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Zitieren als:
BVerwG, Urteil vom 10.04.2008 - 5 C 12.07 - asyl.net: M15481
https://www.asyl.net/rsdb/M15481
Leitsatz:
Schlagwörter: BAföG, Ausbildungsförderung, ausländische Ausbildung, Anerkennung, Deutschverheiratung, Studienabbruch, unabweisbarer Grund
Normen: BAföG § 17 Abs. 2; BAföG § 7 Abs. 1; BAföG § 8 Abs. 1 Nr. 7; BAföG § 7 Abs. 3; BAföG § 17 Abs. 3
Auszüge:

[...]

Die Revision ist im Sinne einer Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz begründet. Das Urteil des Verwaltungsgerichts verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), indem es für den geltend gemachten Anspruch der Klägerin auf Ausbildungsförderung im Wege des hälftigen Darlehens (§ 17 Abs. 2 BAföG) mit Blick auf die Anspruchsgrundlage aus § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BAföG (andere Ausbildung) die Ehe der Klägerin mit einem deutschen Staatsangehörigen für sich allein genommen als "unabweisbaren Grund" im Sinne von § 17 Abs. 3 Satz 2 BAföG bewertet und daher nicht geprüft hat, in welchem Umfang – bei Gleichwertigkeit der bereits in Russland abgeschlossenen Ausbildung mit einer entsprechenden Ausbildung in Deutschland – gemäß § 17 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BAföG eine Anrechnung vorzunehmen gewesen wäre. Da sich dies auf der Grundlage des vom Verwaltungsgericht festgestellten Sachverhalts nicht feststellen lässt, ist die Zurückverweisung geboten (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO). Der Senat sieht keinen Anlass für eine Zurückverweisung an das Oberverwaltungsgericht (§ 144 Abs. 5 VwGO).

1. Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 BAföG wird Ausbildungsförderung für zumindest drei Schul- und Studienjahre einer berufsbildenden Ausbildung im Sinne der §§ 2 und 3 bis zu einem daran anschließenden berufsqualifizierenden Abschluss geleistet. Nach Satz 2 ist berufsqualifizierend ein Ausbildungsabschluss auch dann, wenn er im Ausland erworben wurde und dort zur Berufsausübung befähigt.

Entgegen der Auffassung der Revision braucht die Klägerin sich förderungsrechtlich auf die in Russland abgeschlossene berufsqualifizierende Ausbildung als Hochschullehrerin, deren Abschluss in der Bundesrepublik Deutschland nicht als gleichwertig anerkannt wird (§ 7 Abs. 1 Satz 1 BAföG), nicht nach § 7 Abs. 1 Satz 2 BAföG verweisen zu lassen. Die Anwendung dieser Bestimmung setzt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts voraus, dass der Förderungsbewerber, der im Ausland einen dort berufsqualifizierenden Ausbildungsabschluss erworben hat, sich bei offener Möglichkeit einer Ausbildung im Inland für eine Ausbildung im Ausland entschieden hat (vgl. grundlegend Urteil vom 31. Oktober 1996 – BVerwG 5 C 21.95 – BVerwGE 102, 200). Entgegen der Auffassung der Revision sind diese Grundsätze, an denen der erkennende Senat festhält, nicht nur auf Vertriebene anwendbar, welche mit der Aufnahme im Bundesgebiet als Deutsche im Sinne des Grundgesetzes nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 BAföG förderungsberechtigt geworden sind, sondern auch auf ausländische Ehegatten von Deutschen (§ 8 Abs. 1 Nr. 7 BAföG). [...]

Greift die Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 BAföG demnach nicht zu Lasten der Klägerin ein, liegt eine berufsqualifizierende abgeschlossene Ausbildung im Sinne des § 7 Abs. 1 BAföG nicht vor. Dies schließt – entgegen der Annahme der Revision – aus, bei der von der Klägerin im Förderungszeitraum betriebenen Ausbildung habe es sich um eine weitere Ausbildung im Sinne des Abs. 2 dieser Bestimmung gehandelt, für welche ausschließlich eine Förderung durch Bankdarlehen vorgesehen ist (§ 17 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BAföG).

