt auch dann, wenn nur ein Ehegatte die eheliche Lebensgemeinschaft herstellen und wahren will (sog. einseitige Scheinehe; OVG Bln-Bbg., Beschluss vom 19. August 2005 - 12 N 29.05 -, Beschluss vom 18. Juli 2008 - 2 N 207.07 -). [...]

a) In Anwendung der dargestellten Maßgaben hat der Senat nach dem Gesamtergebnis der im Berufungsverfahren gewonnenen Erkenntnisse nicht die gemäß § 108 Abs. 1 VwGO notwendige Überzeugung für die Feststellung gewonnen, dass der Kläger und seine Ehefrau den Willen haben, eine eheliche Lebensgemeinschaft im Sinne von § 27 Abs. 1 AufenthG im Bundesgebiet herzustellen. [...]

Ein erster Anhaltspunkt dafür, dass ungeachtet der am 30. April 2004 in Pakistan erfolgten Eheschließung der Wille fehlt, eine schützenswerte eheliche Lebensgemeinschaft herzustellen, ergibt sich aus dem Umstand, dass die Ehegatten die Zeit vor der Ausreise des Klägers aus dem Bundesgebiet im Januar 2003, in welcher sie sich kennengelernt und eine Beziehung gebildet haben wollen, deutlich unterschiedlich darstellen. [...]

Erhebliche Zweifel am Herstellungswillen des Klägers ergeben sich weiter aus dem Umstand, dass er seine spätere Ehefrau während zweier Krankenhausaufenthalte im Jahr 2002, die sie aufgrund einer Wirbelsäulenoperation in Hamburg und an der Ostsee absolvieren musste, nicht besuchte. [...]

Vor diesem Hintergrund bietet ferner der Widerspruch, in dem die Ehe zu den vom Beklagten intensiv vorgetragenen und unbestritten gebliebenen pakistanischen Gewohnheiten steht, einen Anhaltspunkt für den fehlenden Herstellungswillen. Von Bedeutung ist insoweit zunächst der erhebliche Altersunterschied von 22 Jahren. Bereits im hiesigen Kulturkreis kann ein solcher Altersunterschied ein tragfähiger Anhaltspunkt dafür sein kann, dass nicht beide Ehegatten den Willen haben, eine eheliche Lebensgemeinschaft zu begründen (OVG Bln-Bbg, Beschluss vom 3. Mai 2007 - 2 N 89.07 -, EA S. 3 m. w. N.). Dies gilt umso mehr für den pakistanischen Kulturkreis, dessen Sitten und Gebräuchen sich der Kläger ansonsten, etwa bei der Schilderung der Hochzeitsfeierlichkeiten und -riten, sehr verbunden zeigt. [...]

b) Andererseits hat der Senat auch nicht die Überzeugung gewonnen, dass feststeht, dass die Ehe ausschließlich zu dem Zweck geschlossen wurde, dem Nachziehenden die Einreise in das und den Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen (§ 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG). Insoweit ist von Bedeutung, dass die Ehefrau des Klägers zwei Fernreisen nach Pakistan unternommen hat, um den Kläger zunächst 2004 zu heiraten und ihn Ende 2005 zu besuchen. Dem voraus ging die mehrere Jahre dauernde gemeinsame Tätigkeit im "C.", die eine persönliche Annäherung der späteren Eheleute jedenfalls möglich erscheinen lässt. Weiter können die umfänglich dokumentierten Ferngespräche der Ehefrau des Klägers mit ihm berücksichtigt werden, von denen nicht von vornherein auszuschließen ist, dass sie zur Aufrechterhaltung der persönlichen Kommunikation zwischen den Ehegatten genutzt wurden. Auch wenn einige der genannten Anhaltspunkte auch im Sinne eines möglicherweise nur einseitigen Herstellungswillen gedeutet werden könnten, steht die Zweckehe nicht fest.

