[...]
Die Berufung des Beklagten ist begründet.
Die Klage der – im vorliegenden Verfahren verbliebenen – Kläger zu 1) und 2) sowie zu 5) und 6) ist abzuweisen. [...] Sie haben auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen. [...]
1. Die Ausweisung der Kläger zu 1) und 2) sowie zu 5) und 6) ist rechtlich nicht zu beanstanden. Der Beklagte stützt seine Bescheide auf § 45 Abs. 1 i. V. m. § 46 Nr. 2 AuslG. Diese Entscheidungen entfalten auch nach Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes am 1. Januar 2005 weiterhin Wirkung (vgl. BVerwG, Urt. v. 4.9.2007 - 1 C 21.07 -, NVwZ 2008, 82). Gemäß § 102 Abs. 1 Satz 1 AufenthG bleibt eine vor dem 1. Januar 2005 erlassene Ausweisung wirksam. Dem steht nicht entgegen, dass nach der neuen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 15.11.2007 - 1 C 45.06 -, NVwZ 2008, 434) seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl. I S. 1970) – Richtlinienumsetzungsgesetz – am 28. August 2007 für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung bei allen Ausländern einheitlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts maßgeblich ist. Es liegen keine nach Ausweisung der Kläger zu 1) und 2) sowie zu 5) und 6) entstandene Umstände oder neue Tatsachen vor, die zu einer Rechtswidrigkeit der Ausweisungsentscheidung des Beklagten führen könnten. Auch hat sich die Rechtslage nicht entscheidungserheblich geändert. Die hier ausgesprochene Ermessensausweisung nach § 45 Abs. 1 i.V.m. § 46 Nr. 2 1. Alt. AuslG entspricht der Regelung in § 55 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 Nr. 2 1. Alt. AufenthG.
Bei den Klägern zu 1) und 2) sowie zu 5) und 6) liegt ein Ausweisungsgrund vor. Nach § 55 Abs. 1 AufenthG (= § 45 Abs. 1 AuslG) kann ein Ausländer ausgewiesen werden, wenn sein Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigen. Nach § 55 Abs. 2 Nr. 2 1. Alt. AufenthG (= § 46 Nr. 2 1. Alt AuslG) kann insbesondere ausgewiesen werden, wer einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen hat. Die Kläger zu 1) und 2) haben gegen die Strafvorschrift des am 1. Januar 1991 in Kraft getretenen § 92 Abs. 1 Nr. 7 AuslG a. F. bzw. des mit Wirkung vom 1. Dezember 1994 durch das Gesetz vom 28. Oktober 1994 (BGBl. I S. 3186) neu gefassten § 92 Abs. 2 Nr. 2 1. Alt AuslG verstoßen. Nach den beiden im Wesentlichen inhaltsgleichen Vorschriften – ebenso § 95 Abs. 2 Nr. 2 1. Alt. AufenthG – wird bestraft, wer unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder benutzt, um für sich oder einen anderen eine Aufenthaltsgenehmigung oder Duldung zu beschaffen. Die Kläger zu 1) und 2) haben unrichtige bzw. unvollständige Angaben hinsichtlich ihrer Identität und Staatsangehörigkeit gemacht. Der Kläger zu 1) hat verschwiegen, dass er bis zu der am 27. März 2003 erfolgten Ausbürgerung türkischer Staatsangehöriger gewesen ist. Die Klägerin zu 2) hat ebenfalls ihre türkische Staatsangehörigkeit verschwiegen. [...]
Nach dem in der Türkei geltenden Abstammungsprinzip (vgl. Art. 1 tStAG) sind auch die Kläger zu 5) und 6) türkische Staatsangehörige. Die Entlassung des Klägers zu 1) aus der türkischen Staatsangehörigkeit führt nicht zum Verlust der türkischen Staatsangehörigkeit seiner Kinder (vgl. Art. 32 und 34 tStAG).
Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich, dass die Kläger zu 1) und 2) soweit sie angegeben haben, ihre Staatsangehörigkeit sei ungeklärt, unrichtige bzw. unvollständige Angaben gemacht haben. Aufgrund dessen hat der Beklagte den Klägern zu 1) und 2) im Anschluss an die am 2. November 1990 erteilte Aufenthaltserlaubnis nach Inkrafttreten des Ausländergesetzes am 1. Januar 1991 fortlaufend eine Aufenthaltsbefugnis erteilt bzw. verlängert. Anhaltspunkte dafür, dass die Kläger zu 1) und 2) mit einer zweifelsfrei feststehenden türkischen Staatsangehörigkeit ebenfalls in den Genuss der Bleiberechtsregelung des Niedersächsischen Innenministeriums (Nds. MI) vom 18. Oktober 1990 (52.31-12231/111; nicht veröffentlicht) gekommen wären, lassen sich den Verwaltungsvorgängen des Beklagten nicht entnehmen. Eine allgemeine Verwaltungspraxis, wonach auch aus dem Libanon eingereisten Kurden mit türkischer Staatsangehörigkeit ein Bleiberecht einzuräumen sei, lässt sich ebenfalls nicht feststellen (vgl. Urt. d. Sen. v. 2.10.2007 - 11 LB 69/07 -, DVBl. 2008, 57; Urt. d. Sen. v. 20.5.2003 - 11 LB 35/03 -, juris). Wäre also damals bekannt gewesen, dass die Kläger zu 1) und 2) türkische Staatsangehörige sind, wäre ihnen keine Aufenthaltserlaubnis bzw. Aufenthaltsbefugnis erteilt und verlängert worden. Dazu verweist der Senat ergänzend auf seine Ausführungen in den in Parallelverfahren ergangenen Urteilen vom 2. Oktober 2007 - 11 LB 69/07 (a.a.O.), 11 LB 130/07 und 11 LB 131/07 -, auf die die Kläger des vorliegenden Verfahrens hingewiesen worden sind.
Die im Bundesgebiet geborenen Kläger zu 5) und 6), die zum Zeitpunkt der letzten aktenkundigen Verlängerung der Aufenthaltsbefugnisse ihrer Eltern am 1. März 2000 noch minderjährig waren, haben zwar nicht in eigener Person unrichtige bzw. unvollständige Angaben zu ihrer Identität und Staatsangehörigkeit gemacht. Sie müssen sich aber das Fehlverhalten ihrer Eltern zurechnen lassen. Die Zurechenbarkeit folgt zum einen aus familienrechtlichen Regelungen. Denn den Eltern steht im Rahmen der elterlichen Sorge nach § 1626 BGB auch das Aufenthaltsbestimmungsrecht für ihre Kinder zu. Außerdem teilen minderjährige Kinder ausländerrechtlich das Verhalten ihrer Eltern (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 2.7.2008 - 2 ME 302/08 -, juris; OVG NRW, Beschl. v. 18.12.2006 - 18 A 2644/06 -, AuAS 2007, 87; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 10.5.2006 - 11 S 2354/05 -, VBlBW 2006, 438; Burr, in: GK-AufenthG, § 25 Rdnr. 155). Allerdings ist im Rahmen des Ermessens und auch bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK zu berücksichtigen, ob möglicherweise die schutzwürdigen Belange minderjähriger Kinder dem öffentlichen Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung vorgehen (vgl. BVerwG, Urt. v. 9.9.2003 - 1 C 6.03 -, BVerwGE 119, 17; OVG NRW, Beschl. v. 18.12.2006, a.a.O.; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 10.5.2006, a.a.O.).
Die Kläger zu 1) und 2) haben die Straftatbestände des § 92 Abs. 1 Nr. 7 AuslG a.F. bzw. § 92 Abs. 2 Nr. 2 1. Alt. AuslG vorsätzlich verwirklicht. [...]
Der Senat folgt nicht der Einschätzung des Verwaltungsgerichts in dem angegriffenen Urteil, die Kläger zu 1) und zu 2) hätten sich angesichts ihres Bildungsstandes und ihrer früheren Lebensumstände als registrierte Kurden im Libanon bis zur Bekanntgabe der Ermittlungsergebnisse des Beklagten keine Vorstellung davon gemacht, dass sie möglicherweise durch Abstammung eine türkische Staatsangehörigkeit erworben haben könnten. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, es liege nahe anzunehmen, dass bereits die verstorbenen Eltern der Kläger zu 1) und zu 2) nach ihrer Auswanderung aus der Türkei und einer Niederlassung im Libanon davon ausgegangen seien, in rechtlicher Hinsicht nicht mehr Türken zu sein, überzeugt nicht. [...]