2. Dies hat jedoch nicht zur Folge, dass das in Russland absolvierte Studium förderungsrechtlich ohne Bedeutung wäre. § 7 Abs. 1 Satz 2 BAföG regelt, wovon auch das angefochtene Urteil ausgeht, nur die Gleichstellung inund ausländischer Abschlüsse; darüber hinausweisende normative Aussagen – etwa dahingehend, dass die Studien- und Ausbildungszeiten im Ausland nicht anzurechnen seien – sind ihr nicht zu entnehmen (vgl. Urteil vom 4. Dezember 1997 – BVerwG 5 C 28.97 – BVerwGE 106, 5 <8>). Dass ein im Ausland erworbener Ausbildungsabschluss, der nicht nach § 7 Abs. 1 Satz 1 BAföG als gleichwertiger berufsqualifizierender Abschluss anerkannt ist, mangels freier Wahlmöglichkeit für ein Inlandsstudium der Gewährung von Ausbildungsförderung nicht nach § 7 Abs. 1 Satz 2 BAföG entgegensteht, bedeutet insbesondere nicht, dass auch der durch die Auslandsausbildung erlangte Ausbildungsstand des Auszubildenden und die dort von ihm erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten förderungsrechtlich als nicht existent zu fingieren wären und der Auszubildende in vollem Umfange wie ein Ausbildungsanfänger zu stellen wäre. Die teleologische Reduktion des § 7 Abs. 1 Satz 2 BAföG soll eine vom Gesetzgeber nicht bezweckte Schlechterstellung von Personen mit im Ausland erworbenen berufsqualifizierenden Abschlüssen vermeiden, nicht aber eine sachlich nicht gerechtfertigte Begünstigung dieses Personenkreises im Vergleich zu Ausbildungsanfängern bewirken, die noch keine entsprechenden Kenntnisse und Fähigkeiten erworben haben (BVerwG, Urteil vom 4. Dezember 1997 a.a.O.). Das in Russland absolvierte Studium der Klägerin ist förderungsrechtlich daher nicht ohne Bedeutung, sondern in wertender Betrachtung in den systematischen Zusammenhang der Förderungsansprüche und Beschränkungen einzuordnen, denen auch ein deutscher Förderungsbewerber unterliegt.

Danach stellt sich das in Deutschland aufgenommene Studium als eine "andere Ausbildung" im Sinne des § 7 Abs. 3 Satz 1 BAföG dar. Zwar ist das Studium der Klägerin in Russland von ihr bereits abgeschlossen worden, so dass ein "Abbruch" im Sinne dieser Vorschrift streng genommen nicht mehr möglich ist. Doch steht die mit der Übersiedlung nach Deutschland verbundene Aufgabe der mit dem russischen Philologiestudium verbundenen russischen Berufsperspektive förderungsrechtlich einem Studienabbruch näher als einem – im Zeitpunkt der Übersiedlung noch völlig offenen – Fachrichtungswechsel.

§ 7 Abs. 3 BAföG macht den Anspruch auf Förderung einer "anderen Ausbildung" davon abhängig, dass der Auszubildende die (bisherige) Ausbildung aus wichtigem oder unabweisbarem Grund abgebrochen hat, und beschränkt für Hochschulausbildungen die Förderungsvoraussetzung des wichtigen Grundes auf die Zeit bis zum Beginn des vierten Fachsemesters. Allerdings findet gemäß Absatz 4 für Auszubildende, die die abgebrochene Ausbildung vor dem 1. August 1996 begonnen haben, Absatz 3 Satz 1 in der am 31. Juli 1996 geltenden Fassung Anwendung, welche einen wichtigen Grund für den Ausbildungsabbruch ohne zeitliche Beschränkung auf die ersten drei Fachsemester zuließ. Die Frage, ob die Klägerin danach auf einen "wichtigen" oder einen "unabweisbaren" Grund angewiesen ist, braucht hier nicht vertieft zu werden, denn aus dem von Art. 6 Abs. 1 GG umschlossenen Recht der Eheleute auf freie Wahl des Familienwohnsitzes im Bundesgebiet ergibt sich, dass mit der Eheschließung der Klägerin und der Entscheidung für die Führung der Ehe in Deutschland ein legitimierender unabweisbarer Grund dafür vorlag, auf die durch die Philologieausbildung eröffneten beruflichen Perspektiven in Russland zu verzichten. Insoweit kann auf die vom Verwaltungsgericht genannte, zum Begriff des wichtigen Grundes in § 7 Abs. 3 BAföG F. 1993 ergangene Entscheidung des Senats vom 23. September 1999 – BVerwG 5 C 19.98 – (Buchholz 436.36 § 7 BAföG Nr. 119) Bezug genommen werden, wonach die Bedeutung des von Art. 6 Abs. 1 GG normierten Schutzes von Ehe und Familie, welche auch die freie Wahl des Familienwohnsitzes umfasst, es ausschließt, daran förderungsrechtliche Sanktionen zu knüpfen. Mit ihrer grundrechtlich geschützten und förderungsrechtlich hinzunehmenden Entscheidung, die Ehe im Bundesgebiet zu führen, bestand für die Klägerin eine Situation, die die Wahl zwischen der Fortsetzung der bisherigen Ausbildung (bzw. ihrer Ausnutzung durch eine Berufstätigkeit in Russland) und ihrem Abbruch oder dem Überwechseln in eine andere Ausbildung nicht zuließ (zum Begriff des unabweisbaren Grundes i.S.d. § 7 Abs. 3 BAföG s.a. Urteil vom 19. Februar 2004 – BVerwG 5 C 6.03 – BVerwGE 120, 149).