Danach kommt es für die Frage des Vorliegens des Herstellungswillens auf die vorliegend zu berücksichtigende Verteilung der materiellen Beweislast an.

c) Hinsichtlich des Nachweises, ob der Wille beider Ehegatten besteht, eine eheliche Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet herzustellen und zu wahren, war bis zum Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes in der Rechtsprechung geklärt, dass in dem auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gerichteten Vornahmefall der Ausländer die materielle Beweislast für das Bestehen einer ehelichen Lebensgemeinschaft trägt (BVerwG, Beschluss vom 22. Dezember 2004 - 1 B 111.04 -,Rz 3; OVG Bln-Bbg., Urteil vom 15. September 2005 - 7 B 6.05 -, OVGE 26, 164, 166; Beschluss vom 7. August 2007 - 3 N 230.06 -, EA S. 2 f.; HessVGH Beschluss vom 16. Januar 2007 - 7 TG 2879/06 -,Rz 8). Für die materielle Beweislast gilt der allgemeine Rechtsgrundsatz, dass die Nichterweislichkeit von Tatsachen, aus denen eine Partei ihr günstige Rechtsfolgen herleitet, im Falle eines non liquet, mithin einer Situation, in der weder der Tatsachenvortrag der einen noch der anderen Partei bewiesen werden kann, zu ihren Lasten geht. Gelingt der Nachweis nicht, weil ernsthafte Anhaltspunkte auf das Nichtbestehen des Willens zum Führen einer ehelichen Lebensgemeinschaft hindeuten, führt dies zur Versagung der Aufenthaltserlaubnis. Das Bundesverfassungsgericht hat es nicht beanstandet, wenn Fachgerichte davon ausgehen, dass der Ausländer für seine Absicht, mit seinem Ehegatten eine eheliche Lebensgemeinschaft aufzunehmen, materiell beweisbelastet ist (BVerfG, Beschluss vom 5. Mai 2003 - 2 BvR 2042/02 -, DVBl. 2003, 1260). Dies hätte vorliegend zur Folge, dass die materielle Beweislast für den Herstellungswillen beim Kläger läge und – nachdem weitere Möglichkeiten zur weiterführenden Beweiserhebung durch das Gericht nicht ersichtlich sind – die Nichterweislichkeit zu seinen Lasten ginge. Damit wäre die Klage abzuweisen.

d) Es ist umstritten, ob diese zu §§ 27 Abs. 1, 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG entwickelten Grundsätze zur Überzeugungsbildung und zur Beweislast durch die mit dem Richtlinienumsetzungsgesetz im Jahr 2007 eingefügte Vorschrift des § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG hinfällig geworden sind. Der Senat hat dies bislang in einstweiligen Rechtsschutzverfahren im Ergebnis offen gelassen (Beschluss vom 16. Januar 2008 - 2 M 1.08 -, EA S. 4, Beschluss vom 6. November 2007 - 3 S 98.07 -, EA S. 4), gelangt indessen nunmehr nach Prüfung aller Umstände im Hauptsacheverfahren zu der Überzeugung, dass eine Veränderung des maßgeblichen Rechtszustandes nicht eingetreten ist.

aa) Ein Teil der Rechtsprechung und Literatur ist der Ansicht, dass die neu eingefügte Vorschrift des § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG die bisherige Rechtslage dahingehend verändert, dass die Beweislast für das Nichtvorliegen einer ehelichen Lebensgemeinschaft der Behörde auferlegt werde, da es nun "feststehen" müsse, dass es sich ausschließlich um eine Zweckehe handele (VG Berlin, Urteil vom 12. Dezember 2007 - 1 V 66.06 -, Urteil vom 30. Januar 2008 - 7 V 35.07 -; VG Sigmaringen, Beschluss vom 12. Januar 2008 - 6 K 2712/07 -; VG Lüneburg, Beschluss vom 7. August 2008 - 1 B 45/08 -, alle zitiert nach juris; Marx in GK-AufenthG, Stand Dezember 2008, § 27 Rz 139 ff, 192 ff.; Oestmann, InfAuslR 2008, 17, 21 f.; Göbel-Zimmermann, ZAR 2008, 169, 170).

Begründet wird dies im Wesentlichen wie folgt.

