VG Stuttgart

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Zitieren als:
VG Stuttgart, Urteil vom 04.12.2008 - 2 K 3190/08 - asyl.net: M15497
https://www.asyl.net/rsdb/M15497
Leitsatz:

Unzumutbarkeit der Nachholung des Visumsverfahren wegen Gefahr der Infektion in der Demokratischen Republik Kongo.

Schlagwörter: D (A), Aufenthaltserlaubnis, Ausreisehindernis, Untätigkeitsklage, Schutz von Ehe und Familie, allgemeine Erteilungsvoraussetzungen, Visum, Visumsverfahren, Zumutbarkeit, Ermessen, Ermessensreduzierung auf Null, Krankheit, Diabetes mellitus, Malaria, Impfung, Infektionsgefahr, Demokratische Republik Kongo, Kongolesen
Normen: AufenthG § 25 Abs. 5; VwGO § 75; GG Art. 6 Abs. 1; AufenthG § 5 Abs. 2 Nr. 1; AufenthG § 5 Abs. 3 S. 2
Auszüge:

[...]

Die Klage ist zulässig und auch begründet. Der Kläger hat Anspruch darauf, dass die Beklagte ihm eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 5 AufenthG erteilt.

Die Klage ist als Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO zulässig. Die Beklagte hat über den im Januar 2007 gestellten Antrag des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht entschieden. Das Verhalten des früher zuständigen Landratsamtes Ludwigsburg muss sich die Klägerin zurechnen lassen. Zudem ist der Kläger am 14.04.2008 in den Zuständigkeitsbereich der Beklagten gezogen, so dass es möglich gewesen wäre, den Antrag des Klägers fristgemäß zu entscheiden.

Die Klage ist auch begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG. [...]

Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift sind unstreitig erfüllt. Der Kläger ist nach bestandskräftiger Ablehnung seines Asylantrags vollziehbar ausreisepflichtig und die Ausreise ist ihm im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 GG (Schutz von Ehe und Familie) aus rechtlichen Gründen unmöglich. Mit dem Wegfall des Ausreisehindernisses in absehbarer Zeit ist nicht zu rechnen und ihn trifft auch kein Verschulden (§ 25 Abs. 5 S. 3 AufenthG). Da er seit mehr als 18 Monaten geduldet ist, soll ihm daher nach § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden.

Bei der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG müssen zudem die Regelerteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 2 AufenthG beachtet werden. § 5 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG setzt voraus, dass der Ausländer mit dem erforderlichen Visum eingereist ist. Dies ist hier beim Kläger nicht der Fall. Nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG hat die Ausländerbehörde jedoch bei der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 im Ermessenswege zu entscheiden, ob sie von der Erfüllung der fehlenden Voraussetzungen absieht. Entsprechend dem Zweck der Norm, eine zusammenfassende Sonderregelung für die Aufnahme in das Bundesgebiet aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen zu schaffen, ist eine umfassende Abwägung zwischen den öffentlichen und privaten Interessen erforderlich. In diese Abwägung sind einerseits die hinter § 5 AufenthG stehenden staatlichen Interessen, andererseits die privaten Interessen des Ausländers - vor allem die grundrechtlich geschützten - einzustellen. Dabei kann der Nichteinhaltung der Erteilungsvoraussetzungen in der Abwägung grundsätzlich nicht das gleiche Gewicht beigemessen werden, das ihm bei Aufenthaltsbegehren zu anderen Zwecken zukommt (vgl. Bäuerle, in GK-AufenthG, § 5 Rdnr. 185 f. m.w.N.; Urt. der Kammer v. 08.08.2007 - 2 K 3070/07 - InfAuslR 2008, 32; Bayerischer VGH, Beschl, v. 22.07.2008 - 19 CE 08.781 - juris). In der Regel ist in derartigen Fällen von den Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 2 AufenthG abzusehen (vgl. Storr, in: Storr/Wenger/Eberle/Albrecht/Harms/Kreuzer, ZuwG, § 25 AufenthG Rn. 38).

