SG Freiburg

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Zitieren als:
SG Freiburg, Beschluss vom 08.12.2008 - S 6 AY 5874/08 ER - asyl.net: M15510
https://www.asyl.net/rsdb/M15510
Leitsatz:

Die illegale (Wieder-)Einreise und Stellung eines nicht von vornherein aussichtslosen Asylantrags stellen keine rechtsmissbräuchliche Verlängerung der Aufenthaltsdauer gem. § 2 Abs. 1 AsylbLG dar.

Schlagwörter: D (A), Asylbewerberleistungsgesetz, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), einstweilige Anordnung, Aufenthaltsdauer, Rechtsmissbrauch, Einreise, Wiedereinreise, illegale Einreise, Asylantragstellung
Normen: SGG § 86b Abs. 1; AsylbLG § 2 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Die zulässigen Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sind im Wesentlichen begründet. [...]

Grundsätzlich sind nach dem AsylbLG gemäß § 3 AsylbLG Sachleistungen zu erbringen. § 2 Abs. 1 AsylbLG sieht jedoch vor, dass abweichend von den §§ 3 bis 7 AsylbLG das SGB XII auf diejenigen Leistungsberechtigten entsprechend anzuwenden ist, die über eine Dauer von insgesamt 48 Monaten Leistungen nach § 3 AsylbLG erhalten haben - dies ist bei den Antragstellern unstreitig der Fall - und die die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben.

Die Antragsteller haben die Dauer ihres Aufenthalts nach summarischer Prüfung überwiegend wahrscheinlich nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst.

Zunächst liegt in der erneuten Einreise der Antragsteller nach den Abschiebungen keine rechtsmissbräuchliche Beeinflussung des Aufenthalts.

Unerheblich ist dabei, ob die widerrechtliche Einreise der Zeit vor dem Aufenthalt zuzuordnen ist. Denn das Bundessozialgericht hat in seiner Entscheidung vom 17.6.2008 - B 8/9b AY 1/07 R (Rn. 40 der Entscheidungsgründe) überzeugend ausgeführt, dass eine rechtsmissbräuchliche Beeinflussung des Aufenthalts auch in einem vor der Einreise liegenden Verhalten gesehen werden kann. Dem schließt sich auch die Kammer an.

Maßgeblich abzustellen ist allerdings nicht auf die Dauer jeglicher Aufenthalte in der Bundesrepublik Deutschland während der gesamten Lebenszeit eines Ausländers oder einer Ausländerin, sondern auf den konkreten Aufenthalt seit der letzten Einreise. Aufenthalt im Sinne von § 2 AsylbLG ist nach der Kommentarliteratur als die Zeit der körperlichen Anwesenheit des Ausländers oder der Ausländerin im Bundesgebiet zu sehen (Hohm, AsylbLG, III § 2, Rn. 71). Unter "Dauer des Aufenthalts" versteht die Kommentarliteratur den "gesamte[n] Zeitraum des Aufenthalts des Ausländers im Bundesgebiet [...], beginnend mit seiner Einreise [...] und endend mit der Ausreise" (Hohm, AsylbLG, III § 2, Rn. 72). Damit endet jeder Aufenthalt mit Ausreise, durch Einreise wird ein neuer Aufenthalt begründet. Diese Auffassung steht auch nicht im Widerspruch zu der genannten Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 17.6.2008 - B 8/9b AY 1/07 R. Zwar stellt das Gericht in Randnummer 40 der Entscheidungsgründe fest, dass wegen des Tatbestandsmerkmals "Beeinflussung der Dauer des Aufenthalts" "auf den gesamten Zeitraum des Leistungsberechtigten in Deutschland" (gemeint ist wohl: des Aufenthalts des Leistungsberechtigten in Deutschland) abzustellen sei (unter Berufung auf Grube/ Wahrendorf, SGB XII, 2. Aufl., § 2 AsylbLG, Rn. 4 und Hohm, AsylbLG, § 2 Rn. 72). Die besondere Betonung des Gesamtzeitraums dient jedoch ersichtlich der Abgrenzung von Auffassungen in Literatur und Rechtsprechung, insbesondere der dortigen Vorinstanz, die einen anderen Ansatz verfolgen und lediglich solche Zeiten mit Bezug von Leistungen nach § 3 AsylbLG als Vorbezugszeiten ausnehmen wollen, in denen der Ausländer sich rechtsmissbräuchlich verhalten hat oder in denen dieses Verhalten fortwirkte (vgl. BSG 17.6.2008 - B 8/9b AY 1/07 R, Rn. 40 a.E.). Dies folgt für die Kammer auch aus den an den angegebenen Literaturstellen zitierten Beispielen. So fuhrt Wahrendorf (Grube/Wahrendorf SGB XII, 2. Aufl., § 2 AsylbLG, Rn. 4) unter Betonung der Worte des "gesamten Zeitraum[s]" an, dass "die Zählung der 48 Monate auch nicht [beginne], wenn der rechtsmissbräuchlich gesetzte Grund [...] weggefallen" sei. Dass das Bundessozialgericht einen Sachverhalt wie den vorliegenden mit mehreren aufeinander folgenden Aufenthalten gerade nicht vor Augen hatte, ergibt sich für die Kammer auch aus Randnummer 18 des Urteils, wo es ausdrücklich offen lässt, ob die Vorbezugszeit von 48 Monaten auch über mehrere Aufenthalte hinweg zusammengerechnet werden könne.