Aus dem Wortlaut des § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG, wonach "feststehen" muss, dass die Ehe ausschließlich zu dem Zweck geschlossen und begründet wurde, dem Nachziehenden die Einreise in das und den Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermögliche, folgten hohe Anforderungen an den Nachweis einer Zweckehe. Damit werde das notwendige Maß der Überzeugung dahingehend festgelegt, dass keine vernünftigen Zweifel daran bestehen dürften, dass es sich um eine Zweckehe handele.

Die Systematik des § 27 AufenthG lasse § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG als lex specialis gegenüber § 27 Abs. 1 AufenthG erscheinen. Die eingefügte Regelung ergänze die Normierung der tatbestandlichen Voraussetzungen für den Ehegattennachzug in § 27 Abs. 1 AufenthG um einen speziellen und damit vorrangigen Versagungsgrund. Für den Rückgriff auf § 27 Abs. 1 AufenthG bestehe danach hinsichtlich der Beurteilung einer Zweckehe kein Raum mehr. Die allgemeinen Beweislastregeln für besondere Ausschlussgründe (in Abgrenzung zu tatbestandlichen Voraussetzungen) nach dem Günstigkeitsprinzip hätten zur Folge, dass die Beweislast für die Zweckehe bei der Behörde liege.

Eine Betrachtung der Gesetzesmaterialien ergebe, dass der Gesetzgeber bewusst und in Kenntnis der Möglichkeit einer Beweislastumkehr die Formulierung "feststeht" so beschlossen habe. Insoweit wird auf eine entsprechende "Warnung" im Gesetzgebungsverfahren verwiesen (vgl. Dienelt, Sachverständigenanhörung des Innenausschusses vom 21. März 2007 - Innenausschuss A-Drucksache 16(4)209 H -, S. 2 f.: "Durch die Neuregelung wird – jedenfalls besteht eine entsprechende Gefahr – die Darlegungslast, die nach allgemeinen Grundsätzen beim Ausländer liegt, auf die Ausländerbehörde verlagert, da der Nachzug nicht zugelassen werden darf, wenn feststeht, dass eine Zweckehe vorliegt."). Weiter wird auf die Gesetzesentwurfsbegründung verwiesen, in der es nach einem Verweis auf Art. 16 Abs. 2 Buchstabe b Familienzusammenführungsrichtlinie heißt, dass ein Antrag auf Familiennachzug "nur" abgelehnt werden dürfe, wenn eine Zweckehe feststehe (BT-Drucksache 16/5065, S. 170 rechte Spalte a.E.).

Darüber hinaus wird auf einen möglichen Wertungswiderspruch zu der ebenfalls neu geschaffenen Regelung in § 27 Abs. 1a Nr. 2 AufenthG hinsichtlich von Zwangsverheiratungen hingewiesen, bei der der Gesetzgeber im Gegensatz zu der unter Nr. 1 getroffenen Regelung bereits "tatsächliche Anhaltspunkte" zur Verweigerung des Familiennachzugs genügen lasse, was damit begründet wird, dass "hier – anders als bei der Bekämpfung von Scheinehen – nicht nur ordnungspolitische Gesichtspunkte, sondern der Schutz elementarer Menschenrechte im Raum stehen" (vgl. BT-Drucksache 16/5065, S. 170).

bb) Dem entgegen hat sich die materielle Beweislast für die Anwendung des § 27 Abs. 1 AufenthG durch die Einfügung des Versagungsgrundes des § 27 Abs. 1a AufenthG nicht zu Lasten der Behörden verändert. Wird die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug begehrt, trifft den Ausländer auch weiterhin die materielle Beweislast für den nach wie vor zu prüfenden Herstellungswillen. Lässt sich dieser Wille nicht durch das Gericht feststellen, wozu es nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO der Überzeugung des Gerichts bedarf, ist die Verpflichtungsklage auch dann abzuweisen, wenn nicht feststeht, dass der Herstellungswille fehlt. Dies entspricht der überwiegend in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Ansicht (HessVGH, Beschluss vom 3. September 2008 - 11 B 1690/08 -,Rz 4; VG Berlin, Urteile vom 5. September 2007 - VG 9 V 10.07 -, Urteil vom 19. Dezember 2007 - VG 5 V 22.07 -, Urteil vom 25. Januar 2008 - 3 V 12.07 -, Urteil vom 13. Februar 2008 - 2 V 28.06 -, Urteil vom 15. April 2008 - 26 V 38.07 -, VG Darmstadt, Beschluss vom 28. März 2008 - 7 G 1447/07 -, jeweils nach juris; Hailbronner, AuslR, Stand Dezember 2008, § 27 Rz 59; Jobs, ZAR 2009, 295, 298; Breitkreutz/Franßen-de la Cerda/Hübner, ZAR 2008, 381, 382; s. auch Bundesministerium des Innern [Hg.], Hinweise zum Richtlinienumsetzungsgesetz, veröffentlicht unter www.bmi.bund.de, Stand 18.12.2007, Rz 178).