3. Damit ist jedoch nicht entschieden, dass die in Deutschland geführte Ehe auch im Sinne des § 17 Abs. 3 Satz 2 BAföG als unabweisbarer Grund zu werten ist. Anders als im Zusammenhang mit § 7 Abs. 3 BAföG geht es hier nicht um die Frage, ob die Klägerin förderungsrechtlich auf eine Berufstätigkeit in Russland verwiesen werden kann, sondern allein um die Frage, in welcher Form das in Deutschland aufgenommene Studium zu fördern ist. Während bei einem aus "wichtigem Grund" erfolgten Studienabbruch gemäß § 17 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BAföG eine Förderung als Bankdarlehen nach § 18c BAföG vorgesehen ist, soweit für die andere Ausbildung nach § 7 Abs. 3 "die Semesterzahl der hierfür maßgeblichen Förderungshöchstdauer, die um die Fachsemester der vorangegangenen nicht abgeschlossenen Ausbildung zu kürzen ist", überschritten wird, gilt dies gemäß Abs. 3 Satz 2 dieser Bestimmung dann nicht, wenn der Auszubildende die Ausbildung aus "unabweisbarem Grund" abgebrochen hat. Insoweit kann entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht davon ausgegangen werden, dass die Eheschließung mit einem Deutschen und die Begründung des Ehewohnsitzes in Deutschland, die es ausschließen, die Klägerin förderungsrechtlich auf eine Berufstätigkeit in Russland zu verweisen, es deshalb auch geböten, sie von der vorgesehenen förderungsrechtlichen Anrechnung der Fachsemester der vorangegangenen Ausbildung freizustellen. Grundsätzlich sind im Ausland verbrachte Ausbildungszeiten bei einer Inlandsausbildung förderungsrechtlich zu berücksichtigen, wenn die ausländische Ausbildungsstätte den inländischen Ausbildungsstätten nach Zugangsvoraussetzungen, Art und Inhalt der Ausbildung sowie dem vermittelten Ausbildungsabschluss vergleichbar bzw. gleichwertig ist (vgl. Urteile vom 4. Dezember 1997 – BVerwG 5 C 3.96 – BVerwGE 106, 1 <3 f.> und – BVerwG 5 C 28.97 – BVerwGE 106, 5 <10>). Das muss auch hier gelten; Art. 6 Abs. 1 GG steht einer danach ggf. vorzunehmenden Anrechnung nicht entgegen.

Der Klägerin steht danach gemäß § 17 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BAföG nur so lange ein Anspruch auf Förderung im Umfang des § 17 Abs. 2 BAföG zu, wie die Semesterzahl der für die andere Ausbildung maßgeblichen Förderungshöchstdauer, die um die Fachsemester der vorangegangenen, nicht abgeschlossenen Ausbildung zu kürzen ist, nicht überschritten wird. Da auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen des Verwaltungsgerichts ungeklärt ist, wie viele Semester der russischen Philologieausbildung als gleichwertig anzurechnen wären, ist die Sache zurückzuverweisen. [...]