VG Saarland

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Zitieren als:
VG Saarland, Beschluss vom 21.04.2009 - 5 K 1877/08 - asyl.net: M15513
https://www.asyl.net/rsdb/M15513
Leitsatz:

Keine Asyl- oder Flüchtlingsanerkennung oder Gewährung von Abschiebungsschutz wegen Gefahr von Übergriffen durch islamistische Terroristen in Algerien.

Schlagwörter: Algerien, Prozesskostenhilfe, Erfolgsaussichten, Islamisten, Terrorismus, Gebietsgewalt, Schutzbereitschaft, Schutzfähigkeit, Al-Kaida Maghreb, GPSC, Groupe Salafite pour la Prédication et le Combat, interne Fluchtalternative, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, ernsthafter Schaden, bewaffneter Konflikt, interner Schutz
Normen: GG Art. 16a Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1; RL 2004/83/EG Art. 7 Abs. 2; AufenthG § 60 Abs. 7; RL 2004/83/EG Art. 15 Bst. c; RL 2004/83/EG Art. 8 Abs. 1; VwGO § 166; ZPO § 114
Auszüge:

[...]

Der auf Gewährung von Prozesskostenhilfe gerichtete Antrag vom 05.01.2009 ist gemäß § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO zurückzuweisen, da die unter Aufhebung des ablehnenden Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 01.12.2008 auf Anerkennung als Asylberechtigter und hilfsweise auf Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG sowie höchst hilfsweise von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG gerichtete Klage keine Aussicht auf Erfolg hat.

Aus dem Vortrag des Klägers, der sich im Wesentlichen darauf stützt, dass er in Algerien von islamischen Terroristen bedroht worden sei und bei den örtlichen Polizeibehörden keinen Schutz habe erhalten können, ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine Verfolgung i.S. des Art. 16 a Abs. 1 GG. Dabei kann offen bleiben, ob dieser Vortrag, wie vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in dem angegriffenen Bescheid ausgeführt, bereits unglaubhaft ist. Voraussetzung für einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter ist nämlich, dass die geltend gemachte Bedrohung vom Staat oder einer staatsähnlichen Organisation ausgehen muss. [...]

Auf Grund der vorliegenden Erkenntnisse (vgl. insbesondere Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 29.01.2008) kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass der algerische Staat Verfolgungen seiner Staatsbürger durch islamische Terroristen hinnimmt. Vielmehr befinden sich die staatlichen Organe im Kampf mit den islamischen Gruppen, die nach wie vor die staatliche Ordnung in Algerien ablehnen. Dies gilt insbesondere auch für die Gruppe Al-Kaida Maghreb, bei der es sich um die frühere GPSC (Groupe Salafite pour la Predication et le Combat) handelt. Für die Frage der Zurechenbarkeit der Verfolgung ist vorliegend letztlich unerheblich, dass der algerische Staat nicht in der Lage ist, alle seine Bürger vor den terroristischen Aktionen islamistischer Fundamentalisten zu schützen. Denn ein lückenloser Schutz aller seiner Bürger vor terroristischen Aktionen ist keinem Staat der Welt möglich. Im Falle des algerischen Staates ist festzustellen, dass dieser bestrebt ist, den islamistischen Terrorismus mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu bekämpfen, auch wenn aufgrund der typischen Begehungsweise von Terroristen, nämlich der Verübung von Taten aus dem Verborgenen, ein umfassender Schutz aller Bürger nicht möglich ist. Nicht festgestellt werden kann jedoch, dass der algerische Staat überhaupt nicht versuchen würde, seine Bürger zu schützen. Auch aus dem Vortrag des Klägers ergibt sich insoweit nichts Gegenteiliges. Denn selbst wenn die örtliche Polizei im Falle des Klägers einen persönlichen Schutz abgelehnt haben sollte, so ist damit in keiner Weise zum Ausdruck gebracht worden, dass der algerische Staat von Terroristen bedrohten Personen generell keinen Schutz leisten würde. Aus der vom Kläger vorgelegten Bescheinigung der algerischen Polizei ergibt sich insoweit auch nichts Anderes, da darin lediglich ausgeführt ist, dass der Kläger mit dem Kläger im Verfahren 5 K 1878/08 bei der Polizei vorstellig gewesen sei und eine Anzeige wegen der Bedrohung durch Terroristen aufgegeben habe. Eine Aussage über die Schutzwilligkeit der algerischen Sicherheitskräfte ist dagegen darin nicht enthalten.

Auch die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor. [...] Denn auch insoweit gilt, dass der algerische Staat mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln den islamischen Terrorismus verfolgt. Insoweit sind § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchstabe c) AufenthG und Art. 7 Abs. 2 QRL zu berücksichtigen, wonach generell Schutz gewährleistet ist, wenn der Staat oder Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Betreffende Zugang zu diesem Schutz hat. Dies ist jedoch, wie bereits ausgeführt in Algerien der Fall. Auf Grund der vorliegenden Erkenntnissen (vgl. insbesondere den o.a. Lagebericht) muss außerdem auch davon ausgegangen werden, dass der algerische Staat nach wie vor zumindest das überwiegende Staatsgebiet beherrscht, so dass nicht von einer bürgerkriegsähnlichen Situation ausgegangen werden kann, in der der algerische Staat seine Herrschaftsgewalt verloren hätte.