Selbst wenn den Klägern zu 1) und 2) – auch nicht im Sinn einer sogenannten Parallelwertung in der Laiensphäre – nicht bekannt gewesen sein sollte, dass sie als Kinder türkischstämmiger Eltern ebenfalls die türkische Staatsangehörigkeit besitzen, müssen sie sich jedenfalls entgegenhalten lassen, dass sie gegenüber der Ausländerbehörde nicht rechtzeitig von sich aus auf die türkische Herkunft ihrer Eltern hingewiesen haben. Ihre Behauptung im Berufungsverfahren, sie hätten auch in der Vergangenheit deutlich gemacht, dass ihre Vorfahren in der Türkei ansässig gewesen seien, trifft ausweislich der Verwaltungsvorgänge in dieser Form nicht zu. Vielmehr geht daraus hervor, dass die Klägerin zu 2) erst am 19. März 2001 bei einer Vorsprache im Ausländeramt des Beklagten eingeräumt hat, dass ihre Familie ursprünglich aus der Gegend Mardin (Türkei) stammt.
In diesem Zusammenhang ist ergänzend auf Folgendes hinzuweisen: Nach den Erkenntnissen des Senats aus zahlreichen Parallelverfahren (vgl. etwa Beschlüsse v. 13. 3. 2008 - 11 ME 481/07 - u. v. 12. 6. 2007 - 11 LA 109/07 -; Urt. v. 2. 10. 2007, a.a.O., u. v. 20. 5. 2003, a.a.O.) reisten vornehmlich im Zeitraum von 1985 bis 1990 viele aus dem Gebiet von Ückavak stammende Großfamilien arabisch-kurdischer Volkszugehörigkeit, die sich zwischenzeitlich im Libanon niedergelassen hatten, in das Bundesgebiet ein, um mit der Behauptung, staatenlose Kurden aus dem Libanon zu sein, ein Aufenthaltsrecht zu erlangen. Eine (zwangsweise) Rückkehr in den Libanon war damals nicht möglich, weil die dortigen Behörden die Ausstellung von Heimreisedokumenten mit der Begründung verweigerten, dass die Betroffenen keine libanesischen Staatsangehörigen seien. Ein Großteil dieses Personenkreises stellte in Deutschland Asylanträge, die aber fast ausnahmslos abgelehnt wurden. Aufgrund eines seinerzeit bestehenden Abschiebestopps wurde der Aufenthalt zunächst geduldet, bis dann gemäß der Bleiberechtsregelung vom 18. Oktober 1990 Aufenthaltserlaubnisse erteilt wurden, die später als Aufenthaltsbefugnisse fortgalten. Erst Ende der 90er Jahre erhielten die zuständigen Ausländerbehörden Hinweise, dass es sich überwiegend nicht um staatenlose Kurden, sondern um solche mit türkischer Staatsangehörigkeit handelt. Diese Umstände deuten auf eine geplante Aktion der genannten Personengruppe mit dem Ziel hin, durch Verschweigen der türkischen Herkunft in Deutschland dauerhaft zu bleiben. [...]
Im Rahmen des ihm eröffneten Ermessens hat der Beklagte auch alle für und gegen eine Ausweisung der Kläger zu 1) und 2) sowie zu 5) und 6) sprechenden Gesichtspunkte fehlerfrei abgewogen und zu Recht dem öffentlichen Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung den Vorrang eingeräumt.
