VG Augsburg

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Zitieren als:
VG Augsburg, Beschluss vom 13.06.2008 - Au 5 E 08.30069 - asyl.net: M15476
https://www.asyl.net/rsdb/M15476
Leitsatz:

Der Ausschluss des Eilrechtsschutzes gem. § 34 a Abs. 2 AsylVfG ist mit der Dublin II-Verordnung vereinbar; kein Anspruch auf Selbsteintritt gem. Art. 3 Abs. 2 der Dublin II-Verordnung wegen Situation von Asylsuchenden in Griechenland.

 

Schlagwörter: Verordnung Dublin II, Drittstaatenregelung, unzulässiger Asylantrag, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), einstweilige Anordnung, normative Vergewisserung, Drittstaatenregelung, Griechenland, Anerkennungsrichtlinie, Selbsteintrittsrecht, Anspruch
Normen: VwGO § 123 Abs. 1; AsylVfG § 34a Abs. 2; EG VO Nr. 343/2003 Art. 19 Abs. 2 S. 3; AsylVfG § 27a; EG VO Nr. 343/2003 Art. 3 Abs. 2
Auszüge:

Der Ausschluss des Eilrechtsschutzes gem. § 34 a Abs. 2 AsylVfG ist mit der Dublin II-Verordnung vereinbar; kein Anspruch auf Selbsteintritt gem. Art. 3 Abs. 2 der Dublin II-Verordnung wegen Situation von Asylsuchenden in Griechenland.

(Leitsatz der Redaktion)

 

[...]

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO hat im Haupt- und Hilfsantrag keinen Erfolg, denn er ist bereits unzulässig. [...]

Unabhängig davon ist der Antrag bereits unzulässig, da unstatthaft, weil einem Anordnungsanspruch bereits die Ausschlussklausel des § 34 a Abs. 2 AsylVfG entgegensteht. [...]

Ausgehend von dieser grundsätzlichen Gesetzeslage, die die Aussetzung der Abschiebung nach § 80 VwGO oder § 123 VwGO in einen sicheren Drittstaat (§ 26 a AsylVfG) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27 a AsylVfG) verbietet, enthebt dies das angerufene Gericht jedoch nicht seiner Verpflichtung zur Prüfung, ob in Ansehung der vorerwähnten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vom 14.5.1996 a.a.O.) in verfassungskonformer Auslegung des § 34 a AsylVfG ein Ausnahmefall vom Ausschluss der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes im Zusammenhang mit geplanten Abschiebungen u.a. § 27 a AsylVfG zu gewähren ist. Das in § 34 a Abs. 2 AsylVfG enthaltene Verbot für die Verwaltungsgerichte, die Abschiebungsanordnung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auszusetzen, bedarf nur in eng begrenzten Ausnahmesituationen, die durch das Konzept der normativen Vergewisserung über einen Schutz für Flüchtlinge durch den Drittstaat nicht aufzufangen sind, der Korrektur. Bei den Mitgliedstaaten der Europäischen Union handelt es sich um sichere Drittstaaten im Sinne des Art. 16 a Abs. 2 GG bzw. §§ 26 a AsylVfG. In Anwendung des Konzepts der normativen Vergewisserung ist davon auszugehen, dass in den sicheren Drittstaaten die Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) und der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) sichergestellt ist. Zudem beruht die Dublin II-VO wie jede andere auf Art. 63 Satz 1 Nr. 1 EG-Vertrag gestützte gemeinschaftsrechtliche Maßnahme auf der Prämisse, dass die zuverlässige Einhaltung der GFK sowie der EMRK in allen Mitgliedstaaten gesichert ist (vgl. VG Gießen vom 25.4.2008 a.a.O.). Für die Prüfung der Frage, ob ein Ausnahmefall vorliegt, der in verfassungskonformer Auslegung des § 34 a AsylVfG eine Prüfung im Eilrechtsschutz ermöglicht, hat das Bundesverfassungsgericht (vom 14.5.1996 a.a.O.) beispielhaft Sonderfälle gebildet, wie etwa die drohende Todesstrafe im Drittstaat, sonstige Ausnahmesituationen, aber auch, dass der Drittstaat sich des Flüchtlings ohne jede Prüfung des Schutzgesuchs entledigen könnte. Davon ist hier jedoch nicht auszugehen.

Selbst wenn, gemessen an diesen Maßstäben, der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung in verfassungskonformer Auslegung des § 34 a AsylVfG zulässig wäre, wäre er jedenfalls unbegründet, weil keine die konkrete Schutzgewährung in Zweifel zu ziehende Sachlage im Drittstaat gegeben ist oder außergewöhnliche humanitäre Gründe die Ausübung des Selbsteintrittsrechts durch die Bundesrepublik Deutschland notwendig machen könnten.

Zunächst ist festzuhalten, dass die Voraussetzungen des § 27 a AsylVfG erfüllt sind. [...]