Dies ergibt eine Auslegung der Vorschrift des § 27 AufenthG unter Berücksichtigung ihres Wortlauts, der Systematik, des Sinns und Zwecks sowie der Entstehungsgeschichte.

Eine isolierte Betrachtung des Wortlauts ließe es zunächst sogar möglich erscheinen, dass mit dem § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG eine Verschärfung der Anforderungen an den Ehegattennachzug eingetreten ist. Dies wäre dann anzunehmen, wenn die Vorschrift den Willen zur Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft allein nicht mehr genügen lassen würde, sondern ausschließen wollte, dass dieser Herstellungswille – vornehmlich beim ausländischen Ehegatten – allein "zu dem Zweck" gebildet wurde, einen Aufenthaltstitel zu erlangen. Eine solche Aussage kann der eingefügten Vorschrift jedoch vor dem Hintergrund des Art. 6 Abs. 1 GG letztlich nicht entnommen werden. Sie widerspräche dem verfassungsrechtlich – auch durch Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG – gesicherten Recht der Eheleute, ihre innersten Motive zur Eheschließung nicht darlegen zu müssen, solange es sich um eine den in der Rechtsprechung entwickelten Kriterien entsprechende eheliche Lebensgemeinschaft – in Abgrenzung zur reinen Begegnungsgemeinschaft – handelt.

Umgekehrt zwingen allerdings weder die Auslegung des § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG nach seinem Wortlaut noch diejenige nach seiner systematischen Stellung zu der Annahme, die Behörde trage die materielle Beweislast für das Fehlen des Herstellungswillens oder für das Vorliegen einer Zweckehe. Nach § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG wird – wie erwähnt – ein Familiennachzug nicht zugelassen, wenn "feststeht", dass die Ehe ausschließlich zu dem Zweck geschlossen wurde, dem Nachziehenden die Einreise in das und den Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen. Dabei sagt das Wort "feststehen", dass eine Tatsache sicher, gewiss und unumstößlich sein muss (Duden, Deutsches Universalwörterbuch, 6. Auflage, S. 570). Damit begründet die Vorschrift zunächst einmal einen erhöhten Überzeugungsmaßstab. Gewinnt das Gericht diese hohe Sicherheit der Überzeugung nicht, kommt es hinsichtlich dieses Tatbestandsmerkmals nicht zu einer Beweislastfrage. Vielmehr ist der Tatbestand des Versagungsgrundes dann nicht erfüllt. Würde man demgegenüber die Möglichkeit eines non liquet auch für § 27 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG bejahen, so läge zwar insoweit die Beweislast bei der Behörde. Allerdings bieten auch dann Wortlaut und systematische Stellung des § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG keinen Anhalt dafür, dass damit der Tatbestand des § 27 Abs. 1 AufenthG – und dort insbesondere das Erfordernis der Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft – in der Weise betroffen ist, dass auch für diesen die Beweislast bei der Behörde liegt. Denn die eingefügte Vorschrift legt nicht nahe, dass sie eine abschließende Regelung für die Versagung des Familiennachzugs ist (anders als etwa eine Formulierung "... ein Familiennachzug wird nur dann nicht zugelassen, wenn ..."). Die grundlegende Voraussetzung für den Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug in § 27 Abs. 1 AufenthG, nämlich der Wille zur Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft, gilt vielmehr unverändert fort und wird nicht eingeschränkt.