Eine Beendigung des Aufenthalts ist auch im Hinblick auf die Bestimmung des Art. 8 EMRK verhältnismäßig. Es ist bereits fraglich, ob der Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK hier eröffnet ist. Denn das dort – ebenso wie in Art. 2 und 6 Abs. 1 und 2 GG – geschützte Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens könnte möglicherweise einen rechtmäßigen Aufenthalt voraussetzen (Nds. OVG, Beschl. v. 7.7. 2008 - 8 ME 42/08 -, juris; Hess. VGH, Beschl. v. 15.2.2006 - 7 TG 106/06 -, InfAuslR 2006, 217; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 18.1.2006 - 13 S 2220/05 -, VBlBW 2006, 200; Storr, in: Storr/Wenger/Eberle/Albrecht/Harms, a.a.O., § 25 AufenthG Rdnr. 31; a.A. etwa: VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 16.7.2008 - 11 S 1534/08 -, AuAS 2008, 242). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat diese Frage bisher nicht endgültig geklärt, sondern offen gelassen (vgl. beispielsweise im Urt. v. 8.4.2008 - Nr. 21878/06 -, Rs Nnyanzi). Auch der erkennende Senat muss dazu aus Anlass des vorliegenden Verfahrens nicht abschließend Stellung nehmen. Allerdings stellt die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts einen Abwägungsgesichtspunkt im Rahmen der (späteren) Schrankenprüfung dar. Selbst bei Annahme, dass die sozialen Bindungen der Kläger zu 1) und 2) sowie zu 5) und 6) wegen ihres langjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet unabhängig von dessen Rechtmäßigkeit in den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK fallen, ist der Eingriff jedenfalls nach Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt.
Die Beendigung des Aufenthalts der Kläger zu 1) und 2) sowie zu 5) und 6) ist nach Würdigung der aktuellen Tatsachengrundlage im Zeitpunkt der Berufungsverhandlung nicht unverhältnismäßig. [...]
Im Rahmen der Ermittlung der privaten Belange ist in Rechnung zu stellen, inwieweit der Ausländer unter Berücksichtigung seines Alters in die hiesigen Lebensverhältnisse integriert ist. Als Gesichtspunkte für das Vorhandensein von anerkennenswerten Bindungen können von Bedeutung sein Integrationsleistungen in persönlicher, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Hinsicht, die Beachtung gesetzlicher Pflichten und Verbote, die Art und Schwere einer vom Ausländer begangenen Straftat, die familiäre Situation, der bisherige Aufenthaltsstatus, Grund und Dauer des Aufenthalts sowie Kenntnisse der deutschen Sprache. Diese Umstände sind in Beziehung zu setzen zu den (noch vorhandenen) Bindungen an den Heimatstaat. Hierzu gehört die Prüfung, inwieweit der Ausländer unter Berücksichtigung seines Alters, seiner persönlichen Befähigung, seiner Vertrautheit mit den Verhältnissen im Land seiner Staatsangehörigkeit bzw. Herkunft und seiner dortigen familiären Anbindung entwurzelt ist (vgl. zum Vorstehenden: EGMR, Urt. v. 6.12.2007 - 69735/01 -, InfAuslR 2008, 111; Eckertz-Höfer, Neuere Entwicklungen in Gesetzgebung und Rechtsprechung zum Schutz des Privatlebens, ZAR 2008, 41, 93 ff. m.w. N. aus d. Rspr. d. EGMR; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 25.10.2007 - 11 S 2091/07 -, ZAR 2008, 68; Nds. OVG, Urt. v. 2.10.2007 - 11 LB 69/07 -; OVG NRW, Beschl. v. 8.12.2006, a.a.O.). [...]
Obwohl der 1955 oder 1957 geborene Kläger zu 1) seit September 1986 und damit seit über 22 Jahren in Deutschland lebt, ist es ihm nicht hinreichend gelungen, sich in wirtschaftlicher, sozialer und rechtlicher Hinsicht zu integrieren. Er hat während seines Aufenthalts – ebenso wie seine Ehefrau und die minderjährigen Kinder – nahezu fortlaufend öffentliche Sozialleistungen (derzeit Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz) bezogen. [...]