Nach diesen Grundsätzen ist im vorliegenden Fall davon auszugehen, dass eine Ermessungsreduzierung auf Null vorliegt und die Ausländerbehörden verpflichtet sind, von der Einhaltung des Visumverfahren für den Kläger abzusehen. Die legitimen Interessen des Klägers am Verbleib im Bundesgebiet überwiegen das öffentliche Interesse an der Einhaltung des Visumverfahrens. Das Beharren auf der Einhaltung des Visumszwangs erscheint unangemessen. Der Kläger ist an Diabetes Mellitus erkrankt und bedarf der medizinischen Behandlung. Die Beklagte und das Regierungspräsidium Stuttgart sind davon ausgegangen, dass nach den ablehnenden Entscheidungen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge selbst bei einer dauerhaften Rückkehr keine erhebliche Gefahr für Leib und Leben konkret drohe und die bestehenden Risiken weiter reduziert werden könnten. Dies würde jedoch voraussetzen, dass der Kläger vor einer Rückkehr zur Beantragung des Visums eine Malariaprophylaxe sowie zahlreiche Impfungen durchführen müsste (Gelbfieber, Tetanus, Diphterie, Poliomyelitis, Hepatitis A und B, Tollwut, Meningokokkenkrankheit und Typhus, vgl. die Reisehinweise des Auswärtigen Amtes) Angesichts der Situation in der Demokratischen Republik Kongo in Bezug auf die allgemeinen Lebensverhältnisse (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 01.02.2008) besteht die Gefahr, trotz der entsprechenden Vorsichtsmaßnahmen, an Infektionskrankheiten, insbesondere Malaria, zu erkranken. Es handelt sich dabei zwar um eine allgemeine Gefahr, die im Asylverfahren nicht zur Feststellung eines Abschiebungshindernisses führt, jedoch im Rahmen der Ermessensentscheidung mit dem erforderlichen Gewicht einzustellen ist. Der Umstand, dass der Kläger wohl im Jahr 2006 kurzfristig untergetaucht war und im Asylverfahren nicht glaubhafte Angaben gemacht hat, erscheint demgegenüber weniger gewichtig, zumal dies schon länger zurück liegt und zwischenzeitlich im Leben des Klägers mit der Geburt des Sohnes und dem Zusammenleben mit seiner Lebenspartnerin eine Zäsur in der Lebensführung eingetreten ist. Insofern besteht keine Anlass mehr, dieses frühere Verhalten des Klägers durch die Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis zu sanktionieren, mit der Folge, dass ihm weiterhin an sich unerwünschte Kettenduldungen zu erteilen wären. Die Ausländerbehörden gehen zwar davon aus, dass das Visumverfahren innerhalb von vier bis sechs Wochen abgeschlossen sein könnte und es daher nur zu einer kurzfristigen Trennung von der Familie kommen wird. Mit Sicherheit kann hiervon jedoch nicht ausgegangen werden. Eine Auskunft der zuständigen Botschaft und des Bundesverwaltungsamtes hierzu liegt nicht vor. Da auch die Gefahr besteht, bereits während des relativ kurzen Aufenthalts im Kongo zu erkranken, erscheint eine mit dem Kindeswohl unvereinbare längere Trennung nicht ausgeschlossen. Dies könnte auch dazu führen, dass der Unterhalt der Familie und der Arbeitsplatz des Klägers gefährdet wäre, mit der Folge, dass öffentliche Mittel in Anspruch genommen werden müssten. Das öffentliche Interesse an der Einhaltung der Visumvorschriften im Rahmen des § 25 Abs. 5 AufenthG muss daher hinter die berechtigten Interessen des Klägers zurücktreten. Da sonstige Gründe der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht entgegen stehen, ist dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu erteilen. [...]