Damit handelt es sich bei der letzten Einreise der Antragsteller im September 2001 erst um die Begründung des nunmehr maßgebenden Aufenthalts. Zwar war diese Einreise der Antragsteller im September 2001 unrechtmäßig. Dies ergibt sich allerdings nicht - wie der Antragsgegner meint - aus § 11 Abs. 1 AufenthG, sondern aus der entsprechenden Vorgängernorm, § 8 Abs. 2 des Gesetzes über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern im Bundesgebiet - Ausländergesetz (AuslG). Hieraus folgt jedoch für die Kammer kein Rechtsmissbrauch. Erfahrungsgemäß reisen Asylbewerber in der Mehrzahl der Fälle unter Verstoß gegen Einreisevorschriften in das Bundesgebiet ein. Würde in allen diesen Fällen die Einreise als Rechtsmissbrauch verstanden werden, wäre der Anwendungsbereich von § 2 AsylbLG sehr gering. Dies gilt auch nicht bei wiederholter Einreise; eine Abstufung zwischen rechtswidriger und besonders rechtswidriger Einreise kennt das Gesetz nicht.

Des weiteren kann die Kammer auch in der erneuten Asylantragstellung nach der letzten Wiedereinreise keine rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Aufenthaltsdauer erblicken.

Zwar kann nach Auffassung der Kammer die Stellung eines Von vornherein aussichtslosen Asylfolgeantrags durchaus eine rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Aufenthaltsdauer darstellen (ebenso Grabe/Wahrendorf SGB XII, § 2 AsylbLG, Rn. 4 unter Bezugnahme auf LSG BY, FEVS 57, 106, 109). Hierfür sind jedoch Anhaltspunkte nicht ersichtlich. Der Antragsgegner kann sich insoweit insbesondere nicht darauf berufen, dass das Asylverfahren im Ergebnis erfolglos war. Maßgeblich ist nämlich, dass der weitere Asylantrag aus einer Ex-ante-Sicht offensichtlich nicht zum Erfolg führen konnte und für einen objektiven Betrachter nur vor dem Hintergrund einer erstrebten Aufenthaltsverlängerung erklärbar ist. Hierzu ist nichts vorgetragen. Letztlich kann diese Frage hier aber auch dahinstehen. Denn unbestritten hätten die Antragsteller seit ihrer letzten Einreise am 5.9.2001 wegen der bis heute bestehenden Erlasslage nicht in ihr Heimatland zurückgeschoben werden können. Für einen solchen Fall sieht auch das Bundessozialgericht (Urteil vom 17.6.2008 - B 8/9b AY 1/07 R, Rn. 44) auch bei Vorliegen rechtsmissbräuchlichen Verhaltens mangels Kausalität dieses Verhaltens keinen Leistungsausschluss. [...]