Außerdem muss sich der Kläger zu 1) vorhalten lassen, dass trotz seines langjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet seine deutschen Sprachkenntnisse – was sein Prozessbevollmächtigter eingeräumt hat – nicht besonders gut sind. Der Senat hat aufgrund der von ihm an den Kläger zu 1) in beiden mündlichen Verhandlungen gestellten Fragen und dessen Antworten den Eindruck, dass eine hinreichende Verständigung mit deutschen Behörden oder Gerichten ohne Dolmetscher schwierig ist. So musste der Sohn Omar mehrfach als Sprachmittler für seinen Vater einspringen. Dagegen kann der Klägerin zu 2) nicht angelastet werden, dass sie keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen ist bzw. sich nicht um die Aufnahme einer Arbeit bemüht hat; denn es ist nachvollziehbar, dass sie vollauf mit der Erziehung und Betreuung ihrer minderjährigen Kinder beschäftigt war und ist. Sie muss sich aber vorhalten lassen, dass bei ihr allenfalls rudimentär deutsche Sprachkenntnisse vorhanden sind. [...]
Darüber hinaus fehlt es an einer rechtlichen Integration der Kläger zu 1) und 2). Sie haben nicht ihre türkische, sondern später auch ihre seit 1994 bestehende libanesische Staatsangehörigkeit verschwiegen. Der Beklagte hatte ihre Reiseausweise für Staatenlose am 14. Februar 2000 bis zum 11. März 2002 verlängert, da sie damals angegeben hatten, staatenlos zu sein. Es spricht aber Vieles dafür, dass sie über die Tatsache des Erwerbs der libanesischen Staatsangehörigkeit bereits seit Längerem Bescheid wussten, wahrscheinlich seit 1996 (vgl. dazu die Feststellungen des Verwaltungsgerichts auf S. 15 d. UA). [...]
Zwar ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass Ausweisungsgründe in Anwendung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes einem Ausländer nur dann und so lange entgegengehalten werden dürfen, als sie noch "aktuell" und nicht "verbraucht" sind bzw. die Ausländerbehörde auf ihre Geltendmachung nicht ausdrücklich oder konkludent "verzichtet" hat (vgl. BVerwG. Urt. v. 15.3.2005 - 1 C 26.03 -, juris). Voraussetzung ist jedoch, dass die Ausländerbehörde in voller Kenntnis vom Vorliegen der Voraussetzungen für eine Ausweisung den weiteren Aufenthalt im Wege der vorbehaltlosen Erteilung bzw. Verlängerung eines Aufenthaltstitels ermöglicht (vgl. OVG NRW, Beschl. v. 13.11.2007 - 17 E 1415/06 -, juris) und der betreffende Ausländer darauf vertrauen konnte, dass die Ausländerbehörde die Ausweisungsbefugnis nicht mehr ausübt (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 15.9.2007 - 11 S 837/06 -, InfAuslR 2008, 24). Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor. [...]
Dass den Klägern zu 1) bis 2) ein Leben im Libanon nicht zugemutet werden könnte, ist nicht feststellbar. [...]
Die Kläger zu 1) und 2) haben ferner die Möglichkeit, in die Türkei, das Heimatland ihrer Familie, auszureisen. [...]
Dagegen ist die Situation der Klägerinnen zu 5) und 6), die 14 und 16 Jahre alt sind, dadurch gekennzeichnet, dass sie im Bundesgebiet geboren und aufgewachsen sind. Außerdem sind sie schulisch und sozial in die hiesigen Lebensverhältnisse eingebunden. Sie besuchen mit Erfolg die Schule und möchten den erweiterten Hauptschulabschluss erwerben. Sie nehmen aktiv am schulischen Leben teil und haben deutsche Freunde. Im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung ist aber nicht nur die Integration von minderjährigen Kindern isoliert in den Blick zu nehmen, sondern es kommt auch der Frage Bedeutung zu, in welchem Umfang ihre Eltern in den bundesdeutschen Lebensverhältnissen verwurzelt sind (vgl. etwa Nds. OVG, Beschl. v. 17. 11. 