Eine die konkrete Schutzgewährung in Zweifel ziehende Sachlage in dem Drittstaat Griechenland könnte dann in Betracht kommen, wenn dem Antragsteller dort nach der Abschiebung ein die Europäische Richtlinie 2005/85/EG des Rates über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft verletzendes Verfahren droht. Zunächst kann festgestellt werden, dass der Antragsteller nach den Art. 5 bis 9 und Art. 15 Dublin II-VO keinen daraus ableitbaren Anspruch auf die Durchführung seines Asylverfahrens in der Bundesrepublik Deutschland hat. Nach dem derzeitigen Sachstand hat er aber auch nicht glaubhaft dargelegt, dass zu befürchten sei, ihm drohe mit der Abschiebung nach Griechenland ein menschenrechtswidriges und europäisches Recht verletzendes Verfahren in diesem für die Durchführung seines Asylverfahrens zuständigen Staat. Der Vortrag, das griechische Asylsystem biete keinen effektiven Zugang zum Asylverfahren und gewährleiste u. a. das Recht auf rechtliches Gehör nicht, kann angesichts dessen, dass sich die Unterzeichnerstaaten der Dublin II-VO verpflichtet haben, das von ihnen unterzeichnete Abkommen entsprechend dem ausgehandelten Regelwerk durchzuführen, nicht überzeugen. Aus dem UNHCRPositionspapier vom 15. April 2008 ergibt sich nichts Grundlegendes anderes. Zwar ist es gerichtsbekannt, dass Griechenland zu den wenigen EU-Staaten gehört, die einen erheblichen Anstieg von Asylanträgen gerade irakischer Staatsangehöriger zu verzeichnen haben. Selbst wenn immer wieder auf die niedrigen Anerkennungsquoten von asylsuchenden irakischen Staatsangehörigen in Griechenland hingewiesen wird (so z.B. Pro Asyl, Petition an den Deutschen Bundestag vom 21.2.2008) und dies als Beleg für signifikante Mängel der griechischen Anerkennungspraxis angeführt wird, reicht dies nicht aus, um für den Antragsteller eine konkrete Prognose zu stellen, dass sein im Asylantrag geltend gemachtes Verfolgungsschicksal nicht gewürdigt werden wird. Solange die Europäische Kommission als Hüterin der Verträge nicht einschreitet, geht das Gericht davon aus, dass alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union einschließlich Griechenland ihren Verpflichtungen bei den Aufnahmebedingungen für Asylbewerber nachkommen und die Unterzeichnerstaaten der Dublin II-VO ihrer Verpflichtung genügen, das von ihnen unterzeichnete Abkommen entsprechend dem ausgehandelten Regelwerk durchzuführen. Auch die Genfer Flüchtlingskonvention ist nach Art. 9 und 10 der sog. "Qualifikationsrichtlinie" (RL 2004/83/EG, ABl. 2004, L304/12) konkretisiert worden und findet auch auf das Asylverfahren in Griechenland Anwendung. Die vorgenannte Richtlinie ist zwar in Griechenland noch nicht in innerstaatliches Recht überführt worden, die Umsetzung soll allerdings bis Mitte 2008 abgeschlossen sein. Wegen des Ablaufs der Umsetzungsfrist entfaltet sie nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs direkte Wirkung und ist somit unmittelbar anzuwenden.

Es ist auch nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin nicht von dem in ihrem Ermessen stehenden Selbsteintrittsrecht, d.h. von ihrem Recht, das Asylbegehren des Antragstellers selbst zu prüfen, obwohl sie nach den Bestimmungen der Dublin II-VO nicht für die Prüfung zuständig ist, gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO Gebrauch gemacht hat. Ungeachtet der Frage, ob diese Vorschrift dem betroffenen Asylbewerber überhaupt ein subjektives Recht auf fehlerfreie Ausübung des den Mitgliedstaaten eingeräumten Selbsteintrittsrechts vermittelt (zum Meinungsstand vgl. z.B. VG Aachen vom 21.6.2006 Az. 8 L 260/06.A), bestehen an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung der Beklagten, das Selbsteintrittsrecht nicht wahrzunehmen, keine durchgreifenden Zweifel. Die vorgenannte Verordnung enthält selbst keine Konkretisierungen, unter welchen Umständen das Selbsteintrittsrecht von den Mitgliedstaaten angewandt werden soll. In der Begründung des Verordnungsentwurfs werden politische, humanitäre oder praktische Erwägungen genannt (Schröder, Die EU-Verordnung zur Bestimmung des zuständigen Asylstaats, ZAR 2003, 126 ff.). Ein Anspruch des Antragstellers auf Selbsteintritt der Antragsgegnerin wegen der heimatstaatsbezogenen Gründe ist vorliegend nicht gegeben, zumal keine in einem Asylverfahren atypische Sachlage vorgetragen wird. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die an die Person des Antragstellers anknüpfen, wurden hier nicht geltend gemacht. Ein Selbsteintrittsrecht kann auf Grund der Normsystematik nur in Einzelfällen, d.h. bei einem Anknüpfungspunkt an Person und besondere persönliche Verhältnisse des Asylsuchenden, möglich sein, und nicht, wenn – wie hier – die Gesamtsituation in Griechenland bezüglich des Asylverfahrens gerügt wird. Dies würde letzten Endes zu einer Umgehung der Vorgaben des Verordnungsgebers der Dublin II-VO führen. Der Wille des Verordnungsgebers, die Asylverfahren innerhalb der Staaten der EU zu verteilen und, wie der Bevollmächtigte des Antragstellers angemerkt hat, einen "Asyltourismus" zu vermeiden, kann nicht durch Behörden und Gerichte in Asylverfahren, in denen keine besonderen persönlichen Verhältnisse des Asylsuchenden geltend gemacht werden, unterlaufen werden. [...]