Im Übrigen besteht für den Kläger eine innerstaatliche Fluchtalternative, so dass gemäß § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG auch aus diesem Grund ein Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG nicht besteht. Denn wie sich aus dem o.a. Lagebericht ergibt, ist davon auszugehen, dass in den größeren Städten im Vergleich zu abgelegenen Landesteilen ein erhöhter, wenn auch nicht vollkommener Schutz besteht. Im Übrigen erscheint es kaum glaubhaft, dass islamistische Terroristen, die unter erheblichen staatlichen Verfolgungsdruck stehen, in der Lage sind, einen, wie es beim Kläger der Fall ist, in keiner Weise prominenten Bürger, landesweit zu verfolgen.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung von Abschiebungsverboten i.S. des § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG. [...]

Für eine solche individuelle Gefährdung des Klägers sieht das Gericht aber keine Anhaltspunkte. Insbesondere ergeben sich aufgrund der vom Kläger geschilderten Bedrohungen durch islamistische Terroristen keine Anhaltspunkte für eine staatliche Verfolgung.

Es liegen auch die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG nicht vor. Dabei muss die Frage, ob Art. 15 QRL durch § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in ausreichender Weise umgesetzt worden ist, nicht entschieden werden. Denn die Voraussetzungen des Art. 15 QRL liegen hier offensichtlich nicht vor. Art. 15 Buchst. c) QRL setzt ebenso wie § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG voraus, dass der Betroffene einer Gefahr im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes ausgesetzt ist. Da vorliegend jedoch kein solcher Konflikt besteht, kommt es auf die weitere Voraussetzung der "willkürlichen Gewalt" nicht an.

Zum Begriff des internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts i.S. des Art. 15 Buchst. c) QRL hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 ausgeführt: [...]

Eine Präzisierung erfährt der Begriff durch das am 8. Juni 1977 abgeschlossene Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte (Zusatzprotokoll II - ZP II). Das Zusatzprotokoll I (ZP I) vom gleichen Tag bezieht sich auf die internationalen bewaffneten Konflikte (BGBl 1990 II S. 1551), das Zusatzprotokoll II auf die nicht internationalen bewaffneten Konflikte (BGBl 1990 II S. 1637). Das Zusatzprotokoll II definiert in Art. 1 Nr. 1 den Begriff des nicht internationalen bewaffneten Konflikts und grenzt ihn in Nr. 2 von Fällen "innerer Unruhen und Spannungen" ab, die nicht unter den Begriff fallen (zur Entstehungsgeschichte der Vereinbarungen vgl. Ipsen, Völkerrecht, 5. Aufl. 2004, S. 1210 - 1220). [...]

Danach liegt ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts jedenfalls dann vor, wenn der Konflikt die Kriterien des Art. 1 Nr. 1 ZP II erfüllt. Er liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn die Ausschlusstatbestände des Art. 1 Nr. 2 ZP II erfüllt sind, es sich also nur um innere Unruhen und Spannungen handelt wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen,, die nicht als bewaffnete, Konflikte gelten. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 Buchst. c der Richtlinie nach Auffassung des Senats nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss hierfür aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen. Typische Beispiele sind Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe. Der völkerrechtliche Begriff des "bewaffneten Konflikts" wurde gewählt, um klarzustellen, dass nur Auseinandersetzungen von einer bestimmten Größenordnung an in den Regelungsbereich der Vorschrift fallen (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung a.a.O.). Ob die Konfliktparteien einen so hohen Organisationsgrad erreichen müssen, wie er für die Erfüllung der Verpflichtungen nach den Genfer Konventionen von 1949 und für den Einsatz des Internationalen Roten Kreuzes erforderlich ist, bedarf hier keiner abschließenden Entscheidung. Die Orientierung an den Kriterien des humanitären Völkerrechts findet ihre Grenze jedenfalls dort, wo ihr der Zweck der Schutzgewährung für in Drittstaaten Zuflucht Suchende nach Art. 15 Buchst. c der Richtlinie widerspricht (vgl. hierzu Urteil des für Berufungen in Asylsachen zuständigen britischen Asylum and Immigration Tribunal - AIT - vom 1. Februar 2008, KH

Iraq CG 2008> UKAIT 00023, Rn. 54 <nicht rechtskräftig>). Das bedeutet jedoch nicht, dass auch ein sog. "low intensity war" die Qualität eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 Buchst. c der Richtlinie erfüllt, zumal der Begriff wenig präzise erscheint (a.A. Marx, Handbuch zur Flüchtlingsanerkennung - Qualifikationsrichtlinie, Stand: November 2006, § 40 Rn. 7 - 18 und ihm folgend das OVG Schleswig, Urteil vom 21. November 2007 - 2 LB 38107 - juris; für den Ausschluss von "low level violence" aus Art. 3 GK 1949 plädiert Bothe, in: Graf Vitzhum, Völkerrecht, 4. Aufl. 2007, S. 722 Rn. 123 m.w.N.).

Weitere Anhaltspunkte für die Auslegung des Begriffs des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts können sich aus dem Völkerstrafrecht ergeben, insbesondere aus der Rechtsprechung der Internationalen Strafgerichtshöfe (vgl. etwa Entscheidung der Berufungskammer des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien vom 2. Oktober 1995, ICTY-Appeals Chamber Prosecuter v. Tadic, Nr. IT-94-1, www.un.org/icty/tadic/appeal/decision-e/51002.htm, Rn. 70; jüngst Urteil vom 3. April 2008, ICTY-Trials Chamber Prosecutor v. Haradinaj et al., Nr. IT-04-84-T, www.un.org/icty/haradinaj/trialc/judgement/tcj080403e.pdf, Rn. 49).

Kriminelle Gewalt dürfte bei der Feststellung, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, jedenfalls dann keine Berücksichtigung finden, wenn sie nicht von einer der Konfliktparteien begangen wird (vgl. auch das britische AIT in seinem Urteil vom 1. Februar 2008, KH