2006 - 10 ME 222/06 -, AuAS 2007, 28; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 10.5.2006 - 11 S 2354/05 -, VBlBW 2006, 438; Burr, in: GK-AufenthG, § 25 Rdnr. 161). Bei dieser familienbezogenen Betrachtung sind auch solche Gesichtspunkte berücksichtigungsfähig, welche (etwa im Hinblick auf die unterbliebene Ausreise aus dem Bundesgebiet, die mangelnde wirtschaftliche oder soziale Integration, die Beachtung der bundesdeutschen Rechtsordnung usw.) auf das Verhalten der Eltern zurückzuführen sind. Darüber hinaus sind bei der beabsichtigten Rückführung minderjähriger Kinder die möglichen Unterstützungsleistungen der Eltern sowie deren Verbindungen im Heimatland in Rechnung zu stellen (vgl. Burr, a.a.O., § 25 Rdnr. 162; Hess. VGH, Beschl. v. 15.2.2006 - 7 TG 106/06 -, InfAuslR 2006, 217). Ferner würde ein allein aus der Integration von minderjährigen Kindern hergeleitetes Aufenthaltsrecht dazu führen, dass den Eltern ohne nähere Prüfung ihrer Integration unter Bezugnahme auf Art. 6 GG, Art. 8 EMRK in der Regel zumindest Abschiebungsschutz zu gewähren wäre, was einwanderungspolitische Belange der Bundesrepublik Deutschland in ganz erheblichem Maße berühren und zu einer einseitigen Gewichtung der privaten Belange der betroffenen Ausländer führen würde (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 10.5.2006, a.a.O.). Schließlich spricht auch die Tatsache, dass minderjährige Kinder ihren Lebensunterhalt regelmäßig nicht allein sichern können, sondern hierfür auf die Unterstützung ihrer Familie angewiesen sind, dafür, deren wirtschaftliche Integration mit einzubeziehen.
Im Rahmen der danach erforderlichen familienbezogenen Gesamtabwägung kann deshalb nicht außer acht gelassen werden, dass die Kläger zu 1) und 2) in weit geringerem Maße in der Bundesrepublik Deutschland verwurzelt sind als die minderjährigen Klägerinnen zu 5) und 6). Auch wenn diese sozial und schulisch integriert sind, reicht dies – wie oben ausgeführt – allein nicht aus, die unzureichende Integration ihrer Eltern zu kompensieren. Etwas anderes könnte sich möglicherweise dann ergeben, wenn den Klägern zu 5) und 6) ein Leben im Land ihrer Staatsangehörigkeit nicht zumutbar wäre (vgl. zu einem derartigen Fall: VG Frankfurt, Urt. v. 10.3.2008 - 1 E 831/07 -). Dies lässt sich hier aber nicht feststellen.
Die Klägerinnen zu 5) und 6) wären im Libanon nicht auf sich allein gestellt, da sie im Familienverband mit ihren Eltern zurückkehren würden. [...]
2. Den Klägern zu 1) und 2) sowie zu 5) und 6) steht kein Anspruch auf Verlängerung oder Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen zu, wie sie sich aus Abschnitt 5 des Kapitels 2 des Aufenthaltsgesetzes ergibt. [...]
a) Ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104 a Abs. 1 AufenthG scheitert bereits an der Sperrwirkung des § 11 Abs. 1 Sätze 1 und 2 AufenthG. Danach wird einem Ausländer, der ausgewiesen ist, auch bei Vorliegen der Voraussetzungen eines Anspruchs nach dem Aufenthaltsgesetz kein Aufenthaltstitel erteilt. Widerspruch und Klage lassen unbeschadet ihrer aufschiebenden Wirkung die Wirksamkeit der Ausweisung und eines sonstigen Verwaltungsgerichts, der die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beendet, unberührt (§ 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG). Die Sperrwirkung der Ausweisung greift nach ganz überwiegender Meinung unabhängig davon ein, ob die Ausweisungsverfügung sofort vollziehbar oder bestandskräftig ist (vgl. Senatsbeschl. v. 20.2.2007 - 11 ME 386/06 -, NVwZ-RR 2007, 417; Beschl. d. 13. Sen. d. Nds. OVG v. 12.3.2007 - 13 LA 309/06 -, InfAuslR 2007, 281; OVG NRW, Beschl. v. 18.7.2007 - 18 B 1324/06 -, juris; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 14.2.2007 - 13 S 2969/06 -, VBlBW 2008, 28; Renner, AuslR, 8. Aufl., § 11 AufenthG Rdnr. 4; Hailbronner, AuslR, § 11 AufenthG Rdnr. 9; a. A. etwa OVG Schl.-H., Beschl. v. 9.2.1993 - 4 M 146/92 -, InfAuslR 1993, 128). Dies bedeutet, dass auch ein erfolgreicher Eilantrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO – wie hier – die gesetzlichen Folgen des § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG nicht zu beseitigen vermag. Anders als in den Fällen des § 25 Abs. 5 und des § 37 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG ist für § 104 a AufenthG auch keine Ausnahme von der Sperrwirkung des § 11 Abs. 1 Sätze 1 und 2 AufenthG vorgesehen. Im Übrigen geht aus den Ausführungen des Senats unter 1. hervor, dass die gegen die Kläger zu 1) und 2) sowie zu 5) und 6) ausgesprochene Ausweisung rechtmäßig ist.