Vor diesem Hintergrund spricht auch die Abstufung der Nachweiserfordernisse für die Zweck- und die Zwangsehe in § 27 Abs. 1a Nr. 1 und 2 AufenthG ("feststeht" und "tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme begründen") nicht für eine Beweislaständerung. Sie lässt die Fortgeltung des Tatbestandserfordernisses des Herstellungswillens unberührt und betrifft allein die daneben stehenden Versagungsgründe nach § 27 Abs. 1a AufenthG.

Eine historische Auslegung der eingefügten Vorschrift unter Berücksichtigung des gemeinschaftsrechtlichen Hintergrundes des Richtlinienumsetzungsgesetzes bestätigt dieses Ergebnis. Die Neufassung des Aufenthaltsgesetzes erfolgte zur Umsetzung der Familienzusammenführungsrichtlinie. Diese dient jedoch ebenfalls (wie § 27 Abs. 1 AufenthG) der Herstellung und Wahrung des Familienlebens auf der Grundlage tatsächlicher Bindungen zwischen den Ehepartnern. Dies ergibt sich sowohl aus der Definition des Ausdrucks "Familienzusammenführung" in Art. 2 Buchstabe d als auch aus den Erwägungsgründen 4 und 6 und aus den in Art. 16 getroffenen Regelungen. Danach können die Mitgliedsstaaten einen Antrag auf Einreise und Aufenthalt zum Zweck der Familienzusammenführung beispielsweise dann ablehnen, wenn zwischen dem Zusammenführenden und dem Familienangehörigen keine tatsächlichen ehelichen oder familiären Bindungen bestehen (Art. 16 Abs 1 Buchstabe b Familienzusammenführungsrechtlinie) oder ("auch") wenn feststeht, dass die Ehe oder Lebenspartnerschaft nur zu dem Zweck geschlossen wurde, um der betreffenden Person die Einreise in einen Mitgliedsstaat oder den Aufenthalt in einem Mitgliedsstaat zu ermöglichen (Art. 16 Abs. 2 Buchstabe b Familienzusammenführungsrichtlinie). Diesen Vorgaben ist § 27 Abs. 1, 1a Nr. 1 AufenthG schon seinem Wortlaut nach erkennbar nachgebildet (zum Ganzen: HessVGH, Beschluss vom 3. September 2008 - 11 B 1690/08 -,Rz 4; VG Darmstadt, Beschluss vom 28. März 2008 - 7 G 1447/07 -,Rz 13). Mithin eröffnet auch die – das Vorbild für die hier in Rede stehende Vorschrift bildende – Richtlinie die Möglichkeit, einen Familiennachzug in beiden Fällen (kein Herstellungswille, Feststehen einer Zweckehe) zu verweigern. Dass diese sich in den tatsächlichen Konstellationen von Zweckehen inhaltlich berühren, ist insoweit unschädlich.

Zum gleichen Ergebnis kommt die weitere historische Auslegung des § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG anhand der Gesetzesmaterialien. Nach der Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung vom 23. April 2007 solle ein Ausschlussgrund für den Familiennachzug ausdrücklich geregelt werden, um dem Missbrauch eines Aufenthaltsrechts entgegenzuwirken. Damit entfalle der Anreiz, Zweckehen zu schließen (BT-Drucksache 16/5065, S. 3, 170). In einer Antwort der Bundesregierung vom 25. Mai 2007 auf eine Kleine Anfrage wurde weiter ausgeführt (BT-Drucksache 17/5498, S. 4 f.), dass nach Ansicht der Bundesregierung die ausdrückliche Normierung eines Ausschlussgrundes einerseits das Unrechtsbewusstsein bei den Betroffenen schärfen und andererseits dazu führen werde, dass dieser Ausschlussgrund von den Rechtsanwendern noch sorgfältiger geprüft werde. Die Vorschrift habe damit auch Signalfunktion. Die Beweislast der Ausländerbehörden werde durch die Vorschrift weder erhöht noch verringert, da bereits nach geltender Rechtslage nicht die Ausländerbehörde, sondern der Antragsteller für seine Absicht, eine eheliche Lebensgemeinschaft aufzunehmen, materiell beweisbelastet sei. Dieses gesetzgeberische Ziel würde – so die Bundesregierung – ins Gegenteil verkehrt, wenn die Vorschrift die Beweislastverteilung zulasten der Ausländerbehörde ändern würde.