Aber selbst wenn man entgegen den vorstehenden Ausführungen der Auffassung wäre, dass (lediglich) eine unanfechtbare Ausweisung die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104 a AufenthG ausschließe (so ohne nähere Begründung Albrecht, in: Storr/Wenger/Eberle/Albrecht/Harms, AufenthG, 2. Aufl., § 104 a Rdnr. 2), kommt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104 a Abs. 1 AufenthG nicht in Betracht.
Die Regelung des § 104 a AufenthG soll Ausländer begünstigen, die sozial und wirtschaftlich im Bundesgebiet integriert sind und sich rechtstreu verhalten haben (vgl. Gesetzesbegründung in BT-Drs. 16/5065, S. 201 f.; Hailbronner, a.a.O., § 104 AufenthG Rdnr. 1). Der Senat hat bereits bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs nach Art. 8 Abs. 2 EMRK im Einzelnen dargelegt, dass es den Klägern zu 1) und 2) trotz ihres langen Aufenthalts in Deutschland nicht gelungen ist, sich in wirtschaftlicher, sozialer und rechtlicher Hinsicht zu integrieren. Insbesondere steht ihrem Begehren die Vorschrift des § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG entgegen. Danach ist es erforderlich, dass die Ausländerbehörde nicht vorsätzlich über aufenthaltsrechtlich relevante Umstände getäuscht oder behördliche Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung nicht vorsätzlich hinausgezögert oder behindert haben. Wie unter 1. ausgeführt, haben die Kläger zu 1) und 2) wissentlich über ihre Identität und Staatsangehörigkeit getäuscht und dadurch Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung hinausgezögert bzw. verhindert. Die Klägerinnen zu 5) und 6) müssen sich diesen Ausschlussgrund als minderjährige Kinder auch im Rahmen des § 104 a Abs. 1 AufenthG zurechnen lassen (vgl. etwa Huber/Göbel-Zimmermann, Ausländer- und Asylrecht, 2. Aufl., S. 225).
Darüber hinaus hat jedenfalls die Klägerin zu 2) hinreichende mündliche Deutschkenntnisse im Sinne des § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG bis zum maßgeblichen Stichtag des 1. Juli 2008 (vgl. Huber/Göbel-Zimmermann, a.a.O., S. 228) nicht nachgewiesen. Auch beim Kläger zu 1) bestehen insoweit Zweifel.
Des Weiteren steht der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 104 a Abs. 1 AufenthG an die Kläger zu 1) und 2) entgegen, dass diese voraussichtlich auch künftig auf die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel zur Sicherung des Lebensunterhalts angewiesen sind. [...]
Die Klägerinnen zu 5) und 6) können einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auch nicht auf § 104 b AufenthG stützen. Zwar ermöglicht diese Vorschrift unter Durchbrechung des Grundsatzes, dass minderjährige Kinder das aufenthaltsrechtliche Schicksal ihrer Eltern teilen, integrierten Kindern im Alter zwischen 14 und 17 Jahren eine humanitäre Aufenthaltserlaubnis unabhängig von dem fehlenden Aufenthaltsrecht des bzw. der Sorgeberechtigten zu erteilen, doch setzt das zunächst die Ausreise der Eltern oder des allein sorgeberechtigten Elternteils voraus (vgl. Albrecht, a.a.O., § 104 b AufenthG Rdnr. 2 u. 4). Dies würde deshalb zu einer Trennung der betreffenden minderjährigen Kinder von ihren Eltern führen (vgl. Albrecht, a.a.O., § 104 b AufenthG Rdnr. 2 und § 104 a AufenthG Rdnr. 27). Es ist nichts dafür erkennbar, dass die Kläger zu 1) und 2) dazu bereit sein könnten. Im Übrigen müsste für die Klägerinnen zu 5) und 6) die Personensorge sichergestellt sein (§ 104 b Nr. 5 AufenthG). [...]
b) Die Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG scheidet ebenfalls aus. Voraussetzung für die Anwendung dieser Vorschrift ist das Vorliegen einer außergewöhnlichen Härte aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls. Die in der bisherigen Rechtsprechung zur Vorgängerbestimmung des § 30 Abs. 2 AuslG 1990 aufgestellten hohen Anforderungen gelten auch im Rahmen des § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG (BVerwG, Beschl. v. 8.2.2007 - 1 B 69.06 u.a. -, NVwZ 2007, 844). Der Ausländer muss sich deshalb in einer exzeptionellen Ausnahmesituation befinden, aufgrund derer ihn die Aufenthaltsbeendigung wesentlich härter treffen würde als andere Ausländer in vergleichbarer Lage (vgl. etwa Hailbronner, a.a.O., § 25 AufenthG Rdnr. 92; Burr, a.a.O., § 25 AufenthG Rdnr. 92 ff.; Huber/Göbel-Zimmermann, a.a.O., S. 199; Maaßen, a.a.O., S. 288). Die Aufenthaltsbeendigung muss als schlechthin unvertretbar erscheinen, etwa wenn der betreffende Ausländer sich auf schwerwiegende familiäre Gründe berufen kann (vgl. Burr, a.a.O., § 25 Rdnr. 98) oder er in seinem Heimatstaat einem außergewöhnlich schwerem Schicksal ausgesetzt sein würde (vgl. Hailbronner, a.a.O., § 25 AufenthG Rdnr. 93). Dagegen ist es umstritten, ob eine außergewöhnliche Härte auch mit dem langjährigen Aufenthalt eines Ausländers im Bundesgebiet und seiner Integration in die hiesigen Lebensverhältnisse begründet werden kann (bejahend Huber/Göbel-Zimmermann, a.a.O., S.199 f.; Benassi, Die Bedeutung der humanitären Aufenthaltsrechte des § 25 Abs. 4 und 5 AufenthG im Lichte des Art. 8 EMRK, InfAuslR 2006, 397, 398; verneinend Hailbronner, a.a.O., § 25 AufenthG Rdnr. 93 ff.; Burr, a.a.O., § 25 AufenthG Rdnr. 100 ff.; Maaßen, a.a.O., S. 289). Das Bundesverwaltungsgericht ist – wie der Pressemittelung Nr. 3/2009 zu dem am 27. Januar 2009 verkündeten Urteil im Revisionsverfahren 1 C 40.07 zu entnehmen ist – offenbar der erstgenannten Ansicht. Denn dort wird ausgeführt, dass es für die Beantwortung der Frage, ob die Beendigung des Aufenthalts für den Kläger jenes Verfahrens eine außergewöhnliche Härte im Sinne des § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG bedeuten würde, neben der Tatsache, dass er seit seinem 6. Lebensjahr in Deutschland lebe, u.a. auch auf die berufliche und soziale Verwurzelung des Klägers in Deutschland ankomme. Aber selbst wenn man diesen großzügigen Maßstab bei der Prüfung eines Anspruchs nach § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG zugrunde legt, liegt hier keine außergewöhnliche Härte vor. Der Senat hat sich mit den Lebensverhältnissen der Kläger zu 1) und 2) sowie zu 5) und 6) bereits unter 1. eingehend befasst. Er ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die Kläger zu 1) und 2) in Deutschland nicht hinreichend verwurzelt sind und für sie die Möglichkeit und Zumutbarkeit der Reintegration vornehmlich im Libanon besteht und dass die minderjährigen Klägerinnen zu 5) und 6) das Schicksal ihrer Eltern teilen. Diese Ausführungen gelten hier entsprechend. Hiervon abgesehen steht der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG ebenso wie bei § 104 a AufenthG – selbständig tragend – schon die Sperrwirkung des § 11 Abs. 1 Sätze 1 und 2 AufenthG entgegen. [...]