Mit Blick darauf, dass insbesondere die Gesetzesentwurfsbegründung (aber auch die Stellungnahme der Bundesregierung) zeitlich nach der "Warnung" des Sachverständigen in der Anhörung im Innenausschuss am 21. März 2007 abgegeben wurde, machte der Gesetzgeber mit der unveränderten Verabschiedung des Gesetzes deutlich, dass er eine Beweislastumkehr zu Gunsten des Ausländers gerade nicht beabsichtigte. Im Übrigen hätte eine solche Beweislastumkehr ein solches Gewicht, dass zu erwarten wäre, dass sie positiv in den Gesetzesmaterialien erwähnt und auch hervorgehoben worden wäre. Dies ist nicht geschehen.

Demgegenüber ist die Formulierung in der Gesetzesentwurfsbegründung, dass der Antrag auf Familiennachzug "nur" abgelehnt werden dürfe, wenn feststehe, dass eine Zweckehe vorliege BT-Drucksache 16/5065, S. 170), die den Inhalt von Art. 16 Abs. 2 Buchstabe b der Familienzusammenführungsrichtlinie wiedergeben will, ersichtlich eine ungenaue Darstellung der gemeinschaftsrechtlichen Vorgabe, welche diese Einschränkung eben nicht enthält. Die Formulierung findet auch sonst in den Motiven keine Wiederholung.

Die Begründung des Gesetzesentwurfs wie die Stellungnahme der Bundesregierung lassen den Sinn und Zweck der eingefügten Vorschrift des § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG noch einmal in den Vordergrund treten. Die Vorschrift soll den auch angesichts der überkommenen Rechtsprechung zum Herstellungswillen noch verbliebenen Anreiz zur Eingehung einer Zweckehe entfallen lassen und damit den Missbrauch eines Aufenthaltsrechts weiter eindämmen. Eine Auslegung der Vorschrift, die die Prüfung des Herstellungswillens nach § 27 Abs. 1 AufenthG verdrängt und so zu einer isolierten Prüfung des § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG und in der Sache zu einer Verlagerung der Beweislast auf die Behörde führt, setzt sich in Widerspruch zu diesem zentralen Gesetzeszweck.

Schließlich spricht für das Ergebnis eines Fortbestehens der materiellen Beweisbelastung des Nachziehenden auch der Gedanke einer Beweislastverteilung nach Einflussbereichen, Verantwortungssphären und nach der Beweisnähe (vgl. beispielhaft BVerfG, Beschluss vom 30. April 2008 - 2 BvR 482/07 -,Rz 19; zusammenfassend Höfling/Rixen in Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2006, § 108 Rz 129 ff., 134, 138). Danach sind Tatsachen von demjenigen nachzuweisen, in dessen Sphäre sie fallen. Liegen Anhaltspunkte für eine Zweckehe vor, bedarf es Feststellungen, welche in der Regel in der unmittelbaren Verantwortungssphäre der Ehegatten liegen. Sie betreffen das Kennenlernen, den Entschluss zur Eheschließung und die gemeinsame Lebensplanung. Die Beweisnähe der Ehegatten spricht dafür, ihnen für die ihrer Lebenssphäre zuzuordnenden Umstände die Darlegungs- und Beweislast aufzuerlegen. Auch wenn der Sphärengedanke im Fall des Ehegattennachzugs in einem Spannungsverhältnis zu Art. 6 Abs. 1 GG steht, kann er jedenfalls dann berücksichtigt werden, wenn objektive Anhaltspunkte für eine (einseitige) Zweckehe vorliegen.

Daher liegt die materielle Beweislast für den als Erteilungsvoraussetzung nach wie vor erforderlichen Herstellungswillen beim ausländischen Ehegatten. Weil vorliegend der Herstellungswille durch das Gericht nicht festgestellt werden kann, ergibt die Beweislastentscheidung zu Lasten des Klägers, dass die Voraussetzungen des § 27 Abs. 1 AufenthG für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht vorliegen. [...]